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Palermo ehrt Santa Rosalia
Stadtpatronin und Mafiaheilige

Die heilige Rosalia wird in keiner Stadt Italiens so sehr verehrt wie in Palermo. Damit befasst sich in der sizilianischen Stadt nun erstmals eine neue Ausstellung. Auch die örtliche Mafia vertraut auf die Unterstützung der Schutzpatronin.

Von Thomas Migge | 04.10.2018
    Die Heiligenfigur Santa Rosalia in ihrer Grotte in Palermo
    Die Heiligenfigur der Santa Rosalia in ihrer Grotte in Palermo (imago stock&people)
    In der Kirche ist die Hölle los. Die Kathedrale von Palermo ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Erwachsene, Kinder, Geistliche, Chorknaben und Messdiener und auch einige Hunde.
    Die Mitglieder der Bruderschaft der Heiligen Rosalia schreien ihre Freude heraus, weil endlich der riesige und ganz aus Silber gestaltete Behälter in das Mittelschiff der Kathedrale gerollt wird. Darin aufbewahrt wird die Urne mit den leiblichen Überresten der Heiligen.
    Der Wagen mit dem barocken Urnenbehälter ist mit zahllosen brennenden Kerzen und einer großen Heiligenskulptur geschmückt. Ganz langsam wird er auf den Vorplatz des Gotteshauses geschoben. Dann beginnt eine mehrere Stunden lange Prozession durch das historische Zentrum Palermos.
    "Leihgaben aus den wichtigsten Museen der Welt"
    Jedes Jahr, am 15. Juli, dem Tag der Stadtpatronin, liegt Palermo lahm. Tausende Menschen erwarten den Urnenwagen. Volksmusik erklingt. Besonders Wagemutige erklimmen den Urnenwagen, um mit ihren Händen die Füße Rosalias zu berühren. Viele der Anwesenden weinen oder rufen immer wieder "O Santuzza!", was im örtlichen Dialekte "Oh du Heilige" bedeutet.
    Mit der alljährigen Prozession wird eine Heilige geehrt, die zu Palermo gehört wie die Sonne am Himmel. Umso verwunderlicher, dass es erst jetzt eine Ausstellung, im Palazzo Reale in Palermo, zur Rezeption dieser Heiligen in der Sakralkunst gibt. Gianfranco Micciché, einer der Ausstellungsorganisatoren:
    "Ja, das ist die erste Ausstellung, die die Heilige Rosalia thematisiert, mit Leihgaben aus den wichtigsten Museen der Welt. Mit dieser Ausstellung bitten wir die Heilige, uns erneut zu retten. Nicht von einer Pest wie im 17. Jahrhundert, sondern um uns zu befreien von den Übeln der korrupten Politik, dem aufkeimenden Rassismus und um uns von der Pest des Hasses zu befreien, der auf Sizilien, in Italien und anderswo auf der Welt herrscht."
    Als Rosalia gefunden wird, verschwindet die Pest
    Über die Lebensgeschichte Rosalias ist kaum etwas Gesichertes bekannt. Die Legenden besagen, dass sie Tochter eines Grafen war und um das Jahr 1130 in Palermo geboren wurde, wo sie einige Jahrzehnte später starb.
    Doch Rosalias Karriere als Volksheilige und Stadtpatronin begann erst rund 450 Jahre später, erklärt Don Gaetano Ceravolo, Kustos des Rosalia-Heiligtums auf dem Berg Monte Pellegrino:
    "Die ungewöhnliche Verehrung dieser Heiligen begann, nachdem ihre leiblichen Überreste wiedergefunden wurden, hier in dieser Grotte. Dieser Fund fiel zusammen mit einer fürchterlichen Pest. Nachdem die leiblichen Überreste der Heiligen der Bevölkerung präsentiert wurden, am 15. Juli 1625, flaute die Pest sofort ab. So wurde Rosalia so berühmt."
    Beliebtes Motiv der Barockkunst
    Rosalia wurde so sehr von der Bevölkerung Palermos verehrt, dass sie andere Stadtpatrone verdrängte. 1630 wurde sie von Papst Urban VIII. heiliggesprochen.
    Der Zufall wollte es, dass sich in der Zeit der abklingenden Pest der flämische Maler Anton van Dyck in Palermo aufhielt. Ihm sind einige der schönsten Sakralbilder mit der Heiligen zu verdanken.
    Rosalia, die nie einem kirchlichen Orden angehört hatte, wurde von den Franziskanern adoptiert: Sie gaben zahlreiche Gemälde in Auftrag. Die Ausstellung in Palermo zeigt Werke von Pietro Novelli, Mattia Preti und vielen anderen bedeutenden Barockkünstlern.
    Auch die Mafia verehrt Rosalia
    Nur wäre Palermo nicht Palermo ohne seine Mafia. Die organisierte Kriminalität in der Hauptstadt Siziliens wird Cosa Nostra genannt. Die Bosse der Cosa Nostra gehören zu den inbrünstigsten Verehrern der heiligen Rosalia, weiß der sizilianische Anti-Mafia-Staatsanwalt Antonio Ingrao:
    "Ganz generell muss man wissen, dass die Religion ein wichtiger Bestandteil der sizilianischen Kultur ist. Nicht nur symbolisch. Glauben Sie ja nicht, dass sich ein Mafioso nicht als zutiefst religiöser Mensch empfindet. Das ist das große Paradox der mafiösen Psyche: Der Boss fühlt sich religiös auf der richtigen Seite. Wenn er jemanden tötet, dann ist er davon überzeugt, das Richtige zu tun."
    In Palermo halten sich Gerüchte, dass die Mafia hohe Spenden an die Bruderschaft der Heiligen Rosalia zahlt. Dafür dürften sich die Mafiosi dann und wann die Urne der Heiligen nach Hause holen – immer dann, wenn ein Mafia-Boss geistigen Beistand benötigt. Beim Bischof und in der Kathedrale will man davon allerdings noch nie etwas gehört haben.