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Ottessa Moshfegh: "Heimweh nach einer anderen Welt"
Das andere, hässliche Amerika

Ottessa Moshfegh erzählt in ihren Short Storys davon, was für viele US-Bürger heute vom amerikanischen Traum übriggeblieben ist - ein Albtraum voller Ängste, Süchte und Selbsthass. Stur aber verleugnen die "Verlierer" oft ihr Scheitern. Das verleiht diesen grandiosen Erzählungen eine schwarze Komik.

Von Angela Gutzeit | 29.01.2020
Die Schriftstellerin Ottessa Moshfegh
Der Schriftstellerin Ottessa Moshfegh gelingt es, die Tragik des Scheiterns mit komischen Momenten zu mischen (imago-images / Beowulf Sheehan)
Die meisten Geschichten in Ottessa Moshfeghs Erzählungsband lesen sich, als ob die Autorin das Elend in den abgewracktesten Vierteln amerikanischer Städte mit der Muttermilch aufgesogen hätte. So leicht und selbstverständlich taucht sie ein in die Lebenswelten der 'loser', der Drogen- und Alkoholsüchtigen, der arbeitslosen Träumer oder der von miesen Jobs und einem tristen Leben Frustrierten.
"Schon auf den ersten Blick - lila Flecken von Traubenlimonade auf den Kinderhemden, selbst gefärbte Haare, schlechte Zähne – sah man, wie arm die Einwohner von Alna waren. Manche hingen sonnenverbrannt und tätowiert auf dem Standstreifen herum oder fuhren per Anhalter die Route 4 rauf und runter, aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, anzuhalten und einen von ihnen mitzunehmen. Immerhin war ich eine alleinstehende Frau (…) Wilde Teenies, hinkende Männer, blutjunge Mütter, Kinder, die auf dem heißen Beton herumwuselten wie Tauben oder die trägen Ratten im Ort."
Endstation: Der "Zombie"-Busbahnhof
Geschildert wird diese Szene aus der Perspektive einer geschiedenen, schlecht verdienenden Englischlehrerin, die ein Sommerhaus besitzt in Alna, dieser trostlosen Stadt im amerikanischen Bundesstaat Maine. Eigentlich gehört sie mit ihrem Job zu den Privilegierten. Deshalb wäre es naheliegend, sie würde mit größter Zurückhaltung, wenn nicht sogar mit Abscheu auf ihre Umgebung reagieren. Aber diese Frau in den mittleren Jahren sucht geradezu den Kontakt zu den Schmuddel-Existenzen des Ortes. "Ich mische mich unters gemeine Volk" so der Titel dieser Erzählung. Das "gemeine Volk", das sind zum Beispiel die sogenannten "Zombies", die am Busbahnhof lagern, und von denen sie Drogen aller Art bezieht. "Würden sie Alna verlassen, bürgerlich werden oder wegziehen", denkt sie, "wäre auch der Zauber dieses Ortes verflogen." Die Frau ist süchtig und so ziemlich allein. Aber der lapidare Tonfall, der Gleichgültigkeit, aber auch Übereinstimmung mit den schäbigen Verhältnissen signalisiert, verhindert, dass wir sie bemitleiden. Andere Erzählfiguren Moshfeghs überspielen ihr trostloses Dasein mit Großspurigkeit, Überheblichkeit oder Vulgarität.
Oft lässt uns eine überraschende Wendung innerhalb eines einzigen Satzes die psychische Disposition der Figuren erkennen, ihre Versehrtheit durch Kränkungen oder Enttäuschungen. So stimmt das Wort "Zauber" in dem eben zitierten Gedanken der Lehrerin kaum mit der Lebenswirklichkeit in der heruntergekommenen Stadt und ihrer süchtigen Schattengestalten überein. Da wird ein Riss in der Wahrnehmung, im Daseinsgefühl spürbar. "Meinen Freund konnte ich nicht ausstehen, aber die Gegend fand ich gut", sagt eine andere Frau in der Erzählung "Durchgeknallt". Oder in der Geschichte "Hier passiert nie was" heißt es: "Sie war so geschminkt, wie es für die Bühne üblich war, oder bei Toten im offenen Sarg."
Alle machen immer weiter, irgendwie
In manchen von Moshfeghs Storys plätschert das Leben einfach so dahin. Ohne Perspektive. Das Drama steckt in der Aussichtslosigkeit, die einmal beschrittene Abwärtsspur jemals wieder verlassen zu können. So wie in ihrem ersten Erzählstück "Ich bessere mich". Die Ich-Erzählerin hier ist ebenfalls eine Lehrerin. Auch geschieden. Sie arbeitet in einer Nonnenschule und ist alkoholsüchtig. Zum morgendlichen Erbrechen geht sie auf die Toilette. Eine ihrer beiden einzigen Freundinnen ist eine Schülerin. "Von mir lernte sie, heißt es, dass man von Ejakulat nicht dick wird." Wenn ihr im Unterricht nichts mehr einfällt, erzählt sie ihren Schülern "einen Schwank aus ihrem Leben". Zum Beispiel von ihrer Erfahrung, dass die meisten Menschen schon einmal Analverkehr hatten. Sie weiß, dass hier etwas gründlich schief läuft. Schließlich setzt sie ein Kündigungsschreiben auf und will es beim Priester in der Kirche der Nonnenschule abgeben.
