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Panorthodoxes Konzil auf der Kippe, Teil 1:
Heftige Spannungen zwischen Moskau und Konstantinopel

Eigentlich sollten sich in den kommenden Wochen auf Kreta erstmals in der Geschichte Vertreter aller orthodoxen Kirchen zu einem Konzil treffen. Nun steht es auf der Kippe, weil immer mehr Kirchen absagen. Das ist ein Politikum. Wer sind die Orthodoxen? Was unterscheidet sie von anderen Christen? Und warum knirscht es im Gebälk?

Von Ulrich Pick | 14.06.2016
    Auf ein gemeinsames Zeichen der orthodoxen Einheit hofft man beim panorthodoxen Konzil auf Kreta.
    Auf ein gemeinsames Zeichen der orthodoxen Einheit hofft man beim panorthodoxen Konzil auf Kreta. (Deutschlandradio / Andreas Main)
    Mit rund 300 Millionen Gläubigen bilden die orthodoxen Kirchen die drittgrößte christliche Gemeinschaft weltweit. Insgesamt gehören ihr 14 autokephale - das heißt: unabhängige und mit einem eigenen Oberhaupt versehene - Einzelkirchen an. Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich vor allem über Ost- und Südosteuropa sowie kleinere Gebiete des Orients.
    Die Orthodoxie fühlt sich stärker als andere Kirchen der früh-christlichen Tradition verpflichtet. Zudem zeichnet sie eine starke Ikonenverehrung und individuelle Frömmigkeit aus. Wenngleich die orthodoxen Kirchen untereinander durch dieselbe Theologie, Spiritualität und Glaubenspraxis verbunden sind, gibt es dennoch kulturelle Unterschiede und gegenseitige Abgrenzungen. Diese zeigen sich nach Ansicht von Johannes Oeldemann, dem Direktor des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik in Paderborn, vielfach durch die Bildung von Lagern:
    "Man kann ganz grob unterscheiden die griechisch-sprachige und die slawisch-sprachige Orthodoxie: Die griechisch-sprachige Orthodoxie mit dem Patriarchen von Konstantinopel an der Spitze, aber dazu gehören dann auch die Kirche von Griechenland, die Kirche von Zypern, das Patriarchat von Alexandrien, das Patriarchat von Jerusalem beispielsweise.
    Ursprünglich sollte das Konzil in Istanbul stattfinden, doch Moskau drängte darauf, den Tagungsort zu verlegen.
    Ursprünglich sollte das Konzil in Istanbul stattfinden, doch Moskau drängte darauf, den Tagungsort zu verlegen. (Deutschlandradio / Andreas Main)
    Dann die slawisch-sprachige Orthodoxie, wo ganz eindeutig das Patriarchat von Moskau sozusagen der Sprecher ist dieser Gruppierung, wozu eben auch noch andere slawisch-sprachige Kirchen wie die bulgarische oder die serbische Kirche zählen."
    Doch bei der serbischen Kirche, sagt Oeldemann, werde bereits deutlich, dass die Lagerbildung eben nicht so eindeutig sei. Denn viele Bischöfe der serbisch-orthodoxen Kirche hätten in Griechenland studiert und von daher - obgleich slawisch-stämmig - enge Verbindungen zum griechisch-sprachigen Bereich der Orthodoxie. Zudem gebe es Kirchen, die sich dezidiert keinem Lager zuordnen lassen und eine gewisse Neutralität vertreten:
    "Beispielsweise die rumänische-orthodoxe Kirche, die zahlenmäßig nach dem Moskauer Patriarchat die zweitgrößte orthodoxe Kirche weltweit ist. Oder auch das sogenannte rum-orthodoxe Patriarchat von Antiochien, das sich die arabisch-sprachigen Orthodoxen, die auch nicht in eines dieser Lager hineingehören."
    Die orthodoxen Kirchen haben keinen "Papst"
    Anders als die römisch-katholische Kirche mit dem Papst kennt die Orthodoxie keine Vorrangstellung eines Bischofs oder Patriarchen. Formell stehen alle orthodoxen Kirchen gleichrangig nebeneinander. Sie können ihre Probleme selbständig und ohne Rechtfertigung gegenüber anderen regeln. Allerdings hat der im heutigen Istanbul ansässige Patriarch von Konstantinopel einen Ehrenvorsitz. Er ist sozusagen "Erster unter Gleichen".
