Freitag, 29. März 2024

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Pakistanischer Wahlsieger Imran Khan
Säkularer Reformer oder Opportunist?

Der Wahlsieg von Imran Khan in Pakistan wird von Betrugsvorwürfen überschattet. Der Politologe Jochen Hippler sagte im Dlf, es gebe Anzeichen dafür, dass die Wahl nicht fair gewesen sei. Khan sei dennoch wahrscheinlich der legitime Sieger. Für welche Politik er stehe, sei allerdings unklar.

Jochen Hippler im Gespräch mit Peter Sawicki | 27.07.2018
    Der pakistanische Politiker Imran Khan hält eine Rede in Islamabad.
    Der ehemalige Cricket-Star Imran Khan hat die Parlamentswahl in Pakistan gewonnen. (dpa / picture-alliance)
    Peter Sawicki: Gestern hatte er sich schon zum Sieger gekrönt; jetzt ist auch das offizielle Ergebnis bekannt. Imran Khan hat die Parlamentswahl in Pakistan gewonnen – ein Außenseiter, der sich jetzt durchaus überraschend durchgesetzt hat.
    Pakistan hat gewählt, ein Außenseiter geht als Sieger hervor. Doch was bedeutet das jetzt eigentlich für das Land und für die Region? Darüber sprechen wir mit dem Politologen und Südasien-Experten Jochen Hippler von der Uni Duisburg. Guten Tag, Herr Hippler!
    Jochen Hippler: Guten Tag, Herr Sawicki.
    "Viele Hinweise, dass der Wahlprozess nicht richtig funktioniert hat"
    Sawicki: Im Vorfeld hieß es, dass das Ganze eine historische Wahl werden würde. Ist es das geworden?
    Hippler: Na ja, das hat man bei den letzten Wahlen auch schon immer gesagt, und immer war es nie ganz richtig und nie ganz falsch. Es ist jetzt das dritte Mal, dass ein Präsident abgesetzt und ersetzt worden ist durch einen neuen, oder ein neues Parlament gewählt worden ist, nachdem das alte seine Amtsperiode zu Ende führen konnte. Das ist jetzt nicht mehr ganz so neu, wie es mal war. "Historisch" ist tatsächlich, dass jetzt mal ein Ministerpräsident wahrscheinlich regieren wird, der weder zur Muslim-Liga, noch zur Volkspartei gehört, und das ist tatsächlich neu. Aber so ganz schrecklich neu ist es auch nicht; man hat sich in den letzten vier, fünf Jahren schon an die Partei gewöhnt.
    Sawicki: Es gibt jetzt viele Vorwürfe, vor allem von der Muslim-Liga, die unterlegen ist, in Sachen Wahlmanipulation. Sagen die das nur, weil sie verloren haben?
    Hippler: Nicht nur. Es gibt tatsächlich viele Hinweise dafür, dass der Wahlprozess nicht richtig funktioniert hat. Viele Wähler haben wohl gar nicht geschafft, ihre Stimme abzugeben, weil die Organisation schlecht war. Es gab tatsächlich Auszählungsprobleme. Manche Beobachter der Parteien hat man nicht wirklich informiert und kein Dokument gegeben, wo die Wahlkreise, die Endzahlen amtlich festgestellt worden sind. Es gibt eine ganze Reihe von Hinweisen, dass das nicht besonders gut organisiert, auch nicht ganz fair gewesen ist. Trotzdem muss man schon darauf hinweisen, dass auch bei unabhängigen Meinungsumfragen in der letzten Zeit die Partei von Imran Khan vorne gelegen hat – nicht mit so einem großen Abstand wie jetzt, aber das hängt natürlich auch vom Mehrheitswahlsystem Pakistans ab, dass ein paar Prozent mehr dann durchaus mehr Sitze im Parlament nach sich ziehen. Eine Überraschung war es nicht wirklich und man muss jetzt noch mal die Auszählung ganz abwarten. Es fehlen noch 13 Wahlkreise, aber eigentlich ist jetzt klar, dass Imran Khan wirklich gewonnen hat.
