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Palliativgesetz
"Ein großer Schritt in die richtige Richtung"

Der Vorsitzende des Deutschen Palliativ- und Hospizverbands, Winfried Hardinghaus, begrüßt das neue Palliativgesetz, über das der Bundestag am Donnerstag abstimmen wird. Allerdings gebe es auch noch Verbesserungsmöglichkeiten: So sollten etwa die Kosten für die Trauerbegleitung für Angehörige übernommen werden, sagte er im DLF.

Winfried Hardinghaus im Gespräch mit Thielko Grieß | 03.11.2015
    Im Vordergrund eine Rose, im Hintergrund ein Krankenbett mit einer alten Frau und einer jüngeren am Bett.
    Immer mehr Menschen lassen sich in häuslicher Umgebung pflegen, sagte Winfried Hardinghaus, Vorsitzender des Hospizverbandes, im DLF. (Picture-alliance / dpa / Sebastian Kahnert)
    Die Trauerbegleitung gehöre zum "therapeutischen Setting", so Hardinghaus. Familien könnten das nicht alleine leisten. Bezüglich der Platzvergabe in einem Hospiz ist Hardinghaus zuversichtlich: Die Wartelisten würden immer kürzer, auch weil sich immer mehr Menschen zuhause pflegen ließen.
    Hardinghaus hält auch das Gesetz zur Sterbehilfe, über das der Bundestag am Freitag entscheiden wird, für richtig. Es sei wichtig, die geschäftsmäßige und gewerbliche Sterbehilfe gesetzlich zu verbieten.

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Wenn die Fraktionen tagen, dann ist das auch ein Hinweis darauf, dass Sitzungswoche ist im Deutschen Bundestag, und das wird diese Woche mit Sicherheit eine denkwürdige. Das Parlament entscheidet Ende der Woche über zwei Themen, die das Lebensende berühren und betreffen. Was leistet sich die Gesellschaft, um Schwerkranken einen Abschied zu ermöglichen, um ihnen unnötiges Leid zu ersparen? Wie viel Geld erhält die Palliativmedizin? Das ist Thema am Donnerstag. Und einen Tag darauf, am Freitag entscheidet der Bundestag darüber, ob und wie Ärzte künftig Patienten, die sich selbst töten wollen, assistieren Dürfen. Beihilfe zur Sterbehilfe wird strafrechtlich zurzeit nicht verfolgt, ist aber vielen Ärzten nach ihrem Standesrecht verboten.
    Winfried Hardinghaus war lange Zeit Arzt, ist inzwischen im Ruhestand, leitet aber nach wie vor zwei palliativmedizinische Zentren: eines in Osnabrück, ein anderes in Berlin. Am Donnerstag wird der Bundestag voraussichtlich ein Gesetz beschließen, mit dem es mehr Geld für stationäre und ambulante Hospize geben soll. Es gibt einen Deutschen Hospizverband und dem steht Winfried Hardinghaus vor. Vor dieser Sendung habe ich ihn gefragt: Herr Hardinghaus, ist das Gesetz zur Palliativmedizin so ausreichend?
    Winfried Hardinghaus: Wenn man einen Menschen palliativ begleitet und hospizlich begleitet, ist es niemals ausreichend. Es ist ein guter Schritt in die richtige Richtung. Wir haben deutliche Verbesserungen. Aber als ausreichend kann man das nicht bezeichnen. Da gibt es immer noch Ansprüche und Wünsche.
    "Trauerbegleitung gehört zum therapeutischen Setting"
    Grieß: Ansprüche und Wünsche gibt es wahrscheinlich immer an den Gesetzgeber. Immer noch mehr Geld wäre denkbar. Aber was haben Sie konkret im Kopf?
    Hardinghaus: Beispielsweise die Übernahme der Vergütung für Trauerbegleitung. Es ist jedem einsichtig und jedem klar, dass jeder Helfer, jeder Hospizhelfer, wenn er Angehörige auch betreut, immer auch mit Trauer zu tun hat und Trauerbegleitung eine ganz wichtige Aufgabe in der Palliativversorgung ist, und diese wird beispielsweise immer noch nicht vergütet. Dafür gibt es keine Sätze. Das ist ein kleines Beispiel.
    Grieß: Und das sollten die Krankenkassen zahlen?
    Hardinghaus: Ja. Das meine ich, dass es zum ganzen therapeutischen Setting gehört, und das ist meines Erachtens auch eine Aufgabe der Krankenkassen, die das allerdings gerne in den familiären Bereich abschieben. Wir wissen aber auch, dass die Familien...
    Grieß: Das ist billiger!
    Hardinghaus: Es ist billiger und die Familien so klein sind, dass sie heute das oft gar nicht leisten können und mit anderen Dingen zu tun haben.
    "In ländlichen Regionen gibt es immer noch Mängel"
    Grieß: Ist das aus Ihrer Sicht am Donnerstag also nur ein kleiner Schritt?
