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Palast auf Rädern

Mehrere Jahrzehnte lang war er das Verkehrsmittel der Reichen und Mächtigen in Europa. Der Inbegriff von Glanz und Glamour auf Reisen. Der legendäre Orient-Express. Am 4 Oktober 1883 fuhr er erstmals von Paris nach Konstantinopel. Der Luxuszug war die erste transeuropäische Express-Verbindung auf Rädern und verwöhnte seine Passagiere mit allen Annehmlichkeiten eines First Class Hotels.

Von Jürgen Bräunlein | 04.10.2008
    Am Anfang steht eine unglückliche Liebe. Weil der belgische Ingenieur und Sohn eines Bankiers Georges Nagelmackers seine Cousine nicht heiraten darf, reist er 1867 zur Ablenkung nach Amerika. Dort fährt er mit den innovativen Schnellzügen des Unternehmers George Mortimer Pullmann und ist begeistert. Nach Belgien zurückgekehrt, erwirbt er Konzessionen für Strecken zwischen Paris, dem Balkan und dem Bosporus und gründet "die Internationale Schlafwagengesellschaft". Nagelmackers will eine transeuropäische Express-Verbindung auf Schienen errichten, die unbequeme Schiffsreisen überflüssig macht und bis nach Konstantinopel führt. Eine Vision mit Vorlauf. Erst 16 Jahre später, am 4.Oktober 1883, hat der Ingenieur sein Ziel erreicht.

    Der Orient-Express, wie der neue Zug getauft wird, steht im Pariser Gare de Strasbourg - heute Gare de L'Est - für die Jungfernfahrt bereit. Es ist 7 Uhr abends. 40 handverlesene Gäste sind eingestiegen, darunter Funktionäre aller beteiligten Eisenbahngesellschaften, Ingenieure, Diplomaten und Journalisten wie Henri Opper de Blowitz, Korrespondent der "Times".

    "Die neuen Wagen, die wir einweihen, sind geräumig und bequem. Man kann sich darin nach Belieben ausstrecken, selbst wenn man noch beleibter ist als ich."

    Der Luxuszug ist ausgestattet wie ein First-Class-Hotel. Die Abteile sind weich gepolstert, mit Samt bezogen und gut abgefedert. In zweiachsigen Packwaggons liegen die schweren Schrankkoffer der Reisenden. Das Zugrestaurant gleicht einem Festsaal.

    "Alle Tische sind prächtig gedeckt."

    schwärmt Henri Opper de Blowitz.

    "Das Weiß der Tischtücher und der wunderbaren, kunstvoll gefalteten Servietten, das transparente Funkeln des Glases, der Rubin des Rotweins, das reine Kristall des Wassers in den Karaffen und die silbernen Helme der Champagnerflaschen blenden die Menge draußen wie drinnen und strafen die trauernden Mienen und das unglaubwürdige Bedauern der Abreisenden Lügen."

    Der Orient-Express fährt über Straßburg, Stuttgart und München nach Wien. Dort steigen zwei Frauen zu und sorgen für Aufsehen. Reisen in den Orient gelten noch als gefährlich und sind deshalb Männersache. Kurz nach Budapest sorgt ein Orchester für Abwechslung. 12 Musiker spielen Zigeunerweisen und französische Melodien. Schließlich hält der Orient-Express am rumänischen Donauhafen Giurgiu. Eine Direktverbindung nach Konstantinopel gibt es noch nicht. Die Passagiere müssen dreimal umsteigen. In kleine Dampfer und unkomfortable Orientbahnen. Nach 81 Stunden und 40 Minuten hat die Reisegesellschaft Konstantinopel erreicht. Europa ist begeistert.

    "Palast auf Rädern", "König aller Züge"

    jubeln die Zeitungen. Und Schlagzeilen macht der Orient-Express auch weiterhin. Im Mai 1891 plündert ein Grieche den Zug, ein Jahr später bricht während der Fahrt die Cholera aus. König Ferdinand von Bulgarien wiederum lässt den Orient-Express immer wieder anhalten, zieht eine Schaffneruniform über und fährt den Zug eigenhändig durch sein Land. Mehrmals erleiden Passagiere Verletzungen.

    Seine große Zeit hat der Orient-Express in den 20-er und 30-er Jahren des 20. Jahrhunderts. Er gehört zum Lebensstil der oberen Zehntausend. König Leopold der Zweite von Belgien, Papst Pius der Zwölfte, die angebliche Spionin Mata Hari und Marlene Dietrich gehören zu den Fahrgästen. Auch Agatha Christie, die ihren Mann, den Archäologen Max Mellowan, mehrmals in den Orient begleitet, ist vom Luxuszug begeistert. Sie macht einen blutigen Krimi daraus.

    In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg macht dem Orient-Express vor allem die Konkurrenz durch den Personenflugverkehr zu schaffen. Am 20. Mai 1977 fährt der Zug zum letzten Mal. Fünf Jahre später versucht der englische Unternehmer James Sherwood mit dem "Venice Simplon-Orient-Express" eine Wiederbelebung. Der Erfolg ist bescheiden. Die Idee vom transeuropäischen Schnellzug hat sich überlebt, doch vergessen werden sollte nicht: Der Orient-Express war politisch einmal wichtig. Lange vor Maastricht hat er Europa bereits vereint.