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"Pädagogische Konzepte fehlen"

Die Einführung der Gemeinschaftsschule ist derzeit das zentrale Thema der grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg. Die Lehrergewerkschaft GEW beklagt die hohe Arbeitsbelastung und vermisst pädagogische Konzepte bei den Reformvorhaben im Bildungsbereich.

Von Michael Brandt | 20.04.2012
    Grundsätzlich ist die Lehrergewerkschaft GEW gut auf die neue grün-rote Landesregierung zu sprechen. Vorsitzende Doro Moritz formulierte es heute Vormittag so:

    "Die GEW Baden-Württemberg freut sich über den Regierungswechsel."

    Die Freude bezieht sich auch auf den Koalitionsvertrag, in dem Bildung als das Thema benannt wird, an dem die Baden-Württemberger den Regierungswechsel am deutlichsten merken sollen. Allerdings, so Doro Moritz:

    "Jetzt tritt eine gewisse Ernüchterung ein."

    Das wichtigste Thema in der baden-württembergischen Bildungspolitik ist derzeit die Einführung der Gemeinschaftsschule, die zum Schuljahreswechsel in den ersten 40 Schulen kommen wird. Auch hier gilt aus Sicht der GEW: vom Ansatz gut, in der Umsetzung mangelhaft:

    "Wir machen jetzt die Erfahrung, dass die Landesregierung zwar die gesetzlichen Regelungen für Reformvorhaben verabschiedet, das uns aber fehlt, das dahinter pädagogische Konzepte fehlen …"

    … mit denen die Lehrer dann etwas anfangen könnten. Besonders laut wird die Kritik, wenn es um SPD-Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer geht:

    "Das haben wir gestern bei der Kultusministerin eingefordert, leider ohne konkrete Antworten darauf zu bekommen."

    Umso größer waren heute die Erwartungen, als Ministerpräsident Winfried Kretschmann seine bildungspolitische Grundsatzrede hielt. Zwar erwarte man von dem gelernten Lehrer und noch immer GEW-Mitglied Kretschmann nicht die Details zur Gemeinschaftsschule. Aber eben doch ein Zeichen, dass die Landesregierung erstens die Lehrer und ihre Situation wertschätzt. Und dass sie sich zweitens bemüht, ihre Arbeitsbelastung zu verringern und mehr Mittel in die Bildung zu stecken. Die Antwort des Ministerpräsidenten:

    "Sie haben bei mir da teilweise ein sehr offenes Ohr. Teilweise höre ich aber ziemlich schlecht. Sie müssen einfach sehen, die Haushaltssanierung steht in der Verfassung, und die müssen wir machen, und die ist auch richtig."

    Bis 2020 müssen in Baden—Württemberg pro Jahr strukturell 2,5 Milliarden eingespart werden, so der Ministerpräsident, und es sei schon schwierig genug gewesen, die Mittel für die Bildung im aktuellen Haushalt nicht zu kürzen, sodass die sogenannte demografische Rendite, also die Lehrerstunden, die durch den Rückgang der Schülerzahl frei werden, im System bleibt. In Zukunft könne er das nicht garantieren. Auch wenn die GEW es fordert:

    "Knappheit führt zu Kreativität, und ein Haushalt kann nicht ewig wachsen, also müssen wir Aufhören mit dem Schuldenmachen. Hätten wir keine Schulden, dann hätte ich zwei Milliarden mehr und könnte alle ihre Wünsche erfüllen."

    Die Lehrer murrten hörbar, aber Kretschmann blieb dabei. Es wird nicht mehr Geld für die Bildung geben. Er sei gesprächsbereit, was die Umsetzung der Reformen gehe. Er sei gesprächsbereit, was mögliche Entlastungen der Lehrer angeht, zum Beispiel durch weniger Klassenarbeiten. Aber daran, das Deputat, also die Unterrichtsverpflichtung zu verringern, sei nicht zu denken. Im Gegenteil, es sei sogar vorstellbar, es zu erhöhen.

    Und das war das Bemerkenswerte an diesem Besuch des Ministerpräsidenten bei der GEW: Trotz dieser grundsätzlichen Meinungsverschiedenheit applaudierten die Lehrer am Ende dennoch laut für ihren Ex-Kollegen und Ministerpräsidenten.