Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Out of Kuba

Kuba hat eine lange Tradition großartiger Sporterfolge und Weltklasseathleten. Doch seitdem die internationalen Dopingkontrollen verschärft wurden, gibt es einen spürbaren Bruch. Und vor allem die politische Isolierung der Athleten auf der Zuckerinsel schafft Probleme.

Von Niklas Schenck | 30.01.2011
    Bei fast jedem Auslandsstart bleiben kubanische Sportlerinnen und Sportler zurück und bitten um politisches Asyl. Inzwischen gibt es eine regelrechte Fluchtbewegung. Auch der Kunstturner Charlie Tamayo gehört zu denen, die ihrem Land den Rücken gekehrt haben.

    "”Every time the Olympics come around it's devastating It's a very sick feeling knowing that you could be there, but because you made decisions, that I don't regret, you couldn't be there. Watching the Olympics and seeing that I could do stuff there it was just killing me, it ate me alive

    Während der Olympischen Spiele geht es mir jedes Mal schlecht. Zu wissen dass ich dabei sein könnte und Chancen hätte, wenn ich mich nur anders entschieden hätte. Das macht mich fertig.""

    Schon 2004 in Athen wäre Charlie Tamayo reif gewesen für eine olympische Medaille am Sprung, spätestens aber 2008 in Peking. Stattdessen sitzt er in seiner kleinen Küche in Houston und erzählt von seinem letzten Wettkampf vor sieben Jahren. Schon mit 19 hatte Tamayo WM-Bronze am Sprung geholt, und 2002 gewann er in Cottbus seinen ersten Weltcup. Tamayo trainierte hart, er wollte seiner Familie ein besseres Leben schenken. Ein Schock, als ihm der Verband nach dem Weltcupsieg das Preisgeld wegnahm:

    ""Pedí un telefono para cada vez que estaba en la escuela o entrenando y quería hablar con mi mama, se me hacia facil llamarla - tampoco! Si yo hice historia, si yo hago lo que nadie ha hecho, y no me pueden dar un telefono - que puedo esperar? Alli me di cuenta de que no habia futuro.

    Ich bat wenigstens um ein Telefon für meine Familie, um aus dem Internat meine Mutter anrufen zu können - keine Chance. Ich schrieb Geschichte, und sie konnten mir nicht mal ein Telefon geben. Was sollte ich da noch erwarten? In Kuba gab es keine Zukunft für mich"".

    Zu viele frühere Olympiasieger hatte Tamayo schon gesehen, die an der Straßenecke Erdnüsse verkauften, Boxer zum Beispiel. Mitte 2003 sollte er Kuba bei der WM im kalifornischen Anaheim zur Olympiaqualifikation führen - mit einem gebrochenen Fuß. Er trat an, aber er war es leid, Opfer zu bringen ohne Lohn. Dass man ihm die Schuld am Scheitern gab, hörte er schon nicht mehr. In der Nacht nach dem Finale flüchtete Tamayo aus dem Mannschaftshotel und bat um politisches Asyl in den USA. Ein Mannschaftskamerad war sein Komplize, ein Jahr lang hatten sie ihre Flucht geplant. Tamayo hat Tränen in den Augen, als er sich erinnert:

    "”That was the scariest thing I've ever done in my life. I woke up the next day and said "I did it”. And I knew I couldn't go back, cause if I got on the plane I knew I would go to jail.

    Ich hatte nie zuvor solche Angst gehabt. Am nächsten Tag wachte ich auf und wusste, das war's. Wenn ich jetzt zurückgehe, muss ich ins Gefängnis""

    Seit der Baseballspieler Rene Arocha 1991 desertierte, haben Dutzende kubanischer Spitzensportler ihr Glück in den USA versucht, vor allem Baseballspieler und Boxer. Damit sie trotz des bestehenden Handelsembargos Verträge bekommen, müssen sie ihre kubanische Staatsbürgerschaft aufgeben. Wie Tamayo müssen sie damit leben, ihr Land und ihre Familien vielleicht nie wiederzusehen:

    "”Todos mis hermanos y hermanas tienen ninios, y saber que estan creciendo sin que los vea. Tienen un tio en Estados Unidos pero no saben quien es, nunca lo han visto, nunca le han dado un abrazo, nunca le han dado un beso. Yo creo que eso es lo peor de todo.

    Meine zwei Neffen haben einen Onkel in den USA, den sie noch nie gesehen haben, den sie noch nie umarmt haben, dem sie noch nie einen Kuss gegeben haben. Das ist das Schlimmste.""

    Abtrünnige Sportler gelten als Verräter der Revolution. "Wir kennen hier keinen Charlie Tamayo" hieß es kalt beim kubanischen Verband, als der frühere US-Cheftrainer Francis Allen 2004 ein internationales Startrecht für ihn erwirken wollte. Fidel Castro schaffte 1961 den Profisport in Kuba ab und brandmarkte ihn als "Sklaventum". Doch auch ohne Gehalt haben manche Sportler gewisse Privilegien - Turner zählen nicht dazu:

    "”Hay excepciones, pero todo depende de quien tu eres. Si eres pelotero, estas bien. Si eres boxeador, estas bien, si eres Ana Fidelia, estas bien, si eres uno de la gente especiales para Fidel, estas bien. Si no entras en este circulo, estas frito (lacht).

