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Panorthodoxes Konzil
Kirchenvolk bleibt außen vor

In der Theorie sehen sich die orthodoxen Kirchen der Welt als eine einheitliche Kirche. In der Praxis aber ist die Orthodoxie ein kompliziertes Geflecht vieler Einzelkirchen. Im Juni soll nun ein panorthodoxes Konzil stattfinden – das erste seit Jahrhunderten. Offene Fragen gibt es reichlich. Experten bezweifeln, ob das Konzil ein Erfolg werden kann.

Assaad Elias Kattan im Gespräch mit Benedikt Schulz | 22.01.2016
    Die armenisch-orthodoxe Helenakapelle in der Grabeskirche in Jerusalem
    Die armenisch-orthodoxe Helenakapelle in der Grabeskirche in Jerusalem (dpa / picture alliance / Marius Becker)
    Benedikt Schulz: Im Juni dieses Jahres am orthodoxen Pfingstfest soll es endlich stattfinden – das langerwartete erste neuzeitliche, alt-orthodoxe, heilige und große Konzil, eine Zusammenkunft der eigenständigen orthodoxen Kirchen der Welt. Der Tagungsort ist Istanbul. Die orthodoxen Kirchen der Welt sehen sich in der Theorie als eine Kirche. In der Praxis aber hat sich die Orthodoxie im 19. und 20. Jahrhundert in ein ziemlich kompliziertes, vor allem entlang nationaler Grenzen aufgeteiltes Kirchengeflecht ausdifferenziert, in dem unter anderem darüber gestritten wird, welche unter den Einzelkirchen den höchsten Rang beanspruchen kann. Es gab in der Vergangenheit zwar immer wieder alt-orthodoxe Versammlungen, doch ein solches Konzil, das gab es genau genommen seit Jahrhunderten nicht mehr. Und vorbereitet wird es bereits seit den 70er-Jahren in sogenannten prä-konziliaren Konferenzen. Auch in diesen Tagen sitzen die Oberhäupter der 14 eigenständigen, der autokephalen oder autonomen orthodoxen Kirchen wieder zusammen zu einer Arbeitssitzung in der Schweiz. Darüber und über das geplante Konzil im Juni spreche ich mit Assaad Elias Kattan, orthodoxer Theologe am Centrum für religionsbezogene Studien an der Uni Münster. Ich grüße Sie.
    Assaad Elias Kattan: Vielen Dank.
    Schulz: Herr Kattan, warum gab es überhaupt so lange Funkstille in der orthodoxen Welt?
    Kattan: Der Hauptgrund, warum es in den letzten – kann man sagen – so 5 bis 6 Jahrhunderten keine solche Versammlung gegeben hat, ist die Tatsache, dass seit der Eroberung Konstantinopels im Jahre 1453, dass es seitdem keine byzantinischen Kaiser gibt, keinen oströmischen Kaiser. Der oströmische Kaiser war für die Einberufung dieser Konzilien verantwortlich und er hat ja auch die Reisen der Bischöfe finanziert und ihren Aufenthalt. Das ist ja auch für meine Begriffe der Hauptgrund.
    Schulz: Wie sind denn die Unterschiede in den Mentalitäten. Sie selbst kommen aus dem Libanon. Wir haben orthodoxe Kirchen auf der ganzen Welt. Da treffen doch unterschiedliche Mentalitäten aufeinander?
    Kattan: Ja, verständlicherweise. Zunächst einmal gibt es ja auch die orthodoxen Völker, die auf der balkanischen Halbinsel Lebenden, bzw. in Russland. Es sind ja auch Griechenland und Rumänien, Bulgarien, Serbien. Es gibt eine Reihe von kleineren orthodoxen Kirchen im Vorderen Orient. Und es gibt natürlich auch die orthodoxen Kirchen, die sich in den letzten zwei Jahrhunderten, also vor allem im 19. und 20. Jahrhundert, etabliert haben in den Ländern, die traditionell quasi nicht zu der orthodoxen Kirche gehören. Das ist zunächst einmal Europa – und dann Kanada, USA und Südamerika. Die Frage nach diesen neu entstandenen Kirchen ist eine der Hauptfragen, die auch dieses panorthodoxe Konzil beschäftigen soll. Das Hauptproblem ist auch – nehmen wir mal eine Stadt wie Berlin oder wie New York – da gibt es ja auch eine Reihe von orthodoxen Kirchen. Also die Griechen gehören zu dem Patriarchat von Konstantinopel, die Russen gehören nach Russland, die Rumänen gehören nach Rumänien. Das darf ja auch nach dem alt-kirchlichen Prinzip nicht sein. Das heißt also an einem bestimmten Ort, bzw. in einer Stadt kann es nur eine orthodoxe Kirche geben. Das ist das Problem, das wir Theologen das Diaspora-Problem nennen.