"Aber als ich an diesem Tag mit meinem Brief vor der Kirche stand, war sie verschlossen. Ich setzte mich auf die feuchte Steintreppe und trank meine Cola Light zu Ende.
Ein Obdachloser ohne Hemd ging vorbei.
'Bete um Regen', sagte er.
'Okay.'
Ich ging zum McSorley’s und aß eine Schale Silberzwiebeln. Ich zerriss den Brief. Die Sonne schien weiter."
Und so macht diese Frau eben einfach weiter. Manchmal allerdings schlägt in Moshfeghs Erzählungen das Leben plötzlich eine überraschende Volte. Dann reißt der Schleier der Tristesse auf, um den Blick in die Abgründe sexueller Phantasien, zerstörter Beziehungen, Hass oder Selbsthass freizugeben. Eine dieser meisterhaft komponierten Texte trägt den Titel "Der Beach Boy". Ein offensichtlich recht gut situiertes Ehepaar hatte seinen Urlaub in der Karibik verbracht. Die beiden sind seit drei Jahrzehnten verheiratet. Ein vertrautes Paar. Kurz nach dem Urlaub stirbt die Frau. Ihr Mann schaut sich danach die Urlaubsbilder an und entdeckt auf einem kaum belichteten Bild am Ende der Filmrolle einen der Beach Boys, der männlichen Prostituierten vom Karibik-Strand, die seine Frau doch eigentlich immer so energisch abgewehrt hatte. In dem Witwer keimt ein Verdacht und er schmiedet einen abstrusen Plan:
"Sein Plan war, den Jungen aus Marcias Foto zu finden und das mit ihm zu machen, was sie mit ihm in den Dünen getrieben hatte, während er im Bett lag und schlief. Das wäre die Rache, die sein Herz zur Ruhe kommen lassen würde. Es wäre das einzige Abenteuer seines Lebens."
Der Traum vom einzigen Abenteuer zerplatzt wie eine Seifenblase. Zurück bleibt das Gefühl eines verfehlten Lebens.
Groteske Komik des Scheiterns
Ähnlich geht es Mr. Wu, dem kleinen unansehnlichen Chinesen, der in einer Spielhalle eine Angestellte anhimmelt, die allerdings keine Ahnung hat von seinen Träumen. In dem Augenblick aber, als er sie durch einen Trick zu einem Rendezvous bewegen kann, ohne dass sie ahnt, auf wen sie trifft, verwandeln sich Mr. Wus zarte Liebesgefühle in brutale Sexphantasien. Ans Ziel kommt er trotzdem nicht.
Was macht den Reiz dieser Storys aus, die doch eigentlich durchweg von seelischen Verletzungen und bitteren Lebenserfahrungen handeln? Die erste Antwort darauf lautet: Ottessa Moshfegh hat die Gabe, der Tragik des Scheiterns immer wieder auch komische Momente abzugewinnen – ohne ihre Figuren lächerlich zu machen. Es sind vor allen Dingen die Dialoge, die durch Wortwitz und lakonische Coolness bestechen. Die zweite Antwort: Diese 39-jährige studierte Autorin aus einer Musikerfamilie hat ein enormes Gespür für soziale und psychische Schieflagen. Die Sprünge und Balanceakte ihrer Figuren, die das Leben oft nur zugekokst oder betrunken ertragen können, wirken schrecklich, aber merkwürdigerweise auch ein wenig vertraut. Es ist diese Sehnsucht nach der Korrektur eines Lebens, das sich entfremdet anfühlt, ein Gefühl, das wir hin und wieder in der einen oder anderen Weise mit ihnen teilen.
Fremd im eigenen Leben
In der letzten Erzählung dieses grandiosen Buches, übrigens treffsicher übersetzt von Anke Caroline Burger, treibt die Autorin allerdings Entfremdung und Lebenshass so auf die Spitze, dass nur noch der Tod als Ausweg bleibt – aus dem brennenden Wunsch heraus, an einen vermeintlich besseren Ort zu gelangen. So auch der Titel: "Ein besserer Ort". Ein Geschwisterpaar, insbesondere das Mädchen, fühlt sich in ihrer Abneigung gegenüber der Mutter wie auch der Welt überhaupt so fehl am Platz, dass sie sie durch ein Loch, an dessen Existenz sie fest glaubt, verlassen will.
"Meine Gedanken wandern plötzlich zu dem Friedhof, der schweren, schwarzen Erde, die dort ausgehoben wurde, um Platz für unseren Vater zu machen. Ob mein Körper wohl hier zurückbleibt, wenn ich durch das Loch an den anderen Ort gehe?"
Diese Erzählung, so war zu lesen, soll der Autorin die liebste sein.
Ottessa Moshfegh: "Heimweh nach einer anderen Welt." Storys.
Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger.
Liebeskind Verlag, München.
336 Seiten. 22.- Euro.