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Palliativ- und Hospizmedizin
Begleitung bis zum letzten Atemzug

Die letzte Lebensphase beängstigt viele Menschen. Gerade in Pflegeheimen ist die Palliativ- und Hospizmedizin noch wenig angekommen. Nun berät der Bundestag einen Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministers. Er verspricht Verbesserungen in der stationären oder auch häuslichen Pflege - und will die Kassen finanziell stärker einbinden.

Von Gerhard Schröder und Sarah Zerback | 16.06.2015
    Eine ehrenamtliche Helferin hält die Hand einer sterbenden Bewohnerin, die in ihrem Bett im Christophorus Hospiz in München liegt
    Eine ehrenamtliche Helferin hält die Hand einer sterbenden Bewohnerin, die in ihrem Bett im Christophorus Hospiz in München liegt (picture-alliance / dpa/Tobias Hase)
    Annelies Füg schöpft heiße Kirschen auf frische Waffeln. Schlank, sportlich, das hellblaue Tuch sorgsam um den Hals gebunden – ihre 74 Jahre sieht man der ehrenamtlichen Hospizhelferin nicht an. Behutsam trägt sie das Tablett aus der Küche über die Flure der Gründerzeitvilla mitten in Mülheim, unweit der Ruhr, und versorgt die Gäste mit Kaffee. Allesamt Menschen, die schwerstkrank sind, deren Zeit bald zu Ende gehen wird.
    "Es wird verdrängt, dass das Hospiz, die letzte Station ist. Oder auch von Angehörigen ihnen nicht richtig gesagt. Es kommen auch Leute, die denken, sie wären hier in der Reha. Man weiß es nicht."
    Dass das Hospiz ihr letztes Zuhause sein wird, das wird Rosemarie Hausschild gerade schmerzlich bewusst. Die 83-Jährige liegt im Bett, die Brille mit den dicken Gläsern auf der schmalen Nase, wartet sie darauf, dass ihre Kinder sie besuchen. Wie jeden Nachmittag, seitdem die Krebspatientin vor einer Woche hier eingezogen ist - für sie ganz überraschend.
    "Wenn man so Knall auf Fall die harte Tatsache vor den Kopf geworfen kriegt, nach dem Motto "Friss oder verreck", dann hat man schon seine Schwierigkeiten damit fertig zu werden. Ich war jetzt sechseinhalb Wochen im Krankenhaus und dann bekam ich von einem Tag zum anderen die Hiobsbotschaft: 'Sie können nicht mehr in Ihre Wohnung zurück, Sie müssen ins Pflegeheim. Dann haben meine Kinder alles in Bewegung gesetzt, um ein Pflegeheim ausfindig zu machen und dann steht der Doktor am Bett und sagt, ist nichts mit Pflegeheim, Sie müssen ins Hospiz. Damit bin ich noch nicht fertig."
    Ihr Zimmer zu verlassen, dafür fehlt Rosemarie Hausschild allein die Kraft. Als sie zusammen mit ihrer Familie im Gemeinschaftswohnzimmer sitzt und ihr Sohn für sie Klavier spielt, lauscht sie ihm gerührt. Es sind Momente wie diese, die den Unterschied machen. Letzte Wünsche, die hier im Hospiz 15 hauptamtliche und 40 ehrenamtliche Mitarbeiter gemeinsam mit den Angehörigen zu erfüllen versuchen.
    "Das ist individuell, weil es sind ja auch eine ganze Reihe, die schon nicht mehr ansprechbar sind und dann sind da auch keine Wünsche mehr. Aber andere schon noch, also gerade auch in der Sommerzeit, haben wir auch ein Eis gegessen oder Kaffee getrunken. Und das war dann noch mal sehr schön."
    Erstgespräch räumt mit Vorurteilen auf
    Die Gäste werden hier psychosozial und palliativ betreut, je nachdem, was sie brauchen. Wenn sie Schmerzen haben, bekommen sie Schmerzmittel, wenn sie Nähe brauchen, bekommen sie Nähe, sagt Ute Borghorst und lässt sich in einen der schweren Sessel fallen. Die 59-Jährige, blonde Kurzhaarfrisur, dezent geschminkt, leitet das Hospiz Mülheim. Im ersten Kontakt mit Betroffenen und Angehörigen muss sie oft zunächst einmal Vorurteile aus dem Weg räumen.