    Hardinghaus: Nein, es ist schon ein großer Schritt, weil wir in einigen Bereichen gute Verbesserungen haben: In der Vergütung der stationären Hospize, die ambulanten Hospizdienste werden endlich besser berücksichtigt, auch was ihre Fahrtkosten betrifft, was die Ehrenamtlichen betrifft. Es gibt insgesamt mehr Kooperationsmöglichkeiten. Also es ist schon ein größerer Schritt, so einigen wir uns mal.
    Grieß: Halten Sie es denn für wahrscheinlich oder ausgemacht sogar, dass in einiger Zeit, in naher Zukunft es nicht mehr eine Frage der Region ist oder der Krankheit, die man mit sich herumträgt, ob man einen Platz in einem Hospiz bekommen kann?
    Hardinghaus: Einen Platz im Hospiz können Sie auch heute schon fast überall bekommen. Die Wartelisten werden überall kleiner. Das liegt daran, dass die Zahl der ambulanten Hospizdienste - und das ist ja auch gewollt - zunimmt und dass die Zahl der spezialisierten Möglichkeiten der palliativen Versorgung zuhause in der häuslichen Umgebung zunimmt, sodass die Zahl der stationären Hospizplätze auch in Zukunft gar nicht so immens steigen wird.
    Grieß: Wir haben eine Studie gehabt von der Bertelsmann-Stiftung Anfang der Woche, die auf diese regionalen Unterschiede hinweist. Taugt die Studie nichts, oder habe ich es falsch verstanden?
    Hardinghaus: Nein. Regional gibt es immer noch Unterschiede. Das ist völlig klar. In den ländlichen Regionen gibt es immer noch Mangel, das ist klar.
    "Nicht mit Sterbenden Geld verdienen"
    Grieß: Herr Hardinghaus, am Freitag beschäftigt sich der Bundestag dann mit verschiedenen Gesetzentwürfen, die alle und sämtlich das Thema Sterbehilfe regeln wollen und sollen. Wenn Sie Abgeordneter wären, bei welchem Gesetzentwurf würden Sie Ihre Hand zum Ja heben?
    Hardinghaus: Gott sei Dank bin ich kein Abgeordneter, sodass ich Ihnen die Frage nicht beantworten muss. Wenn ich Winfried Hardinghaus bin und Vorsitzender des Deutschen Hospiz- und Palliativverbandes, votiere ich im Übrigen auch aus eigener Erfahrung klar für den Entwurf von Brand und Giese, weil er die gewerbliche Sterbehilfe verbieten will und auch die geschäftsmäßige strafrechtlich verbieten will, und dafür sind wir sehr, um hier vorzubeugen, dass auch in Zukunft nicht mit Sterbenden auf diese Weise Geld verdient wird.
    Grieß: Also ein Verbot der Modelle, die etwa in der Schweiz erlaubt sind. Das ist das Wichtigste für Sie. Aber es gibt ja den Einspruch gegen diesen Gesetzentwurf - gerade auch Palliativmediziner haben sich da zu Wort gemeldet -, wenn man täglich mit Sterbenden zu tun hat und Maßnahmen ergreift, dass das womöglich irgendwann von einem Staatsanwalt auch als eine wiederkehrende und geschäftsmäßige Sterbehilfe gewertet werden könnte.
    Hardinghaus: Da gibt es ja die Wendung, sie muss auf Wiederholung angelegt sein, und das ist, ich glaube, auch juristisch etwas anderes, als wenn ich es nur tatsächlich zwei-, dreimal im Laufe meines Arztlebens wiederhole. Wenn es hier und da bei sechs oder mal zwölf wäre, dann würde ich aufmerksam werden und würde das überprüfen, aber normalerweise in Einzelfällen wird das nicht mehr als zweimal oder dreimal vorkommen können.
    Grieß: Ist das realistisch - Sie haben ein langes Berufsleben ja auch als Arzt, auf das Sie zurückblicken -, dass man nur zwei- bis dreimal mit diesen Fragen konfrontiert wird?
    Hardinghaus: Nein. Da haben wir uns falsch verstanden. Dass man vielleicht zwei- bis dreimal in einen Grenzbereich kommt, wo man mit der passiven Sterbehilfe schon in die Nähe der aktiven gelangt ist oder in die Nähe des assistierten Suizides gelangt ist, besser gesagt. Diese Grenzbereiche, die kommen vielleicht zwei- bis dreimal vor, und die anderen kann man klar abgrenzen.
    Grieß: Helfen Sie uns! Was ist daran so einfach, zu entscheiden, die Krankheit ist unheilbar, nicht therapierbar und der Wille des Patienten ist eindeutig. Da sind ja auch Voraussetzungen, die da gegeben sein müssen.
    Hardinghaus: Das Ziel der Behandlung ist immer das Entscheidende. Will ich jemandem helfen? Will ich jemandem Leiden lindern? Oder will ich jemand töten oder zur Tötung verhelfen? Das sind schon drei klare verschiedene Ziele, die kann man unterscheiden.