    Schulz: Es wird auch über Dinge gestritten wie die Vereinheitlichung der liturgischen Kalender. Das klingt für Außenstehende denkbar banal. Warum wird über ein solches Thema überhaupt so intensiv gestritten?
    Kattan: Innerhalb der orthodoxen Welt gibt es ja auch Divergenzen. Es gibt orthodoxe Kirchen, die dem alten, also julianischen Kalender folgen, wie die russisch-orthodoxe Kirche. Es gibt andere Kirchen, die völlig dem sogenannten gregorianischen Kalender folgen, der auch im Westen hier Gültigkeit hat- also sprich in Deutschland zum Beispiel die finnisch-orthodoxe Kirche. Das gilt apropos auch für das Osterdatum bei den Finnen. Und es gibt orthodoxe Kirchen, die einen Mischmasch, also so eine Mischung von gregorianischem und julianischem Kalender haben. Und es wäre schön, wenn diese Divergenzen behoben werden könnten. Die Kalenderfrage ist keine marginale Frage, wenn es auch darum geht die sichtbare Einheit nach außen widerzuspiegeln. Hinzu kommt natürlich die Angst, dass, wenn es zu einer Vereinheitlichung kommt im Blick auf den Kalender, dass einige Orthodoxe sich abspalten von der Kirche. Als einige Kirchen auf den julianischen Kalender verzichtet haben und den gregorianischen Kalender übernommen haben oder teilweise übernommen haben, kam es ja auch zu Kirchenspaltungen, deshalb ist die Kalenderfrage eine sensible Frage in der Welt der Orthodoxie.
    Schulz: Glauben Sie daran, dass das Konzil ein Erfolg werden kann?
    Kattan: Zunächst einmal muss man die Frage stellen, ob das Konzil überhaupt stattfinden würde. Dann müssen ja auch andere Fragen geklärt werden – zum Beispiel der Ort des Konzils. Man ist davon ausgegangen, dass das Konzil in der Irenenkirche in der Stadt Istanbul stattfindet. Aber in letzter Zeit gab es Bedenken, ob überhaupt das Konzil in Istanbul stattfinden könnte – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Zuspitzung der politischen Verhältnisse zwischen der Türkei und Russland. Ich bin gespannt.
    Schulz: Damit ist die Liste an Hausaufgaben für das Konzil aber doch unendlich lang. Es wird dort ja – soll ja theoretisch nicht abgestimmt werden, sondern Beschlossenes nur besiegelt werden. Aber es ist ja noch lange nicht alles unter Dach und Fach. Die ganzen Vorbereitungen laufen seit Jahrzehnten, im Juni soll es so weit sein. Damit das Ganze doch eigentlich schon zum Scheitern verurteilt, oder?