    "Dass ein Hospiz eben ein helles Haus ist, in dem jeder Gast in einem Einzelzimmer untergebracht ist, jedes Einzelzimmer gestaltet werden kann mit persönlichen Dingen, die der Gast gerne mitbringen möchte, dass es sehr viele Freiheiten in einem Hospiz gibt – also wir erleben hier auch Gäste, die nachmittags abgeholt und abends wieder gebracht werden – und das ist, glaube ich, vielen nicht klar.."
    Doch auch wenn es oft schwerfällt, über das eigene Sterben zu sprechen, ist der Bedarf an Einrichtungen wie dieser in Mülheim immens, sagt Ute Borghorst.
    "Also wenn ich den Anfragenordner sehe, jeden Morgen neu und meine Plätze sehe, zehn Plätze, dann überlege ich schon: Kann ich meinem Pflegepersonal eventuell eine elfte Aufnahme zumuten, weil wir haben Anfragen, die jüngste war 43, und wir haben auch Anfragen von Gästen, die 92 sind, und da ist es natürlich schwierig auszuwählen, wer hat jetzt den Vorrang? Im Wissen, dass eine ambulante Versorgung hier in Mülheim nicht gut gegeben ist."
    "Austherapierte" fallen aus dem Gesundheitssystem
    Ute Borghorst kann das beurteilen. Die gelernte Krankenschwester arbeitet seit zwölf Jahren in der Pflegedienstleitung des Evangelischen Krankenhauses – nur wenige Schritte vom Hospiz entfernt. Wenn die Ärzte und Pflegekräfte dort nichts mehr für die Patienten tun können, dann bleibt diesen nichts anderes übrig, als das Krankenhaus zu verlassen. Für schwerst kranke und sterbende Menschen, die "austherapiert" sind, ist im Gesundheitssystem kein Platz. Hier setzen Palliativstationen und Hospize an, um die schmerzmedizinische Versorgung im letzten Lebensabschnitt zu gewährleisten. Manche Patienten, oder Gäste, wie es hier heißt, bleiben nur ein paar Stunden, mancher bis zu zehn Monaten.
    "Wir wollen, dass sich Schwerstkranke, dass sich sterbende Menschen darauf verlassen können, bestmöglich medizinisch versorgt zu sein, nicht in Einsamkeit die letzten Tage zu verbringen. Deswegen werden wir die ambulante wie die stationäre Hospizarbeit, aber auch die palliativmedizinische Versorgung in der häuslichen Krankenpflege insgesamt stärken."
    Sagt Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, CDU. Ende April hatte das Kabinett seinen Referentenentwurf gebilligt, morgen wird er im Bundestag erstmals beraten. Ziel ist ein flächendeckendes Betreuungsangebot für schwerst krank Menschen, egal, ob sie ihre letzte Lebensphase zuhause, im Pflegeheim oder im Krankenhaus verbringen. Jens Spahn, der gesundheitspolitische Sprecher von CDU und CSU im Bundestag:
    "Dieses Angebot auszubauen, ist auch die richtige Antwort auf die Debatte zur Sterbehilfe. Die meisten haben keine Angst vorm Tod, sondern vor einem qualvollen Sterbeprozess. Und der muss nicht sein."
    Geplant ist ein ganzes Bündel an Maßnahmen. Die deutschlandweit rund 230 Kinder- und Erwachsenenhospize sollen mehr Geld bekommen. Der Tagessatz für die Sterbebegleitung je Patient wird erhöht von derzeit 198 auf 255 Euro. Zudem übernehmen die Krankenkassen künftig 95 Prozent statt bisher 90 Prozent der zuschussfähigen Kosten. Auch die ambulanten Hospizdienste sollen stärker unterstützt werden. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach bringt die Pläne auf eine kurze Formel:
    "Vereinfacht gesprochen: Mehr Geld, eine Entbürokratisierung und eine bessere Zusammenarbeit zwischen Pflege, Hospiz und Palliativmedizin."
    Die Krankenkassen taxieren die Kosten des Gesetzentwurfs auf 200 Millionen Euro pro Jahr. Nicht alle Probleme seien damit gelöst, räumt Lauterbach ein. Aber ein erster wichtiger Schritt ist getan. Auch die Linken-Abgeordnete Pia Zimmermann sieht gute Ansätze:
    "Das Gesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung. Und bringt bei der ganz schlechten Situation, die wir haben in der Palliativ- und Hospizversorgung natürlich eine Verbesserung, das ist gar keine Frage. Aber: Angesichts der schlechten Lage, die wir haben, ist es nur ein Tropfen auf den heißen Stein."
    1996 gab es gerade einmal 30 stationäre Hospize und 26 Palliativstationen in Deutschland. Heute, knapp 20 Jahre später, sind es fast zehnmal so viel. Ein großer Fortschritt, sagt Elisabeth Scharfenberg von den Grünen. Aber es reicht noch nicht, kritisiert sie.
