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Ostukraine
Wiederaufbau nicht in Sicht

Ilowajsk liegt im ukrainischen Separatistengebiet und war wochenlang stark umkämpft. Heute gehört es zur sogenannten Volksrepublik Donezk. Viele Tote gab es, doch jetzt ist der Winter da und der alltägliche Überlebenskampf bestimmt das Leben der Menschen.

Von Florian Kellermann | 18.12.2014
    Arbeiter reparieren ein Dach in Donezk nach nächtlichem Beschuss (07.11.2014).
    In den ehemals stark umkämpften Gebieten in der Ostukraine sind noch viele Häuser zerstört. (picture alliance / dpa - Alexander Ermochenko)
    Am Stadtrand von Ilowajsk gibt es einen kleinen Laden mit allem, was man zum Bauen braucht. Er liegt in jenem Bezirk, der im August so heftig umkämpft war. Drei Wochen hielten sich ukrainische Uniformierte hier, die Armee und mehrere Freiwilligenverbände. Schließlich mussten sie sich den separatistischen Kämpfern ergeben. Ilowajsk ist heute Separatistengebiet. Oder, wie sie es nennen: Es gehört zur "Volksrepublik Donezk".
    In Ilowajsk starben über tausend ukrainische Uniformierte, sagen die Kommandeure der hier zerriebenen Bataillone. Daran erinnern sich die Besucher des Geschäfts natürlich, aber es berührt sie nicht. Zu groß sind die Probleme, die sie nun selber haben. Der Winter ist gekommen, der Frost - und ihre Häuser liegen immer noch in Trümmern.
    Andrej Andrejewitsch, 25 Jahre alt, besucht hier nur seinen Freund, den Verkäufer. Dabei wäre er nur zu gerne auch sein Kunde, sehnsüchtig lässt er seine dunklen Augen schweifen.
    "Das alles hier könnte ich brauchen. Von der Erde bis zu den Dachplatten - und natürlich auch die Zementsäcke dort hinten. Eben alles, was man braucht, wenn man ein Haus von Grund auf neu baut."
    Aber Andrej Andrejewitsch hat kein Geld. Täglich geht der Schweißer in die Arbeit, ein Ausbesserungswerk der ukrainischen Eisenbahn. Zurzeit sind dort alle damit beschäftigt, die Kriegsschäden zu beseitigen. Doch Gehalt bekommt der junge Mann seit Monaten nicht mehr. Er repariert die Autos von Bekannten - so hält er sich und seine Familie über Wasser.
    Die Rentner erhalten keine Bezüge

    Einwohner von Donetzk warten vor einem Geldautomaten. Im Vordergrund ein Obststand
    Einwohner von Donetzk warten vor einem Geldautomaten (dpa / picture alliance / Pochuyev Mikhail)
    Nicht viel besser ergeht einem Rentner, der den Laden betritt und ein Klebeband verlangt. Nikolaj Petrowitsch hat sein letztes Geld in neue Fenster für sein Haus gesteckt, es ist immerhin stehen geblieben.
    "Die ukrainische Regierung betrügt uns um unsere Renten. Jahr und Tag haben wir Steuern abgeführt und in den Rentenfonds eingezahlt. Und jetzt bekommen wir gar nichts. Sie sagen, wir sollen hinüber fahren in die Ukraine und uns dort niederlassen. Aber wie bitte stellen sie sich das vor? Ein paar Millionen Menschen sollen einfach so umziehen? Dort herrscht doch auch Arbeitslosigkeit. Na, vielleicht kommst du irgendwo als Hausmeister unter."
    Den meisten Besuchern des Ladens ist es egal, ob Ilowajsk zur Ukraine gehört oder zur sogenannten Volksrepublik.
    Denn auch die Separatisten halten ihre Versprechen nicht: Die humanitäre Hilfe aus Russland, von der sie reden, ist hier nicht angekommen. Einzig der Fonds des ukrainischen Oligarchen Rinat Achmetow verteilt ab und zu Lebensmittel. Andrej Andrejewitsch hat dort schon einmal etwas für seine kleine Tochter ergattert.
    Der Schweißer hat einen Bekannten, der ein Auto hat, angerufen und überredet: Er will sein Haus zeigen. Über ungeteerte Straßen geht es vorbei an verbogenen Metallzäunen, viele Grundstücke sind verrammelt.
    Von vielen Häusern stehen nur noch Ruinen
    Der Schweißer knöpft seine schmutzige Jacke zu und steigt aus dem Wagen. Hinter dem Eisentor - ein Bild der Verwüstung. Die Wände des Hauses stehen noch, aber ohne Dach, und innen ist es völlig ausgebombt. Die Treppe zur einstigen Veranda lässt sich nur noch erahnen. Andrej Andrejewitsch steigt auf einen kleinen Schutthaufen und lehnt sich gegen die Hauswand.
    "Wenn ich hier rüttle, fällt das Ganze in sich zusammen. Sehen Sie, die Wand, bewegt sich. Erst dachte ich, das kriege ich wieder hin, das richte ich wieder her. Aber das geht nicht. Das muss ich alles abreißen."
    Andrej Andrejewitsch stützt sich jetzt lieber gegen den Aprikosenbaum neben dem Haus, der unversehrt scheint. Er war mit seiner Familie über die Felder gerannt, als die ukrainischen Uniformierten anrückten. Denn die Soldaten brachten den Krieg mit, Maschinengewehr-Feuer legte sich an jenem Tag über die Siedlung. Nationalgardisten richteten sich ein auf seinem Anwesen: Eine Feuerstelle aus Backsteinen zeugt noch davon, ein Schachbrett liegt im Dreck. Und mitten durch das Grundstück zieht sich ein Schützengraben, etwa einen Meter tief.
    Der junge Vater zählt die Zimmer, die sein Haus hatte - sechs Stück waren es.
    Misstrauen gegenüber beiden Seiten
    "Nichts mehr ist übrig, und trotzdem muss ich das Gelände gut abschließen. Plünderer kommen und klauen auch noch das Letzte. Sie graben nach Altmetall. Wenn sie es wenigstens verkaufen würden, um ihre Kinder zu füttern. Aber ich fürchte, sie holen sich Wodka von dem Geld."
    Der Schweißer gibt der Ukraine die Hauptschuld an dem Krieg. Sie hätte nicht die Armee in den Osten des Landes schicken sollen, meint er. Den Separatisten würden sich er und sein Bekannter trotzdem niemals anschließen. Sie trauen ihnen nicht. Auch sie kämpften doch nur im Auftrag von reichen Geschäftsleuten, meinen sie. Von wem genau, wissen sie nicht.
    Jetzt wohnt Andrej Andrejewitsch mit seiner Familie und seinen Eltern, deren Haus ebenfalls zerstört ist, zur Miete. Bei guten Menschen, wie er sagt. Sie verlangen nur, dass er die Nebenkosten begleicht.
    Wieder zurück im Laden, bei seinem Freund, spricht er die einzige Hoffnung aus, die er im Moment hat:
    "Ich hoffe, dass Russland uns aufnimmt, das Donezk-Becken ein Teil der Russischen Föderation wird. Dann wäre es doch viel leichter, das alles hier wieder aufzubauen. Russland ist ein reicheres Land. Ich will ja nur ein eigenes Dach über dem Kopf, mehr nicht. Aber wie soll ich das schaffen - ohne eine einzige Kopeke zu verdienen."