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"Papers, please"
Die neue Ernsthaftigkeit der Computerspiele

Gamedesigner bemühen sich zunehmend, bei der Spieleentwicklung ausgetretene Pfade zu verlassen – abseits von Jump'n' Run und Ego-Shooter. "Papers, please" heißt ein Computerspiel, in dem man in die Rolle eines Grenzbeamten schlüpft. Und obwohl der Spieler nichts tut als Pässe zu kontrollieren, wirft das Werk wichtige gesellschaftliche Fragen auf.

Von Christian Schiffer | 15.04.2014
    November 1982: Dienstantritt als Passkontrolleur des fiktiven Staates Arstotzka, einer lupenreinen osteuropäischen Autokratie. Die Aufgabe: Einreisebestimmungen durchzusetzen. Penibel durchzusetzen. Und das, obwohl an der Grenze eine Menge los ist: Jeder will rein nach Arstokzka, und so errichtet das Land eine Mauer aus Vorschriften, um die Einreise so kompliziert wie möglich zu machen. Jetzt heißt es, Ausweisdokumente prüfen und per Mausklick den Stempel setzen: "Einreise genehmigt" oder "Einreise verweigert".
    "Papers, please" heißt das Computerspiel, in dem man in die Rolle eines Grenzbeamten schlüpft. Entwickelt wurde es von dem Amerikaner Lucas Pope. Der Gamedesigner hat lange Zeit für große Computerspiel-Schmieden gearbeitet und dabei vor allem bunte Blockbuster-Spiele gemacht. Irgendwann hatte er darauf keine Lust mehr und begann auf eigene Faust damit, "Papers, Please" zu programmieren. Mehr Ernst, weniger Klamauk, das wünschen sich viele Computerspielmacher, sagt Anjin Anhunt, der die Szene beobachtet und selbst auch als Gamedesigner arbeitet:
    "Man merkt auf jeden Fall, es ist in den Leuten, die Spiele machen, so ein Hunger dafür da, diese Sache mal anzugehen und diese Sachen mal zu bearbeiten. Man hofft, dass irgendwann der Markt auch mal diesen Bewegungsspielraum erlaubt."
    Gehilfe oder Gegner des Systems? Der Spieler muss sich entscheiden
    Erstaunlicherweise hat sich "Papers, Please" zu einem kleinen Hit entwickelt. 500.000 Mal wurde das Spiel bisher verkauft, und das, obwohl es gar keinen so großen Spaß macht, stundenlang Ausweisdokumente zu prüfen. Und trotzdem fesselt "Papers, Please". Der Spieler muss sich nämlich entscheiden: Will er Teil einer gut geschmierten Repressions-Maschine sein? Oder doch eher das Sandkörnchen im Getriebe des Systems? Lässt er Dissidenten ins Land, obwohl das ein großes Risiko darstellt? Oder versucht er sich, so gut wie möglich an die Situation anzupassen? 20 verschiedene Enden hält "Papers, please" bereit, je nachdem, wie sich der Spieler verhält, bekommt er ein anderes serviert. Das Spiel regt an zum Nachdenken und das sollten Spiele öfter tun, findet Anjin Anhunt:
    "Was Stück für Stück kommt, sind halt diese anderen Bereiche, für die man halt Spiele wie jedes andere Medium halt nutzen kann. Und das ist halt Vermittlung von Werten, Ausdruck der eigenen Persönlichkeit, Stellen von kritischen Fragen, Erforschen von Konzepten, so was alles. Diese Sachen stehen gar nicht unbedingt in Konkurrenz zueinander, sondern da ist einfach so ein entsprechender Bereich, der so langsam wächst."
    Nach sieben Stunden Pässe-Stempeln flimmert der Abspann von "Papers, please" über den Bildschirm. Die Zeit als Passkontrolleur ist vorbei. Was bleibt, ist ein Gespür dafür, wie ein autokratischer Staat tickt. Und eine Ahnung. Nämlich die, dass "Papers, please" ein ganz wichtiges Spiel sein könnte.