    "Es findet schon viel statt, das möchte ich auch wirklich nicht kleinreden. Aber wir brauchen mehr. Wir brauchen letztendlich mehr Geld. Und, was Herr Gröhe vollkommen außer Acht lässt, das ist die Personalsituation."
    Zum Beispiel in den Krankenhäusern. Es gebe Kliniken mit hoch spezialisierten Palliativstationen, die leisteten eine vorzügliche Sterbebegleitung, sagt Lukas Radbruch, Präsident der deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin.
    "Was fehlt, ist die gute Palliativversorgung eben nicht auf dieser spezialisierten Ebene, sondern auf der normalen Station."
    Denn dort sterben die meisten Menschen, 2013 waren es nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 415 000, knapp die Hälfte der Todesfälle in Deutschland. Viele Kliniken aber sind schlecht vorbereitet auf die Begleitung von Schwerstkranken.
    "Wir stellen uns vor, dass zum Beispiel in jedem Krankenhaus und in jedem Pflegeheim ein Palliativbeauftragter benannt wird, der dann – ähnlich wie der Hygienebeauftragte – gucken muss, dass die verfügbaren Standards umgesetzt werden, dass Weiterbildung stattfindet und irgendwo auch ein Spezialist greifbar ist, den man im Notfall um Rat fragen kann."
    Ländliche Regionen unterversorgt
    Besonders groß sind die Lücken in den ländlichen Regionen. Dort gibt es weniger Krankenhäuser und Hospize, die schwerst kranke Patienten begleiten. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach:
    "Wir haben auf dem Land im Wesentlichen ein dreifaches Problem. Wir haben zu wenig Hausärzte mit sinkender Tendenz. Die Krankenhäuser sind zum Teil mit Pflegekräften und Ärzten unterversorgt. Und in der Palliativ- und Hospizmedizin konnte der Aufbau erst gar nicht richtig betrieben werden. Wir werden zunehmen auf dem Land eine Versorgung haben, die als kritisch zu bewerten ist und die nicht dem deutschen Standard entspricht."
    Doch das soll sich ändern. Die palliativmedizinische Versorgung soll künftig ausdrücklicher Bestandteil der Regelleistungen der Krankenkassen sein. Das heißt: Schwerstkranke haben einen Anspruch auf Sterbebegleitung, egal wo sie wohnen. Das weiß auch Gernot Kiefer vom Spitzenverband der Krankenkassen, GKV:
    "Das ist die Aufgabe, diese Defizite in den nächsten Jahren durch entsprechende Teams gerade in ländlichen Regionen zu beseitigen."
    Kiefer meint spezielle ambulante Teams, in denen Palliativmediziner mit Pflegefachkräften, Physiotherapeuten und Seelsorgern zusammen arbeiten. Sie begleiten Schwerstkranke Zuhause, zunehmend aber auch in Krankenhäusern und Pflegeheimen.
    Hausbesuch in Mariendorf, ein gutbürgerliches Viertel im Berliner Süden. Wolfgang Fiedler steht im blauen Trainingsanzug im Wohnzimmer, 87 Jahre alt, der gedrungene Körper auf eine Krücke gestützt. Die wachen grauen Augen erwartungsvoll auf Petra Anwar gerichtet, seine neue Ärztin:
    "Wo tut es weh, wenn das wehtut.
    "Und zwar hier im Oberbauch."
    "Mögen Sie mir Ihren Bauch mal zeigen."
    "Ja, aber gerne."
    "Kann ja sein, dass das sein Heiligtum ist."
    "Nein."
    Besonders in ländlichen Regionen ist die Palliativ- und Sterbemedizin unterrepräsentiert.
    Die Mitarbeiterin des Pflegepersonals in einem Hospiz spricht mit einem sterbenskranken Patienten (picture-alliance / dpa/Tobias Hase)
    Petra Anwar tastet den Bauch ab, Leber, Nieren, findet dann die Stelle über dem Magen: Wilfried Fiedlers Schmerzzentrum:
    "Ja da, dasitzt es hauptsächlich.
    "Weil hier ist so ein Nervengeflecht. Und da drückt der olle Tumor drauf."
    Vor fünf Wochen erhielt Fiedler die niederschmetternde Diagnose: Bauchspeicheldrüsenkrebs, mit Metastasen in der Leber und im Bauchfell. Das Krankenhaus bot eine Chemotherapie an, Fiedler lehnte ab.