    Militär stellt Eigeninteressen über die des Landes
    Sawicki: Diese Manipulation, auch diese Unregelmäßigkeiten, die Sie schildern, die es offenbar gegeben hat, die es immer wieder gegeben hat in den letzten Jahren, obwohl das Land sich auf den ersten Blick politisch weiterentwickelt hat, wenn zum dritten Mal in Folge eine zivile Regierung neu gewählt wird – warum gibt es in dem Land diese Schwierigkeiten?
    Hippler: Es gibt unter anderem Schwierigkeiten, weil das Militär tatsächlich – darauf ist auch eben schon hingewiesen worden – häufig die Eigeninteressen über die des Landes stellt und versucht, hinter den Kulissen die Fäden zu ziehen, unabhängig davon, wer die Wahlen gewinnt. Das ist sicher ein Problem.
    Es gibt aber auch ein Problem außerhalb des Militärs, weil in gewissem Sinne, gleichgültig wer die Wahl gewinnt, bestimmte soziale Gruppen, bestimmte Familien eigentlich seit Jahrzehnten immer den Drücker an der Macht behalten und sich im Wesentlichen durch eine gierige Form von Selbstbereicherung und durch Korruption auszeichnen. Das sind zwei wichtige Gründe; man könnte sicher noch ein paar mehr sagen, die Pakistan wirklich die Schwierigkeiten nicht überwinden lässt.
    "Das Problem ist seine Undurchsichtigkeit"
    Sawicki: Dann schauen wir mal etwas genauer auf den Wahlsieger Imran Khan in Pakistan, eine prominente Figur, ein früherer Cricket-Spieler, ein Cricket-Star. Kann er ein Land mit 200 Millionen Menschen effektiv regieren?
    Hippler: Niemand kann das allein. Niemand kann das auch im Moment gegen das Militär. Und es ist noch ein zusätzliches Problem, dass der Staatsapparat in Pakistan einfach sehr deformiert ist, will ich mal sagen. Es gibt Teile des Staatsapparates, die sind eher überentwickelt. Dazu gehört gerade der Militärgeheimdienst oder auch das Militär. Andere Elemente sind ganz grauenvoll unterentwickelt. Die Steuerbehörden, die Polizei, andere Elemente des Staates funktionieren einfach nicht wirklich. Und natürlich wäre es schön, wenn man ein so kompliziertes, schwieriges Land regieren möchte, dass man zumindest einen funktionierenden Staatsapparat zur Verfügung hat, und die Schwäche des Staates in vielen Bereichen wird von Regierenden aller Parteien – das gilt für die Muslim-Liga, das gilt für die Volkspartei von der Familie Bhutto – in der Regel dadurch ausgeglichen, dass man manchmal am Staat vorbei Netzwerke wichtiger Männer in Distrikten, in Provinzen einspannt, um das Land tatsächlich regieren zu können. Das Problem ist durch den Machtantritt oder den Amtsantritt von Herrn Imran Khan sicher nicht behoben worden.
    Sawicki: Sehen Sie in seiner Agenda Ansätze, dass er damit anfängt, die Schwierigkeiten zu lösen?
    Hippler: Das Problem mit ihm scheint mir nicht so sehr seine politische Ausrichtung zu sein, sondern mehr seine Undurchsichtigkeit. Er gibt häufig den säkularen Reformer. Er ist der Beckenbauer Pakistans. Cricket ist das, was Fußball ist, und er hat die Mannschaft damals zur Weltmeisterschaft geführt. Daher zieht er seine Bekanntheit und Legitimität. Aber wenn er heute den säkularen Reformer gibt, gibt er dann morgen jemanden, der tief auch in religiösen Sachen verwurzelt ist. Der Opportunismus pakistanischer Spitzenpolitiker ist bei ihm sicher auch noch mal stärker gewesen, und unser Problem ist jetzt, heute einzuschätzen: Wenn er bestimmte bedenkliche und auch dumme Sachen über die Rolle der Religion sagt, wie er das jetzt kürzlich gesagt hat, meint er das so.
