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Ozeanischer Höllenritt

Menschen über das Meer zu fliegen, galt in der Frühzeit des Luftverkehrs als extrem schwierig. Die Luftfahrt-Pioniere arbeiteten sich bei großen Seedistanzen vorsichtig von Insel zu Insel vor. Erst im Juni 1919 gelang zwei englischen Piloten die Überquerung des Atlantiks in einem Rutsch.

Von Mathias Schulenburg | 14.06.2009
    Die Landung war butterweich, denn die Briten John Alcock und Arthur Whitten Brown sanken mit ihrem Flugzeug irrtümlich in einen Sumpf nahe der irischen Stadt Clifden. Seit ihrem Start tags zuvor, am 14. Juni 1919, waren sie in drangvoller Enge durch Nacht, Nebel und Schneeregen geflogen und hatten großen Misslichkeiten getrotzt. Die begannen damit, dass nach kurzer Flugzeit ihr Radiosender versagte; ebenso die Kopfhörer, die eine Verständigung durch den Motorenlärm hindurch möglich machen sollten. Die beiden behalfen sich, indem sie einander auf die Schultern tippten und Grimassen schnitten. Arthur Whitten Brown, der Navigator, schrieb seine Kurswünsche auf Zettel, die er dem Piloten zeigte.

    Brown:

    "Our plane was one of the big Vickers Vimy bombers being built at the end of the war to bomb Berlin. A big by last war standards anyhow. It had two engines of 350 hp each. Its cruising speed was 90 miles an hour, but with the wind behind us, we reached a hundred and twenty. We came across the atlantic in 16 hours, not so bad for 1919, but it wasn't a pleasant trip."

    "Wir flogen einen dieser großen Vickers-Vimy-Bomber, die am Ende des Krieges für die Bombardierung Berlins gebaut worden waren, mit zwei Motoren zu je 350 PS. Damit flog man normalerweise mit 144 km/h. Der Rückenwind brachte uns schon auf 190 km/h. So kamen wir in 16 Stunden über den Atlantik, nicht schlecht für 1919, aber schön war's nicht."

    Die Zeit war günstig für diese Pioniertat: Der Erste Weltkrieg hatte zahlreiche Militärflugzeuge hinterlassen, wie auch Männer, die sie fliegen konnten.

    Alcock und Brown waren tatsächlich die ersten, die den Atlantik non-stop überflogen, Charles Lindberg dagegen gebührt die Ehre, dies erstmals allein getan zu haben.

    Fast hätten es Alcock und Brown nicht geschafft. Nach dem Start fing der rechte Motor an, laut und rhythmisch zu bellen, wie ein Maschinengewehr aus nächster Nähe. Ein Stück des Auspuffs hatte sich gelöst und vibrierte im Abgasstrom wie das Rohrblatt in einer Orgelpfeife. Es wurde erst rot, dann weißglühend und zerbröselte schließlich, so dass drei Zylinder ohne Verkleidung waren.

    Brown beobachtete ängstlich, wie ein kleines Flämmchen aus dem defekten Auspuff leckte und einen Spanndraht rot glühend machte – glücklicherweise folgenlos.

    Die Navigation war ausgesprochen schwierig.

    "We had no radio to guide us, we had fog nearly all the way across. I saw the sky ones for long enough to fix our position by the stars."

    "Wir hatten keine Funkverbindung, und ständigen Nebel. Nur einmal sah ich den Sternenhimmel lange genug, um unsere Position bestimmen zu können."

    Lange Zeit flog die Vickers Vimy zwischen zwei dichten Wolkenschichten, die sowohl die Sicht auf das Meer als auch auf Sonne, Mond und Sterne verdeckten. Brown musste sich auf sein navigatorisches Gefühl verlassen. Dann, um drei Uhr morgens, verschwand die Maschine in einer dicken Wolkenbank.

    "We sat in an open cockpit with the sleet driving against and obscuring the windscreen, than ice began to form all over the wings and clogged the ailerons hinges, causing the plane to get into a dangerous spin. She spun out of the clouds and came off just above the waves."

    "Wir saßen in einem offenen Cockpit, Schneematsch verkleisterte die Windschutzscheibe, Eis bildete sich auf den Tragflächen und blockierte die Seitenleitwerke. Das Flugzeug stürzte kreiselnd aus den Wolken und kam erst knapp über den Wellen zur Ruhe."

    Die Piloten hatten ihre Orientierung so gründlich verloren, dass ihnen die plötzlich auftauchende See wie eine senkrecht stehende riesige Wand vorkam. Die Maschine fing sich erst 15 Meter über der Wasseroberfläche.

    Das Wetter wurde immer schlechter, schwerer Regen setzte ein, gemischt mit Hagel und Schnee. Schneematsch verdeckte die Treibstoffanzeigen. Der Navigator musste auf den Flugzeugrumpf klettern und die Anzeigen freiwischen:

    Brown musste mehrmals raus. Die Tat – an sich bemerkenswert genug – wurde von der Presse später noch gewaltig aufgeblasen: Brown habe Eis von den Tragflächen hacken müssen.

    Gegen 8.15 Uhr schließlich kam Irland in Sicht. Dann ... die Landung im Sumpf.

    England raste vor Begeisterung. Winston Churchill persönlich, damals Außenminister, überreichte den Fliegern den eigentlichen Grund für die Heldentat – ein Preisgeld von 10.000 Pfund, das Lord Northcliffs Daily Mail ausgelobt hatte und an dem die Piloten ihre Mechaniker beteiligten. Ein paar Tage später wurden die Glücklichen von König George V. in den Adelsstand erhoben.

    Sir John Alcock verunglückte noch im selben Jahr tödlich – bei einem Routineflug.