    Alles hängt davon ab wer Du bist. Bist Du Fußballer oder Boxer oder Ana Fidelia, Fidels Liebling, dann kannst Du gut leben. In allen anderen Fällen bist Du im Eimer.""

    Nach seiner Flucht in Anaheim ahnte Tamayo nicht, dass seine Odyssee erst begonnen hatte. Während auf Baseballspieler oft Millionenverträge warten, wartete auf Charlie Tamayo ... niemand. Exilkubaner halfen ihm aus, die ersten Wochen schlug er sich auf Baustellen durch, später mit Gelegenheitsjobs als Trainer, ohne Papiere. Als er 2006 die Videos aufnahm, die ihn bei Youtube bekannt machten, hatte er schon drei Jahren nicht trainiert. Seine Flucht bereut er nicht:

    "”I just came to sacrifice my life for the people I loved, and I would do this again a hundred times, over and over and over, with no regrets. I love this place and want to live here for the rest of my life, but I want to go back home, too, whenever I want to. I'm free, but I'm stuck.

    Ich habe ein Opfer gebracht für Menschen, die ich liebe, und ich würde es wieder machen. Ich liebe dieses Land und will mein Leben hier verbringen - aber ich will auch zurück gehen können, wann ich will, und das ist der Unterschied: Ich bin frei, aber ich stecke auch fest.""

    Immerhin: Tamayo durfte bleiben, er heiratete eine Turnerin und arbeitet seit 2007 als Trainer in San Diego. Seinen Frieden aber hat er nicht gefunden. Er wendet ein Foto seiner Mutter zwischen den Fingern. Mit 13 versprach er ihr, er werde Kubas erste Olympiamedaille im Turnen gewinnen:

    "”That's a promise I couldn't keep at the time, but I still wanna go to the Olympics and win my gold medal, regardless of what flag, what country I represent, I just wanna get my medal.

    Das Versprechen konnte ich bisher nicht halten. Aber ich will immer noch zu Olympia und meine Goldmedaille gewinnen. Egal unter welcher Flagge, egal, für welches Land.""

    2009 begann Tamayo wieder mit dem Turnen, in Houston trainiert er mit Jonathan Horton, dem WM-Dritten und derzeit besten US-Amerikaner. Heute sollen sie nur ein leichtes Krafttraining machen. Die beiden scherzen miteinander und treiben sich gegenseitig zu Höchstleistungen an. Jonathan Horton:

    "”I'd heard of him before but I went on Youtube and looked him up. And it was right there that I thought "wow, this guy is amazing, this guy is absolutely ridiculous. This guy he can push me, he can make me a better gymnast, he's fantastic at what he does.

    Ich hatte von ihm gehört, aber erst als ich ihn noch mal bei Youtube sah, verstand ich wie unfassbar dieser Typ ist. Ich wusste: Der kann mich zu einem besseren Turner machen.""

    Der Trainer Tom Meadows muss die beiden bremsen, vor allem Tamayo, inzwischen fast 30 Jahre alt, vergisst leicht, dass sein Körper heute mehr Zeit braucht als früher:

    "”He has that desire, he wants things so much RIGHT NOW, and he has to understand that he hasn't competed in 7 years, and it doesn't come back in three weeks. But I think with the events that he's strong at, I think he would be a major contributor and can really put himself up there on our Olympic team ... help us out where we're a little weak.

    Er hat diesen Ehrgeiz, alles JETZT zu schaffen, aber er muss lernen, dass nach sieben Jahren ohne Wettkampf nicht alles einfach so zurückkommt. Aber mit den Geräten, an denen er besonders gut ist wäre er eine echte Verstärkung für das amerikanische Team.""

    Das Problem: Seit dem 11. September 2001 können Sportverbände eine Einbürgerung kaum noch beschleunigen. Diesen Herbst soll Tamayo endlich einen amerikanischen Pass bekommen, vielleicht rechtzeitig für Olympia 2012 in London - es wäre seine letzte Chance.
    Für die Exilkubaner gelten Sportler wie Charlie Tamayo als Helden, die sich einer Diktatur widersetzen. Doch er selbst verfolgt keine politische Agenda. Er will nur seiner Familie helfen. Seine Frau ist schwanger mit Zwillingen, und Tamayo kann sich nicht einmal eine Versicherung leisten:

    "”If I can make the Olympics it will change my future, drastically. I will help my family here, I will help my family in Cuba a lot. I don't want my kids to suffer like I did when I was young. If I go to the Olympics my kids' future is safe.

    Wenn ich es zu Olympia schaffe, kann ich meiner Familie hier und meiner Familie in Kuba sehr, sehr helfen. Ich will nicht, dass meine Kinder leiden wie ich, als ich klein war.""

    Beim "Winter Cup" Las Vegas durfte Tamayo im letzten Februar erstmals starten, und schlug die amerikanische Elite. Nächste Woche findet das Turnier wieder statt, doch diesmal sind nur amerikanische Staatsbürger startberechtigt. Charlie Tamayos Flucht geht weiter, und ihm läuft die Zeit davon.