    Grieß: Und das gelingt in der Praxis jedem Mediziner gut?
    Hardinghaus: Das gelingt ihm so gut, wie es in jedem Beruf anderen besser gelingt, anderen weniger gut gelingt. Ich hoffe, dass es den meisten Ärzten gut gelingt.
    Keine Zunahme von Sterbehilfe
    Grieß: Mediziner sind, um das noch mal klarzuziehen, Mediziner werden durch diesen Gesetzentwurf, der ja unter den Parlamentariern bislang, so scheint es, die meiste Zustimmung auch gefunden hat, nicht in einen Graubereich gerückt.
    Hardinghaus: Nein, werden sie nicht, weil ihnen die assistierte Suizidhilfe insofern übrig bleibt, dass sie nicht dafür bestraft werden. Wir sagen weiter, das ist keine ärztliche Aufgabe, aber sie werden nicht bestraft und deswegen kommen sie auch weniger in einen Graubereich. Das ist richtig.
    Grieß: Wenn es keine ärztliche Aufgabe ist, wessen Aufgabe ist es dann?
    Hardinghaus: Es können ja Ärzte tun, aber es ist nicht primär eine ärztliche Aufgabe. Es könnte auch eine Aufgabe eines Apothekers sein oder eines Angehörigen sein. Natürlich muss eine gewisse "Kompetenz" auch da sein, aber es ist nicht zwingend eine ärztliche Aufgabe.
    Grieß: Glauben Sie, dass die Zahl von Sterbehilfe dann in Deutschland zunehmen wird?
    Hardinghaus: Nein.
    Grieß: Warum nicht?
    Hardinghaus: Sie meinen, wenn wir assistierten Suizid haben?
    Grieß: Genau.
    Hardinghaus: Der ist ja nicht strafbar. Die Situation ändert sich ja nicht zu dem, was wir bisher haben. Deswegen wird sie auch nicht zunehmen.
    Grieß: Die Situation bleibt im Wesentlichen wie sie ist, aber...
    Hardinghaus: Aber die gewerbliche Sterbehilfe soll verboten werden und die geschäftsmäßige, die durch Vereine ausgeübt wird beispielsweise.
    Grieß: Könnte es denn nicht doch trotzdem sein, dass Apotheker oder Angehörige - diese beiden Beispiele nannten Sie - sich ermuntert sehen, die Schritte zur Selbsttötung zu gehen und diese Hilfe zu leisten?
    Hardinghaus: Ich glaube, dass auch sie nicht bestraft würden heutzutage, wenn sie die Hilfe leisten würden. Wenn Suizid nicht strafbar ist, ist ja auch die Hilfe zur Selbsttötung nicht strafbar bei uns. Da würde es also Apothekern und Angehörigen nicht anders gehen.
    Beschäftigung mit dem Tod sehr wichtig
    Grieß: Herr Hardinghaus, es gibt ja auch Stimmen im Bundestag, die sagen, lieber kein Gesetz, also die geltende Rechtslage, auf die wir auch gerade schon kurz gekommen waren, als irgendein neues Gesetz, weil es Bedenken gibt. Was ist davon zu halten?
    Hardinghaus: Ich halte wenig davon, weil es eben diese beiden, für mich und für uns wichtigen Punkte der gewerblichen und der geschäftsmäßigen Sterbehilfe nicht berücksichtigt und die weiterhin straffrei bleiben würden, und da sehe ich eine große Gefahr, dass dort es leichter wird, assistierten Suizid zu beanspruchen, und dass auch, ich sage mal, Scharlatane unterwegs sind, die das noch verkaufen.
    Grieß: Wenn wir beide Punkte zusammenziehen, Herr Hardinghaus, die Diskussion über die Palliativmedizin und die Diskussion über die Sterbehilfe - das ist eine Diskussion, die schon lange andauert -, inwieweit beeinflusst diese Diskussion das gesellschaftliche Klima?
    Hardinghaus: Das hoffentlich insofern positiv, dass die Menschen sich mehr mit Tod und Sterben befassen, mit den Möglichkeiten einer hospizlichen und palliativen Versorgung befassen und dass die Problematik, die dahinter steckt, im Leben erträglicher wird, dass wir uns im Leben schon eher damit befassen. Das halte ich für sehr wichtig.
    Grieß: Ist das eine Hoffnung, oder ist das eine Bewegung, die Sie auch beobachten?
    Hardinghaus: Die beobachte ich, und das ist auch gut so.
    Grieß: Winfried Hardinghaus war das, der Vorsitzende des Hospizverbandes, zu den beiden Themen Palliativmedizin und Sterbehilfe. Beide Themen stehen in dieser Woche im Bundestag zu einer Entscheidung auf der Tagesordnung, am Donnerstag und am Freitag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.