    "Meine persönliche Entscheidung, keine Chemie zu nehmen. Denn ich habe da schlimme Fälle gesehen, wie gesagt, so möchtest du mal nicht sterben."
    Wolfgang Fiedler geht hinaus auf die Terrasse, zeigt auf den großen Garten, die gepflegten Blumenbeete und die Grillecke. Das alles hat er aufgebaut, nach dem Zweiten Weltkrieg, als er aus fünfjähriger russischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt war, Polizist wurde und sich bis zum Hauptkommissar hochgearbeitet hat. Hier sind die beiden Töchter groß geworden. Hier will er die Wochen oder Monate verbringen, die ihm noch bleiben, ohne die Angst vor einem qualvollen Tod.
    "Wenn ich noch im Amt bei der Polizei meine Waffe gehabt hätte, ich hätte Schluss gemacht. Vor Schmerzen."
    Fiedlers Frau Brigitte sitzt daneben, schlägt die Hände vors Gesicht, atmet schwer und schaut dann hilfesuchend zur Ärztin. Petra Anwar bleibt gelassen und rückt noch etwas näher an den schwerkranken Mann heran:
    "Das haben Sie ja jetzt auch schon gemerkt, dass wir da am Ball sind, dass Sie nie wieder im Bett liegen werden und denken, sie erschießen sich, weil sie solche Schmerzen haben, das wird nicht mehr auftreten. Schmerzen kriegen wir immer in den Griff."
    Verstärkt ambulante Teams vorgesehen
    Petra Anwar erläutert Fiedler, wann er welches Medikament einnehmen soll, erklärt das weitere Vorgehen. Er und seine Familie können sie rund um die Uhr anrufen. Das beruhigt nicht nur Wolfgang Fiedler, sondern auch seine Tochter Heike:
    "Dass wir rund um die Uhr jemand erreichen können, wenn was ist. Das ist uns total wichtig. Und dann können wir das auch schaffen, mit Papa, hier zuhause."
    Die ambulanten Teams spielen auch im Konzept der Bundesregierung eine wichtige Rolle. Krankenhäuser und Pflegeheime sollen in Zukunft verstärkt mit ihnen zusammen arbeiten, um die medizinische und psychosoziale Betreuung von Schwerstkranken zu verbessern. Jens Spahn, der gesundheitspolitische Sprecher von CDU und CSU:
    "Wir machen es möglich, was ein Strukturwechsel ist, dass ambulante Palliativteams auch in stationären Pflegeeinrichtungen, in Krankenhäusern ihre Arbeit tun können, da wo es kein eigenes Hospiz gibt. "Dass es wirklich was Neues gibt. Damit wollen wir eben genau dieses Problem adressieren."
    Eine professionelle Sterbebegleitung, das soll in Zukunft selbstverständlich sein in den Pflegeheimen, so steht es in dem neuen Gesetz. Doch viele Einrichtungen sind darauf nicht vorbereitet, sagt der Palliativmediziner Lukas Radbruch:
    "Es sind schon viele, die eine Palliativversorgung brauchen würden. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass in Pflegeeinrichtungen fast zwei Drittel der Menschen im ersten Jahr nach dem Einzug versterben. Und tatsächlich sind die Pflegeheime einer der weißen Flecken auf der Landkarte der Palliativversorgung."
    Elisabeth Scharfenberg von den Grünen sieht das ähnlich:
    "Wir erleben derzeit einfach oft, dass dann auch aus Überforderung diese Menschen einfach noch mal ins Krankenhaus gebracht werden. Um da die Versorgung zu gewährleisten, Aber das ist ja nicht das, was die Menschen wollen, was keiner von uns will, ins Krankenhaus zu gehen, um zu sterben."
    Die Pflegeheime sind hoffnungslos unterfinanziert, kritisiert Eugen Brysch, der Vorsitzende der Stiftung Patientenschutz:
    "Wenn ich für die Sterbebegleitung in einem Pflegeheim 44 Euro zur Verfügung stelle am Tag und in einem Hospiz von über 250 Euro am Tag, dann sind das unterschiedliche Angebote, die ich da organisieren kann. Und wir müssen uns da endlich angleichen, es darf kein zwei Klasse-Sterben geben."
    Die Pflegeheime müssten für die Sterbebegleitung genauso viel Geld bekommen wie die Hospize, fordert Brysch. 700 Millionen Euro würde das kosten - pro Jahr, hat er ausgerechnet.
