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Oswald Egger: "Triumph der Farben"
Quadrate in Russischgrün-Hellgelb-Grasgrün

Die optische Gestaltung seiner Gedicht- und Prosabände stellt für Oswald Egger einen eigenen poetischen Akt dar. Über seine Texte sagt er: "Es gibt keinen Faden, den man verlieren kann.“ Die Erkundung von Oswald Eggers Poesie kommt jedes Mal einem Abenteuer gleich.

Von Katrin Hillgruber | 23.01.2019
    Oswald Egger spricht auf der Frankfurter Buchmesse 2016
    In Oswald Eggers "Triumph der Farben" wechseln sich Theorien und poetische Miniaturen wie beim Bockspringen ab (imago / Manfred Segerer)
    "Frauenhellbraun taumelt an Männerdunkelbraun", heißt es in Gottfried Benns Gedicht "D-Zug". Eine solche binäre Versuchsanordnung wäre dem Lyriker und Logiker Oswald Egger wahrscheinlich zu schlicht. In seinem prächtigen Buch "Triumph der Farben" wagt Egger den Dreischritt, und das auf drei Ebenen zugleich: gedanklich mit gehöriger mathematischer Unterfütterung, poetisch mit den für ihn so charakteristischen schelmischen Wortschöpfungen und illustrativ. Er hat das Buch selbst gestaltet, ein Auftragswerk an einen Universalkünstler wie zu Zeiten der Renaissance, sagt Oswald Egger:
    "Das ist für einen Autor ein sehr glücklicher Umstand, so einräumende Bedingungen vorzufinden, wo man etwas, das man vielleicht schon lange mit sich getragen hat, auszuprobieren, zu erproben und umzusetzen und damit zu Vorgängen zu kommen, die sonst nicht oder so nicht möglich gewesen wären."
    2017 veröffentlichte Oswald Egger eine poetologische Untersuchung mit dem Titel "Harlekinsmäntel und andere Bewandtnisse". Nun prangt die Tarotfigur eines Harlekins auf dem Einband von "Triumph der Farben". Außerdem durchziehen den Band, den eine wunderbare Haptik auszeichnet, kolorierte geometrische Figuren. Einmal sind es ruhende Würfel, dann wieder Gestalten zwischen Harlekin und vielgestaltigen Dreiecken, die auf dem Sprung zu sein scheinen. Im Zentrum stehen jedoch die mehr als sechzig zumeist ganzseitigen Farbtafeln: Sie umfassen Quadrate in dreiundzwanzig Reihen zu je acht Dreiergruppen. Dabei reiht sich zum Beispiel ein schwarzes Quadrat an ein russischgrünes und dieses an ein hellgelbes, um sich im Nachbartrio als Russischgrün-Hellgelb-Grasgrün fortzusetzen. Man spürt förmlich, wie die 184 Farbquadrate pro Seite miteinander korrespondieren. Es geht eine starke Energie von ihnen aus, gleichsam eine Kettenreaktion. Was hat es mit diesen sogenannten Buntordnungen auf sich?
    Die Atmosphäre einer Struktur
    "Die Farbtafeln haben natürlich immer dieses Substrat dieses vielen Denkens, das in der Mathematik die reinste Form zu finden weiß, betrieben. Aber in dem Fall war es auch Ausgang des Wortes Triumph, das ideengeschichtlich, religionsgeschichtlich ,Triambus‘, also einen Dreischritt bedeutet. Ich habe den Vorgang selbst des Tuns abgebildet in Dreier-Einheiten, und das ist sehr kompliziert. Wenn man im Buch die Farbtafeln sieht, dann merkt man, dass es eben nicht kindergartenbunt ist, sondern man spürt, ahnt die Atmosphäre einer Struktur, die man vielleicht nicht, zunächst oder unmittelbar, zu lesen weiß, aber implizit doch. Und darum ging es mir auch, dass es nicht so eine einfache lineare Transformation dieser Petrarca-Triumphgedichte ist, sondern dass die Struktur etwas mehr kann und weiß und Vorwissen hat, weil sie eben fußt oder aufgebaut ist auf mathematisches Denken."
    Auf vier Seiten in der Mitte des Buches hat der Autor und Illustrator Egger ein Triangel-Integral zu einem Kaleidoskop angeordnet. Weniger mathematisch begabte Betrachter erinnert das entfernt an das Südquerhausfenster des Kölner Doms, das der Maler Gerhard Richter gestaltet hat. Für seinen sogenannten Farbklangteppich verteilte Richter Quadrate in 72 verschiedenen Farben nach dem Zufallsprinzip. Doch Oswald Egger weist diesen Vergleich von sich.
    "Da muss ich sagen: Meine Struktur kann mehr. Bei Richter ist es schon sehr linear oder lineatorisch und dann eben Spiegelungen, Umkehrungen, Krebs der Umkehrung. Das ist ja alles sehr schön – ich habe es, glaube ich, noch bunter getrieben, indem ich dem Ganzen eine wissendere Struktur untergelegt habe. Und ich meine zu merken, das merkt man auch mehr, als man es spürt."