    "Er redet viel, aber das, was er redet, widerspricht sich häufig"
    Sawicki: Was denn zum Beispiel?
    Hippler: Na ja, zum Beispiel, dass er bestimmte Gesetzgebungen von der Militärdiktatur Sia Ul Hak, die sehr scharfe religiöse Zwangsmaßnahmen eingerichtet haben, zum Beispiel die Todesstrafe für Gotteslästerung, dazu hat er jetzt kürzlich sich geäußert, dass das irgendwie für ihn ganz in Ordnung wäre. Aber niemand weiß, ob er das tatsächlich ernst meint, oder ob er, der eine Geschichte hat von Playboy im Ausland, ein ziemlicher Lebemann gewesen zu sein, in welchem Maße er noch so funktioniert. Wir wissen einfach relativ wenig. Er redet relativ viel, aber das, was er redet, widerspricht sich häufig. Deswegen kann man sehr schwer projizieren, was er nun wirklich tun wird, wenn er an der Macht ist.
    Das einzige, was wir konstant bei ihm haben – und das teilt er mit vielen Pakistanern -, ist, dass er ständig sehr massiv gegen Korruption wettert. Das ist aber nun eine Sache, was vom säkularen Bereich bis in den fundamentalistisch-religiösen Bereich eigentlich Konsens ist. Insofern sagt uns das nicht so viel.
    Sawicki: Kann ich Ihren Worten entnehmen, in denen Sie die schwierige Lage in Pakistan geschildert haben, und dieses widersprüchliche Programm, widersprüchliche Aussagen von Imran Khan dazugestellt haben, dass er nicht der richtige Mann ist, um das Land nach vorne zu bringen?
    Hippler: Wir können uns ja keinen backen in Pakistan. Das heißt, wir haben keinen richtigen Mann.
    "Die Alternativen sind wirklich auch nicht so richtig appetitlich"
    Sawicki: Es gibt keinen anderen, keinen besseren?
    Hippler: Im Moment erkennt man niemanden, der glaubwürdiger oder besser wäre. Das heißt, die Familie von Nawaz Sharif, der jetzt ja wegen Korruption im Gefängnis ist, und sein Bruder, das ist eine Gruppe, ein Netzwerk von Leuten, von denen jeder Pakistaner Ihnen sagen würde, dass sie bis über beide Ohren korrupt sind. Die Unterstützer bringen zu seiner Verteidigung in der Regel vor, dass er zwar Geld gestohlen hat, aber es im Gegensatz zur Familie Bhutto nicht in die Schweiz gebracht hat oder nach England, sondern in Pakistan investieren würde. Das ist doch besser. – Und die Familie Bhutto, die jetzt von einem sehr jungen, von dem Sohn von Benazir Bhutto geführt wird, aber immer noch die Fäden ein bisschen der Vater Zardari in der Hand hat, der mal Präsident war, dessen Spitzname im Land ist Mr. 15-Prozent, weil er wirklich mindestens wahrscheinlich noch korrupter ist, als Nawaz Sharifs Familie das gewesen ist. Das sind die beiden Gegenpole, die großen.
    Dann haben wir noch ein kleines islamistisches Bündnis. Die kriegen in Pakistan immer nur zwischen zwei und fünf Prozent, sind keine wirkliche Alternative. Und dann gibt es noch ein paar Regionalparteien. Insofern: Die Alternativen zu ihm sind wirklich auch nicht so richtig appetitlich.
    Sawicki: Heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk der Politologe Jochen Hippler zur Parlamentswahl in Pakistan. Vielen Dank, dass Sie für uns Zeit hatten.
    Hippler: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.