    Gernot Kiefer vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen sind solche Rechnungen zu simpel:
    "Viele Pflegeheime haben noch nicht erkannt, dass palliativmedizinische Betreuung, hospizliche Begleitung Teil ihres Aufgabenspektrums ist. Das ist glaube ich ganz wichtig, sich für die Aufgabenstellung zu öffnen, dass im Bereich der Führung in die Köpfe zu kriegen und dann auch in die Realität der Bewohner."
    Mittagszeit im Kinderhospiz Sternenbrücke in Hamburg. Für alle Kinder, die nach dem Essen entspannen wollen, die verkrampfen vom ständigen Sitzen im Rollstuhl, gibt es den sogenannten Snoezelraum. Das Licht ist gedimmt, Farbdrehscheiben projizieren blau-gelbe Sterne auf Wände und Decke. Zwei schwerkranke Jungen, viel zu zart, viel zu klein für ihre 13 Jahre, kuscheln sich auf das beheizte Wasserbett, die Köpfe auf dem Schoß ihrer beiden Pfleger gebettet. Hospizleiterin Ute Nerge stellt den CD-Player an, setzt sich dazu. Für ihren Einsatz wurde die 56-Jährige mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
    Schmerzbehaftete Kinder sind unzureichend betreuut
    "Unsere Kinder, die sind nicht alle ohne Schmerzen gekommen, aber jetzt sind sie schmerzfrei und dann wird es mir immer laut und dann spielen sie wieder und dann haben sie wieder Freude an Dingen. Und das ist etwas, was Schmerztherapie bewirken kann, Lebensqualität zu schenken. Und ich glaube, da haben wir noch einen großen Bedarf.
    Denn was für Erwachsene gilt, gilt bei Kindern umso mehr, so Ute Nerge. Für sie sind vor allem schmerzkranke Kinder und Jugendliche in Deutschland unzureichend betreut. Auch hier bräuchte es mehr speziell ausgebildete Schmerztherapeuten und interdisziplinäre Konzepte, die bislang nur an wenigen Einrichtungen umgesetzt werden. Das Kinderhospiz am Hamburger Stadtrand ist eines von nur 14 stationären Einrichtungen in Deutschland, die sich speziell an Kinder und junge Erwachsene richten.
    Wie schwierig es ist, ein Hospiz zu finden, das musste auch Martina Felix erfahren. Die alleinerziehende Mutter ist hunderte Kilometer gefahren, um gemeinsam mit ihrer Tochter in Hamburg Hilfe zu bekommen. Anders als in Einrichtungen für Erwachsene, ist die Sternenbrücke nicht nur für die allerletzte Abschiedsphase gedacht. Familien unheilbar kranker Kinder wie Julia können hier außerdem bis zu vier Wochen im Jahr gemeinsam wohnen. Die 16-Jährige hat das RETT-Syndrom, eine schwere geistige und körperliche Behinderung, ist rund um die Uhr auf die Hilfe ihrer Mutter angewiesen. Und die kümmert sich selbst hier in der Sternenbrücke am liebsten selbst um sie, schiebt ihr ein Kissen in den Rücken, damit sie aufrecht in ihrem Gitterbett sitzen kann, spricht unentwegt mit Julia, auch wenn sie nicht sicher sein kann, was zu ihr durchdringt.
    Hospiz hat Schrecken vor dem Tod genommen
    Hier in der Sternenbrücke kann auch Martina Felix ein paar Tage durchatmen, durchschlafen, sich darauf verlassen, dass Experten sich um Julia kümmern. Bis jetzt hat sie ihre Tochter allein gepflegt, aber das wird immer schwieriger, je größer und schwerer sie wird und desto weiter die Krankheit fortschreitet.
    "Sie ist beweglich und biegsam wie eine Gummipuppe und das sagte mir der Arzt, das wird sie alles verlieren. Und vor allem kommen Schmerzen dazu, beziehungsweise es kommt zu Ausfallerscheinungen, Lähmungserscheinungen und, und, und."
    Dass ihre Tochter sehr wahrscheinlich an der Krankheit sterben wird, ist ein Gedanke, der für Martina Felix den Schrecken verloren hat. Solange Julia keine Schmerzen ertragen muss und sie palliativmedizinisch ausreichend versorgt wird. Es ist ein Gedanke, den sie mit vielen Angehörigen, Patienten und Experten teilt, die sich vom neuen Hospiz- und Palliativgesetz in Zukunft eine flächendeckende Versorgung versprechen.
    Blick in den Abschiedsraum im Kinder-Hospiz Sternenbrücke in Hamburg
    Blick in den Abschiedsraum im Kinder-Hospiz Sternenbrücke in Hamburg (picture-alliance/dpa/Ulrich Perrey)