    Aufgabe des Künstlers sei es, das Geheimnis zu vergrößern, sagte der Maler Francis Bacon. Er hätte damit Oswald Egger meinen können. Es ist immer wieder ein Erlebnis, den Autor selbst lesen zu hören: zu hören, wie er scheinbar zufällig einsetzt, wie er Pausen setzt und das soeben Gesagte mal selbstironisch, mal sprichworthaft nachflackern lässt:
    Ein gläsernes Etwas
    "Die Farbenpaare werden klarer und frischer und kehren zunächst in kleinen Pausen – dann ohne – kaleidoskopartig wieder, etwa wie Straminstickerei. Einzelne Farbenperlchen nebeneinander, die vorwiegend grün-rot, blau-gelb oder braun-rot auf- und abschweben als Kugeln, die sich in die Form eines Luchses, einer Amsel oder eines gläsernen Etwas gießen: nie rot oder grün – nie gelang es mir, rot und grün in die sonst leuchtende Vorstellung hineinzubringen -, wie gelbe, langgezogene Blüten, sternenförmig, beinahe tönerne, hohlgoldene Schellen (die glasen und spucken), wie die Ziegen spieen sie: Aber nur eine solche Glaskuppe schwebt mir vor, molketrüb; dann immer heller, weiß und milchig, und jetzt stieg sie über Sohle und Helm und wird unter Zinnober graurot in die Luft aufgemalt."
    Egger zitiert die antiken Dichter Horaz und Lukrez in seinem "Triumph der Farben". Darin transformiert er Petrarcas Texte "Triumph der Zeit" und "Triumph der Ewigkeit". Er geht aber auch auf das futuristische "Theater der Farben" von Achille Ricciardi ein oder auf die Dreifarbentheorie des Physiologen und Mathematikers Hermann von Helmholtz. Besonders angetan hat es ihm der Szilassi-Polyeder, 1977 benannt nach dem ungarischen Mathematikers Lajos Szilassi. Dieses dynamisch aussehende, variable Objekt hat sieben Seiten und einunzwanzig Ecken.
    "Das sind ja Farbnamen, die einen ganz eigenen Farbraum aufzuspannen vermögen, denke ich oder erfuhr ich so nach und nach. Und man versucht natürlich, eine Art Topologie dieses Farbraums zu denken, zu erzeugen. Und ich habe das mit topologischen Modellen versucht und fand in diesem Szilassi-Polyeder dann einen sehr konzisen und merkwürdigen Gegenstand aus der Mitte des Jahrhunderts, der auch die bildende Kunst, die Minimal Art, sehr inspiriert hat, als Modell sehr tragbar und anwendbar, um mir das sozusagen ,vorstellig' zu machen oder vor Augen zu führen, was da in den Namen sich zuträgt."
    Bockspringen zwischen Theorie und Miniatur
    In "Triumph der Farben" wechseln sich Theorien und poetische Miniaturen wie beim Bockspringen ab. Der semantische Mehrwert dieses einzigartigen Breviers verdichtet sich in mehrseitigen alphabetischen Aufzählungen von Farbbezeichnungen. Da findet sich "Eisenhutblau" neben "Klitschrot" oder "Eichhörnchenrot" neben "Marsgrün" und einer wie auch immer vorstellbaren "Nebenfarbgebung". Durch all das arbeitet sich ein lyrisches Ich hindurch, das, wie immer bei Oswald Egger, arg mitgenommen wird. Denn der Dichter erinnert an die ursprüngliche, längst vergessene Bedeutung des Wortes "Kunter": Laut Grimms Wörterbuch war damit ein Ungeheuer gemeint. "Kunterbunt" hat also durchaus etwas Bedrohliches. Um in das unerschöpfliche Abenteuer von "Triumph der Farben" einzutauchen, genügt laut Oswald Egger übrigens ein Druck mit dem Daumen auf das geschlossene Auge. Die Erprobung erfolgt auf eigene Gefahr:
    "Meine Ausfahrten und Abenteuer zielen nicht so sehr auf Entdeckungen, die ein Land in Sicht ausschreien möchten, sondern immer eher introspektiv das Land in sich zu erkunden suchen. Das kennt man ja von Augendruckbildern: Also nicht, wenn man eine aufs Auge kriegt, sondern einfach, wenn man mal mit dem Daumen draufdrückt und dann bei geschlossenen Augen sieht, was da für Phosphene, für eruptive Leuchtbilder und Schlängeleien und Sternformen herumstieben und beim Einschlafen natürlich auch. Also, nicht das Weltei zu pellen außen, sondern das innere Ei nach außen zu stülpen, und zwar Wort für Wort, silbenhalber."
    Oswald Egger: "Triumph der Farben"
    Schriftenreihe der Kunststiftung NRW Literatur, Band 12
    Lilienfeld Verlag, Düsseldorf. 168 Seiten mit farbigen Illustrationen, 25 Euro.