    Kattan: Das ist ja auch eines der Probleme. Es gibt ein Reihe von Theologen, Kollegen und Kolleginnen von mir, die massive Bedenken geäußert haben im Blick auf diese Verfahrensweise, dass bei diesem Konzil nicht so richtig diskutiert werden soll, sondern dass bestimmte Konsensdokumente ratifiziert werden sollen. Ich halte das für äußerst problematisch. Früher – in dem ersten Jahrtausend verliefen die Konzilien nicht auf diese Art und Weise, sondern es gab auch Diskussionen. Und wir wissen von der Erfahrung des Zweiten Vatikanischen Konzils, dass es auch in der römisch-katholischen Kirche nicht funktioniert hat. Bei dem Zweiten Vatikanischen Konzil hatte die Kurie auch eine Reihe von Dokumenten vorbereitet und man ist am Anfang davon ausgegangen, dass die Bischöfe kommen, um diese Dokumenten einfach zu akzeptieren und zu bestätigen. Aber dann kam es zu einer völlig anderen Atmosphäre und die Bischöfe haben gesagt, nein – das wollen wir nicht. Von daher, wenn das Konzil jetzt in 2016 stattfindet, dann kann ich nur hoffen, dass es zu einem vergleichbaren Phänomen kommt, dass man auch sagt, es ist Diskussionsbedarf da. Ich habe auch persönlich große Bedenken, ob man über die wirklich strittigen Fragen zu einem Konsens, zu einer Vereinbarung kommen kann.
    Schulz: Wäre denn ein solches Konzil, bei dem viele Fragen am Ende dennoch offen bleiben, trotzdem ein Erfolg, weil es zumindest stattgefunden hat?
    Kattan: Ja, das ist wie die zwei Seiten einer Münze. Wenn das Konzil stattfindet, dann wird es natürlich ein Ausdruck der sichtbaren Einheit, der Weltorthodoxie. Das kann man ja auch nicht bestreiten. Und allein die Tatsache, dass jetzt die orthodoxen Kirchen sich darin einig sind, dass ein Konzil so schnell wie möglich stattfinden soll. Dass man versucht, dieses Konzil stattfinden zu lassen, ist ein Zeichen dafür, dass es Intentionen gibt, dass es einen Wunsch gibt in der orthodoxen Kirche diese Synodalität, dieses Zusammenmachen, Zusammentun von Sachen wieder zu beleben. Das ist auch eine positive Sache. Andererseits ich würde eher tendenziell sagen, lieber lässt man jetzt das Konzil nicht stattfinden, sondern lieber nimmt man sich ein bisschen mehr Zeit, um diese Fragen, die noch offen sind zu klären. Man macht jetzt ein Konzil mit einer Tagesordnung, die vor 50 Jahren erstellt wurde. Das halte ich für äußerst problematisch. Im Grunde genommen gibt es weitere Themen, mit denen sich dieses Konzil beschäftigen soll und die für meine Begriffe genauso wichtig sind. Das Verhältnis Staat und Kirche in der Orthodoxie, oder die liturgische Reform, oder die Rolle von Laien, von Frauen und Männern. In der alltäglichen Arbeit von Kirchengemeinden, von Diözesen – das sind alles Fragen, mit denen sich das Konzil nicht beschäftigen wird. Das heißt, im Grunde genommen, hält man ein Konzil, aber mit einer Agenda, mit einer Tagesordnung, die ziemlich veraltet ist. Die andere Schwierigkeit, die ich sehe, ist, wenn das Konzil stattfindet im Jahr 2016, das wird vor allem ein Bischofskonzil. Das heißt, Priester sind nicht daran beteiligt, Diakone sind nicht daran beteiligt, Theologen kaum. Warum möchte man ein Konzil im 21. Jahrhundert machen, ohne jetzt zu sagen, wir setzen uns mit den Herausforderungen unserer Zeit auseinander. Und das würde bedeuten, ein anderes Prozedere, auf alle Fälle und mehr Beteiligung seitens der Basiskirche. Ich wünsche mir ein Konzil, wo das Kirchenvolk mehr beteiligt ist, wo die Theologen und Theologinnen mehr beteiligt sind. Das heißt, dieses Konzil, egal jetzt ob es im Jahre 2016 stattfindet oder nicht, ich wünsche mir ein Konzil, das einen entscheidenden Beitrag leisten kann, das Kirchenleben zu erneuern – ein bisschen wie das Zweite Vatikanische Konzil in der römisch-katholischen Kirche vor genau 50 Jahren.
    Schulz: Einschätzungen waren das von Assaad Elias Kattan, orthodoxer Theologe an der Universität Münster. Mit ihm habe ich gesprochen über das geplante panorthodoxe Konzil in Istanbul in diesem Juni. Ganz herzlichen Dank.
    Kattan: Ihnen auch vielen, vielen Dank.