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Pannen in der Netzverwaltung

Netzpolitik.- Die Internetverwaltung ICANN hat einst selbst die Einführung neuer Adressendungen wie ".bayern" oder ".vermögensberater" angestoßen. Nun droht ihr die Umsetzung über den Kopf zu wachsen. Besonders neue Domainnamen mit chinesischen oder arabischen Schriftzeichen bereiten Probleme.

Von Mariann Unterluggauer | 30.06.2012
    "ICANN hat eine schwierige Aufgabe übernommen. Sie versucht, weltweit als vertrauenswürdige Organisation aufzutreten. Jedoch gibt es für 'Vertrauen' keine allgemeingültige Definition."

    Niemand zweifelt daran, dass ICANN eine schwierige Aufgabe zu erfüllen hat. Schon gar nicht die Vertreter von Rechtsanwaltskanzleien, FBI, zwischenstaatlichen Organisationen und Domain-Verwaltern, die diese Woche in Prag, bei der 44. Konferenz von ICANN, anwesend waren. ICANN ist verantwortlich für die Verwaltung von Internetadressen, die Einführung des Internetprotokolls IPv6 und neuer Top-Level-Domainnamen wie ".bayern" und ".vermögensberater". An die 2000 Anträge für neue Top-Level-Domains wurden seit Januar 2012 eingereicht. 13 davon vom gemeinnützigen Verein Core, für den der katalanische Rechtsanwalt Amadeu April i April arbeitet. Core berät kommerzielle Antragsteller für Adressen wie ".scott" und ".quebec". Für sich selbst beansprucht die Organisation Top-Level-Domains in arabischer und kyrillischer Sprache.

    "Wir glauben, dass die vorhandenen Top-Level-Domains wie ".com" und ".info" ausreichend sind. Wir haben aber ".markt" in arabisch eingereicht, ".site" und ".online" in kyrillisch, weil in diesen Sprachen diese "generic top-level domains" nicht existieren."

    Es stand in Prag außer Frage, dass es sinnvoll ist, neue Domainnamen in kyrillischer Sprache, chinesischen und arabischen Schriftzeichen einzuführen. Allerdings hadert die dafür zuständige Arbeitsgruppe bei ICANN noch mit der Umsetzung. Bis März 2013, so die Arbeitsgruppe für "Internationalized Domain Names" werde noch an sehr grundsätzlichen Fragen gearbeitet werden. Zu klären ist zum Beispiel, wie mit regionalen Sprachvarianten umgegangen werden soll. Aber das ist nicht das einzige Dilemma, das in Prag für Diskussionsstoff sorgte.

    "Zum Beispiel gibt es zwei Anträge für .sport und einen Antrag für .sports. Wir haben solche Ähnlichkeiten in den Anträgen noch nicht gezählt, aber .sport und .sports wird es nicht geben. Das würde die User nur verwirren. "
    Vorerst schwemmten die Antragsteller an die 350Millionen Dollar in die Kasse von ICANN. Das eingelangte Geld - so der Vorstand - werde benötigt, um den Prozess der Vergabe abzuwickeln. Und es gilt als Rücklage für mögliche Rechtstreitigkeiten. Ob dieses Geld auch zurückgezahlt wird, wenn es nicht gebraucht wird, blieb in Prag unklar. Unzufrieden zeigte man sich in Prag auch mit dem Prozedere der Auswertung, das schon mehrmals abgeändert werden musste. Am Anfang wollte das ICANN-Team eine Lotterie. Aber diese Idee musste wieder verworfen werden, weil einer Organisation mit Sitz in Kalifornien Glücksspiel per Gesetz untersagt ist. "Wer zuerst klickt, kommt zuerst" benachteiligt wiederum Teilnehmer aus Afrika, wenn sie nicht das Glück haben, an eine schnelle Leitung angebunden zu sein. Auch dieser Vorgang wurde von den Registraren abgelehnt und vom Vorstand in Prag zurückgewiesen.

    Jetzt plädiert man auf die gemeinsame Veröffentlichung aller Ergebnisse im Jahr 2013. Dieses "Hin und Her" führte dazu, dass so mancher Beobachter der 44. ICANN Konferenz die Frage aufwarf, ob sich ICANN am Markt der Domainnamen noch aktiv beteiligen sollte. Schließlich gebe es wichtigeres zu tun, als sich an Spekulationen zu beteiligen. Nämlich für die korrekte Kommunikation zwischen den Maschinen und deren Identifikation zu sorgen. User, so der Niederländer Rob Blokzijl, Vorsitzender von RIPE, dem europäischen Netzwerk Koordinierungs-Zentrum, und ehemaliger ICANN-Vorstand, würden soundso kaum mehr Domainnamen eintippen. Sie verwenden Suchmaschinen.
    "Wenn regionale Gruppen oder Städte glauben, eine Top-Level-Domain sei für ihre Identität nützlich, dann sollte ICANN dem nicht im Wege stehen. Aber klar ist, dass die Einreichungen überwiegend von Spekulanten kommen. Sie haben sich Verisign angesehen, das die Domains ".com" und ".net" verwaltet. Von diesen Top-Level-Domainnames gibt es vielleicht an die 120 Millionen weltweit. Sieben Dollar pro Domain - das macht an die 850 Millionen Dollar pro Jahr. Unterm Strich bleibt ein netter Gewinn von 700 Millionen Dollar. Das entspricht auch dem jährlichen Gewinn von Verisign. Die Spekulanten sagen sich jetzt: Wenn die das können, dann kann ich das auch - und ich werde reich! Aber ich glaube, die meisten dieser Unternehmen werden scheitern!"