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Pakistan: Versäumnisse im Umweltschutz

Pakistan versinkt im Wasser. Die starken Regenfälle gelten aber nicht als einziger Grund für die Jahrhundertflut. Zerstörte Wälder, begradigte Flüsse, abgegraste Weideflächen und ausufernde Städte verschärfen die Situation zusätzlich.

Von Jutta Schwengsbier | 18.08.2010
    Das Dorf Nisetta im Nordwesten Pakistans wurde buchstäblich über Nacht weggespült, erzählt Badahar Gul. Ohne jede Vorwarnung. Der Bauer hat alles verloren, als der Fluss Kabul über seine Ufer trat.

    "Es war 3:00 Uhr nachts, als das Wasser kam. Nach fünf Minuten stand es schon eineinhalb Meter hoch. Drei meiner Kinder ertranken. Sie wurden erst vier Tage später gefunden. Ich habe mich an einem Baum festgeklammert. Das Wasser stand mir schon bis zum Hals, als ein Regierungsboot kam und den Rest meiner Familie gerettet hat. Wir haben alles verloren. Unser Haus, unser Land, unser Vieh. Selbst die Kleidung, die wir tragen, haben wir von Fremden geschenkt bekommen."

    An einen Regen wie in diesem Jahr können sich weder Bahadar Gul noch die ganz Alten erinnern. Der Monsunregen überschwemmt von Mai bis August regelmäßig weite Landstriche in Pakistan. Doch in diesem Juli fiel drei bis zehn Mal soviel Regen wie sonst. Zudem wurde in diesem Jahr auch die höchste Durchschnittstemperatur in diesem Jahrhundert gemessen. Pakistanische Gletscherforscher gehen deshalb davon aus, dass neben den starken Regenfällen auch die beschleunigte Schneeschmelze im Himalaya zu den Überschwemmungen beigetragen hat. Das Ausmaß der Krise ist jedoch nicht nur durch Klimaveränderungen zu erklären, glaubt Riaz Khattak. Er ist Professor für Umwelt- und Bodenwissenschaften an der Universität Peshawar.

    "Wir haben die Wälder zerstört, die bislang das Wasser aufgehalten haben. Das ist die eigentliche Ursache des Desasters. Zusätzlich wurde zu viel Vieh gehalten. Die Weideflächen sind völlig kahlgefressen. Unsere Nachbarn aus Afghanistan sind auch noch mit ihrem Vieh zu uns gekommen. Deshalb ist in unserer Region alles Grün verschwunden und der Boden ist völlig ungeschützt."
    Riesige Waldflächen in Pakistan wurden als Feuerholz oder zum Hausbau gerodet. Die Bevölkerung Pakistans wächst jedes Jahr um rund eine Million Menschen, auf inzwischen 160 Millionen. Seit der Unabhängigkeit Pakistans 1947 hat sich die Bevölkerungszahl mehr als vervierfacht. Direkte Folge dieser Bevölkerungsexplosion sind ein Raubbau an der Natur und ausufernde Städte.

    "Das ist ein weiterer Grund für die Umweltkatastrophe: Wir haben Wasserwege blockiert und Flüsse begradigt. Außerdem bauen wir unsere Häuser und Städte ohne jede Planung. Deshalb gibt es auch keine Drainagesysteme."

    Pakistan hat durch diese Flut große Teile der Ernten von Mais, Reis, Gemüse und Zuckerrohr verloren. In vielen Gebieten sind weder Nahrungsmittel zu kaufen noch ist sauberes Wasser zu finden. Am schlimmsten seien aber die langfristigen Folgen, fürchtet Riaz Khattak.

    "Die Flut hat in großen Regionen die Bewässerungssysteme der Landwirtschaft zerstört. Straßen, Schulen, die ganze Infrastruktur ist weg. Diese Jahrhundertflut hat Pakistan nach Einschätzung unserer Regierung in seiner Entwicklung 50 Jahre zurückgeworfen."

    Damit so eine Jahrhundertflut nicht in wenigen Jahren erneut das ganze Land verwüste, müsste Pakistan vor allem in den Umweltschutz investieren, glauben Experten. Ohne langfristige internationale Hilfe sei das aber nicht zu schaffen.