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Paläanthropologie
Von gefälschten Fossilien und zweifelhaften Funden

Aufrecht gehende Affen im Allgäu und der Unterkiefer eines Orang-Utans: In der Geschichte der Paläanthropologie gab es auch Fehlinterpretationen, Fälschungen und unseriöse Ergebnisse. Der Piltdown-Mensch, das Affenfossil "Ida" sowie Affe "Udo" sind drei besonders spektakuläre Fälle.

Von Michael Stang | 15.12.2019
Das rund 47 Millionen Jahre alte Affen-Fossil «Ida» aus der Grube Messel bei Darmstadt (undatiertes Handout). Das Primatenskelett gilt als das weltweit älteste und vollständigste.
Das weltweit älteste und vollständigste Primatenskelett - aber kein Missing Link zu unseren Vorfahren: Affenfossil "Ida" (picture alliance / DB Atlantic Production Ltd.)
Der Piltdown-Mensch
1953 wurde der einstige Stolz der britischen Forschung zur größten Schande. Der Schädel des so genannten Piltdown-Menschen wurde eindeutig als Fälschung enttarnt. Was war passiert? 1912 wurde ein Schädelfund aus einer Kiesgrube des Dorfes Piltdown in der Grafschaft East Sussex bekannt. In den Augen britischer Forscher gab es nun nicht mehr nur in Deutschland, den Niederlanden und Frankreich wichtige Fossilienfunde, sondern endlich auch in England.
Hinzu kam, dass der Schädel genau in die Theorien der beteiligten Forscher passte und er ihre Sichtweise untermauerte. Zudem war der Fund mit geschätzten 500.000 Jahren nicht nur sehr alt, sondern auch anatomisch spannend: Die Schädel ähnelte stark dem der anatomisch modernen Menschen, der Unterkiefer wirkt jedoch noch primitiv. Erst viele Jahre später kam heraus: Der Fund bestand aus einem mittelalterlichen Menschenschädel sowie aus einem 500 Jahre alten Unterkiefer eines Orang-Utans. Der bis heute nicht eindeutig entlarvte Fälscher hatte die Blindheit der Forscher ausgenutzt, die nur das sahen, was sie sehen wollten.
Das Affenfossil "Ida"
Am 20. Mai 2009 überschlugen sich die Meldungen in den Medien. Jørn Hurum, Paläontologe von der Universität Oslo, präsentierte auf einer Pressekonferenz in New York ein Affenfossil mit dem Spitznamen "Ida". Der Fund aus der Grube Messel sollte demnach endgültig beweisen, wie sich jene Primaten entwickelt hatten, aus denen irgendwann auch die Menschen hervorgingen. War es das angebliche Missing Link, ein fehlendes Bindeglied? Sogar vom achten Weltwunder war schnell die Rede und die Entdeckung wurde gar mit der Mondlandung verglichen. Das 47 Millionen Jahre alte Fossil wurde pompös gefeiert – parallel erschien ein Buch des Forschers, zudem eine Fernsehdokumentation.
Der Ruhm währte nur kurz, obwohl der Fund im Fachmagazin "Plos one" wissenschaftlich beschrieben wurde. An der Veröffentlichung beteiligte Wissenschaftler wandten sich von Hurum und seiner medialen Darstellung ab und erzwangen zweifach eine Korrektur in dem Wissenschaftsmagazin, das einig Aussagen relativierte - ein dort bis heute einmaliger Vorgang. Schnell wurde auch deutlich: Es ist unklar, wo sich das Affenfossil in der Stammesgeschichte eingliedern lässt und ein unmittelbarer Vorfahr der Menschheit oder gar ein Missing Link ist das Fossil definitiv nicht, dafür ist es schlicht zu alt.
"El Graeco" und Affe "Udo"
2017 stellte ein Team der Tübinger Geowissenschaftlerin Madelaine Böhme neue Datierungen zweier alter Primaten-Funde aus Bulgarien und Griechenland vor. Demnach könnte die Wiege der Menschheit in Europa und nicht in Afrika gestanden haben. Ein Fossil mit dem Spitznamen "El Graeco" sorgte zwar für einen vorschnellen Medien-Hype, in der Wissenschaft interessierte der Fund kaum jemand – da bei der Interpretation tausende Fossilienfunde in Afrika ignoriert wurden.
2019: Wieder stellt ein Team um Madelaine Böhme Fossilien vor. 11,6 Millionen Jahre alte Primatenknochen aus dem Allgäu weisen demnach darauf hin, dass es einst aufrechtgehende Affen in Europa gab - lange bevor sich die ersten Menschen entwickelt hatten. Frau Böhme bezeichnete ihren Fund als "Archaeopteryx in der Paläoanthropologie" und sah in dem Fund gar einen Paradigmen-Wechsel in der Wissenschaft. In der Veröffentlichung im Fachblatt "Nature" klingt die Interpretation vorsichtiger. Die stammesgeschichtliche Einordnung fehlt dort – aber das interessierte in der deutschsprachigen Medienwelt kaum. Stattdessen ist vom Affen mit Spitznamen "Udo" die Rede, zudem erscheint zeitgleich ein populärwissenschaftliches Buch der Forscherin über die neuen Funde.