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Papa, was ist ein Fremder?

Es ist lange her, daß ein Pariser Schriftsteller zur besten Sendezeit durch die deutschen Fernseh-Nachrichten geisterte. Eine PR-Einlage von höchster Stelle war nötig: vom Herrn Innenminister persönlich. Mit seiner Tochter hielt Otto Schily im Tonstudio Hof, um Tahar Ben Jellouns Kinderbuch gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit auf CD zu bannen. Ganz selbstlos schien die gute Tat aber nicht. Offenbar wollte Schily die harsche Kritik an seiner Politik abblocken, die Daniel Cohn-Bendit im Nachwort zur deutschen Ausgabe äußert. Die Ängste, die den Rassismus anstachelten, klagt das Europa-grüne Sprachrohr darin, räume der Innenminister nicht aus, sondern er spiele mit ihnen.

Christoph Vormweg | 16.04.1999
    Um die Fehden der Realpolitiker braucht sich Tahar Ben Jelloun derweil nicht zu scheren. Mit seinem Buch "Papa, was ist ein Fremder?" will er die erreichen, die noch beeinflußbar sind: die Kinder im Alter von 8 bis 14 Jahren. In Frankreich ist ihm das gelungen: Einige hundertausend Kinder, vor allem von Einwandereren und Armen, haben, so Tahar Ben Jelloun, sein Buch bereits gelesen. Die Bourgeosie und ihr Nachwuchs dagegen fühle sich in ihren ausländerfreien Vierteln vom Thema Rassismus nicht betroffen. Immer wieder klingen solche klassenkämpferischen Untertöne im Interview an. In seinem Kinderbuch "Papa, was ist ein Fremder?" hat sie der derzeit erfolgreichste maghrebinische Autor französcher Sprache jedoch bewußt gemieden. Das Gespräch mit seiner zehnjährigen Tochter Mérièm bleibt immer behutsam, sachbezogen und konkret. Ihre ersten Fragen zum Thema stellte sie Anfang 1997 während einer Demonstration gegen Ausländerfeindlichkeit in Paris, zu der sie ihren Vater begleitete. Den ursprünglichen Dialog arbeitete Tahar Ben Jelloun noch mindestens fünfzehn Mal um. Um einen effizienten "pädagogischen Text" aus ihm zu machen, diskutierte er ihn wiederholt mit Mérièm, ihren Schulfreundinnen sowie Kollegen.

    Es habe ihn viel Mühe gekostet, bis der Text klar, transparent und präzise genug gewesen sei, um bei den Kindern auch anzukommen. Für Tahar Ben Jelloun, der in Psychologie promoviert hat, beginnt der Kampf gegen den Fremdenhaß "mit der Arbeit an der Sprache", das heißt mit der Verbannung der vorurteilsbeladenen Klischees aus dem Wortschatz. Schließlich, betont er, werde "kein Kind [...] als Rassist geboren", sondern dazu erzogen. "Dumme Sprüche" klopft er genauso auf ihren Wahrheitsgehalt hin ab wie die Relikte pseudowissenschaftlicher Rasse-Lehren. Knapp und dezidiert zeichnet er so die blutige Geschichte menschlicher Willkür und Grausamkeit nach - vom Kolonialismus über den Antisemitismus bis hin zu Apartheid und Völkermord. Überzeugend an Ben Jellouns Erläuterungen ist gerade die Schlichtheit, mit der er dem rassistischen Lügengerüst den Boden entzieht - etwa mit dem Hinweis, daß "alle Männer und alle Frauen der Erde rotes Blut haben" und "dass es zwischen einem Chinesen, einem Malier und einem Franzosen mehr soziokulturelle als genetische Unterschiede gibt." Durch die Fragen seiner Tochter Mérièm wird Ben Jelloun dabei als gebürtiger Marrokaner mit französischem Paß immer wieder gezwungen, auf die persönlichen Erfahrungen im Pariser Alltag zurückzukommen, auf den konkreten Umgang mit Menschen anderer Kultur: Multikulturelles Zusammenleben ist für Tahar Ben Jelloun keine abstarkte, sondern eine sehr konkrete physische Angelegenheit. Gerade "Mischehen" müsse man ermutigen, da sie - so wörtlich - "ein gutes Bollwerk gegen den Rassismus [...] sind".

    Sein Kinderbuch "Papa, was ist ein Fremder" wird vom französischen Erziehungsministerium ganz ähnlich eingestuft. Mehrfach preisgekrönt, gehört es mittlerweile an französischen Schulen zur Pflichtlektüre. Doch auch seine großen Erfolge als Schriftsteller können Ben Jelloun, der 1987 als erster Nordafrikaner den renommierten Goncourt-Preis erhielt, nicht über den alltäglichen Fremdenhaß in der Vielvölkermetropole Paris hinwegtrösten. Vor allem in den Vorstädten, der uferlosen "banlieue", grassiere der Rassismus: Oft habe der Rassismus seine Ursache in der Armut, im Elend, in der Einsamkeit, der Verzweiflung. Er komme, so Ben Jelloun, von sozialen, menschlichen Problemen. Doch die Menschen irrten sich in ihrer Wut: anstatt hinzugehen und ihrem Chef eins aufs Maul zu geben, schlügen sie einen armen Afrikaner zusammen, der zufällig vorbeikomme.

    Tahar Ben Jelloun, selbst Vater von vier Kindern, ist in Frankreich seit Erscheinen seines Kinderbuchs "Papa, was ist ein Fremder" zur öffentlichen Figur geworden, zu einer Art moralischem Gewissen der Nation. In den Medien nutzt er sein Renommee, um das Bewußtsein für den Riß, der durch die westlichen Gesellschaften geht, zu schärfen. In seinen Romanen - auf deutsch ist gerade "Zina oder Die Nacht des Irrtums" erschienen - beschreibt er diesen Riß in seinen Ambivalenzen, in seiner Abgründigkeit. In seinem ersten Kinderbuch sucht er den Klartext. Es ist prall gefüllt mit Moral, doch nie moralinsauer. Im konkreten Bezug zum Alltag, in der Vielzahl der Beispiele liegt seine Stärke. Denn Hoffnung setzt Ben Jelloun nur in den Nachwuchs. "Ein Kind", betont er, "kann man vor dem Rassismus retten, einen Erwachsenen nicht." Nicht die Botschaft der Toleranz ist neu, sondern die Tatsache, daß Ben Jelloun sie so verständlich und bestimmt zu Papier gebracht hat. Eine Lektion in Menschlichkeit, die auch Eltern nicht schaden dürfte. Schließlich ist, wie es so schön heißt, "jeder von uns [...] ein Fremder [...] für jemand anderen."