    Hintergrund ist die besondere historische Stellung seiner Kirche, denn durch sie wurden alle anderen orthodoxen Kirchen missioniert. Die herausgehobene Position Konstantinopels wird allerdings regelmäßig in Frage gestellt und zwar vor allem durch die russisch-orthodoxe Kirche - sagt Stefan Kube, der Chefredakteur der in Zürich erscheinenden Zeitschrift "Religion und Gesellschaft in Ost und West".
    "Zwischen dem Moskauer Patriarchat und dem Patriarchat in Konstantinopel gibt es immer wieder Konflikte, wem eigentlich die Führungsrolle in der Orthodoxie zukommt. Das ist ein Konflikt, der die orthodoxe Welt beherrscht und der wahrscheinlich der in der Öffentlichkeit brisanteste ist."
    Bei der Einberufung des jetzigen panorthodoxen Konzils zeigte sich der Konflikt ebenfalls. Ursprünglich nämlich sollte das Treffen nach dem Willen des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel in Istanbul stattfinden - in der Kirche der Heiligen Irene. Denn dort, so erklärte er, habe bereits das zweite Ökumenische Konzil im Jahr 381 stattgefunden.
    Druck von Moskau
    Auf Druck von Moskau aber wurde der Tagungsort verlegt. Das panorthodoxe Treffen findet jetzt auf Kreta statt - und zwar in der orthodoxen Akademie in Kolymvari. Zwar gehört die griechische Mittelmeer-Insel ebenfalls zum Einflussgebiet des Ökumenischen Patriarchen, die Verlegung aber gilt nach Ansicht von Assaad Elias Kattan, Professor für orthodoxe Theologie an der Universität Münster, als Politikum:
    "Ich gehe davon aus, dass die Gründe vor allem politische Gründe sind. Dass es heute politische Spannungen gibt zwischen der Türkei und Russland. Und dass dem russischen Oberhaupt, dem Patriarchen Kyrill, und den Bischöfen in der russisch-orthodoxen Kirche ganz klar seitens der Politik in Russland signalisiert wurde: Ja, wir würden davon abraten, dass man in die Türkei fliegt."
    Die Größe der russisch-orthodoxen Kirche ist ihr Druckmittel gegen den Patriarchen vom Bosporus.
    Die Größe der russisch-orthodoxen Kirche ist ihr Druckmittel gegen den Patriarchen vom Bosporus. (Deutschlandradio / Andreas Main)
    Dass es der russisch-orthodoxen Kirche gelang, gegen den Willen des Ökumenischen Patriarchen das Konzil von Istanbul nach Kreta zu verlegen, liegt vor allem an ihrer Größe, die sie auch als Druckmittel benutzt. Das Patriarchat von Moskau vertritt nämlich mit über 100 Millionen Mitgliedern mehr als ein Drittel aller orthodoxen Gläubigen weltweit. Im Einflussgebiet Konstantinopels leben hingegen gerade einmal vier Millionen. Assaad Elias Kattan:
    "Es kommt ja auch aus diesem Grund zu Spannungen, weil die Positionierung, die sich auch beobachten lässt in den letzten 20 Jahren, vor allem seitdem Patriarch Kyrill gewählt wurde, ist: Ja, wir lassen uns wenig diktieren von den Orthodoxen, die am Bosporus sitzen. Also, wir sind zahlenmäßig wichtiger - und darüber müssen wir jetzt reden."
    Zu wenig Austausch zwischen orthodoxen Kirchen
    Im Gegensatz zur zentral geleiteten römisch-katholischen Kirche gibt es in der Orthodoxie keine Institution, die gemeinsame Angelegenheiten und Probleme regeln könnte. Dazu der orthodoxe Theologe und ehemalige Referent bei der serbisch-orthodoxen Kirche in Deutschland, Carol Lupu:
    "Die orthodoxe Kirche hat keine Kommunikation untereinander. Es gibt kein einziges Gremium, das die Patriarchate untereinander in einem ständigen Austausch und Dialog vereint. Das heißt: Wenn jetzt ein Konzil stattfindet, findet das über gewisse Büros statt. Es hat aber nie einen großen Austausch gegeben oder ein Diskussionsforum."