Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Paläoanthropologie
Die Neandertaler und wir. Meine Suche nach den Urzeit-Genen

Erstmals richtet sich der erfolgreiche Paläogenetiker Svante Pääbo an das große Publikum. Gekonnt verknüpft er seine eigene Lebensgeschichte mit einer Darstellung seiner Wissenschaft von den schwierigen Anfängen bis heute. Dabei gewährt er seltene Einblicke in den Alltag eines Spitzenforschers.

Rezension: Michael Lange | 16.03.2014
    Schon früh wuchs in dem schwedischen Jungen Svante Pääbo das Interesse an der Vergangenheit. Vor allem das antike Ägypten hatte es ihm angetan, seit er mit seiner Mutter das Land bereist hatte. Als er später im Medizinstudium in einem Labor das Immunsystem erforschte, begann er ohne Wissen seines Professors zu untersuchen, was an Erbinformation in antiken Überresten stecken könnte. Da er keine Mumie zur Verfügung hatte, legte er eine Kalbsleber in den Laborofen bis sie aussah wie ein Stück Mumie. Das war gewissermaßen die Geburtsstunde der modernen Paläogenetik – die Erforschung der Geschichte von Natur und Menschheit mit den Methoden der Molekulargenetik.
    Spannende Hindernisse überwunden
    Genussvoll und immer wieder mit aufblitzendem Humor beschreibt Svante Pääbo seine großen Erfolge. Zunächst die Überraschung, als es ihm und seinem Team gelingt, das Mitochondrien-Genom eines Neandertalers aus ein paar Knochenkrümeln zu ermitteln, und dann der Kraftakt, als er im Konsortium mit Forschern aus der ganzen Welt das Erbgut im Neandertaler-Zellkern weitgehend entschlüsselte. Noch spannender aber sind die Hindernisse, die Svante Pääbo auf dem Weg dorthin überwinden musste, und die Rückschläge, die er erleidet. Stets aufs Neue mischt sich falsche DNA in das Erbgut des Neandertalers. Und nicht selten stehen die weitreichenden Interpretationen auf wackeligen Füßen.
    Zwar werden die Labors immer sauberer, die Methoden immer ausgefeilter, aber trotz aller Vorsicht verkündet auch Pääbo Ergebnisse, die er später zurückziehen muss oder sogar selbst widerlegt. Beim Verzweifeln, beim Kämpfen und beim Jubeln sind die Leser mit dabei. Das Buch zeigt die Wissenschaft als Prozess aus Rückschritten und Fortschritten, ebenso wie die Entwicklung des Wissenschaftlers und Menschen Svante Pääbo. Sympathien, Antipathien, sexuelle Vorlieben, Dreiecksbeziehungen stehen zwar nicht im Mittelpunkt des Buches, werden aber auch nicht verheimlicht.
    Verhältnis zwischen Jetztmensch und Neandertaler
    Obwohl das Buch "Die Neandertaler und wir" heißt, verrät es nur wenig über das Verhältnis zwischen Jetztmensch und Neandertaler. Erst gegen Ende gibt es dazu einige neue Erkenntnisse. Umso mehr beschreibt Svante Pääbo den abwechslungsreichen Weg eines Wissenschaftlers. Sein Buch ähnelt früheren, sehr persönlichen Büchern von James Watson (Die Doppelhelix) oder Craig Venter (Entschlüsselt). Die Arroganz der großen Vorbilder erreicht Svante Pääbo glücklicherweise aber nicht. Das verhindert er mit einem gelegentlichen Augenzwinkern. Auch wenn die wissenschaftliche Begeisterung gelegentlich mit dem Autor durchgeht, ist das Buch weitgehend für Laien geeignet. Denn es liefert unerwartete, spannende Einblicke in das Leben eines bekannten Wissenschaftlers.
    Svante Pääbo: Die Neandertaler und wir. Meine Suche nach den Urzeit-Genen
    Übersetzung: Sebastian Vogel
    ISBN: 978-3-10-060520-7
    S. Fischer Verlag, 384 Seiten, 22,99 Euro