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Papst Franziskus im EU-Parlament
Europas Defizite überwinden

Papst Franziskus übte vor dem europäischen Parlament in Straßburg Kritik an den Regeln der EU, wurde ungewöhnlich politisch - erntete aber trotzdem viel Applaus. Die "Seele Europas" stehe auf dem Spiel. Franziskus mahnte auch vor dem Europarat - und damit vor Vertretern der Ukraine und Russlands.

Von Annette Riedel | 25.11.2014
    Papst Franziskus am Rednerpult
    Papst Franziskus übte im EU-Parlament Kritik an der europäischen Flüchtlingspolitik. (Alexandre Marchi, dpa)
    Mit durchweg Respekt, konzentrierter Aufmerksamkeit und mit viel Szenenapplaus sowie minutenlangem Beifall am Ende bedachten die Abgeordneten die Rede von Papst Franziskus im Europäischen Parlament. Er lobte Europa für seine Erfolge. Und mahnte Europa zu weiteren Anstrengungen. Dabei sparte er nicht an Deutlichkeit - etwa bei der Aufforderung an Europa, gemeinsam das Migrationsproblem anzugehen.
    "Man kann nicht hinnehmen, dass das Mittelmeer zu einem großen Friedhof wird."
    Und dann wurde der Papst ungewöhnlich deutlich, ja politisch.
    "Das Fehlen gegenseitiger Unterstützung innerhalb der Europäischen Union läuft Gefahr, partikularistische Lösungen des Problems anzuregen, welche die Menschenwürde der Einwanderer nicht berücksichtigen und Sklavenarbeit sowie ständige soziale Spannungen begünstigen."
    Kritik an EU-Flüchtlingspolitik
    Wenn man will – und gemessen am Applaus an dieser Stelle wollten das einige Abgeordnete im Parlament – dann lässt sich daraus Kritik an den Regeln der EU bei der Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen heraushören. Diese Regeln führen dazu, dass einige EU-Staaten fast gar keine Flüchtlinge aufnehmen, andere dagegen überproportional viele. Und sie führen dazu, dass sich EU-Länder mit Außengrenzen, allen voran Italien, bei der Erstaufnahme von Flüchtlingen nicht angemessen von den übrigen EU-Ländern unterstützt fühlen. Eine echte Aufgabe für Europa, aber eine, die bewältigt werden könne.
    "Europa wird im Stande sein, die mit der Einwanderung verbundenen Probleme zu bewältigen, wenn es versteht, in aller Klarheit die eigene kulturelle Identität zu betonen und geeignete Gesetze in die Tat umzusetzen, die fähig sind, die Rechte europäischer Bürger zu schützen und zugleich die Aufnahme der Migranten zu garantieren."
    Der Papst stellte seine Ausführungen zum Thema Migration in den Zusammenhang mit den Menschenrechten und der Würde des Einzelnen. Sich für diese, sowie für die Einigung des Kontinents in der Vielfalt, die Toleranz und die friedliche Konfliktlösung einzusetzen - das sei Europas großes Verdienst.
    Europa in Gefahr, seine "Seele zu verlieren"
    Allerdings sprach Franziskus auch von Defiziten, die er sieht. Defizite, die sich im Zuge der Wirtschaftskrise verstärkt, die zu Vereinsamung und Perspektivlosigkeit der Menschen geführt hätten, die das Misstrauen gegenüber den europäischen Institutionen habe wachsen lassen. Verbliebe Europa in der Logik der Wegwerfgesellschaft, der egoistischen Lebensstile, des Vergessens der eigenen christlichen Wurzeln, drohe ihm, seine Seele zu verlieren.
    "Der Mensch ist in Gefahr, zu einem bloßen Räderwerk in einem Mechanismus herabgewürdigt zu werden, der ihn nach dem Maß eines zu gebrauchenden Konsumgutes behandelt."
    Bei Vertretern aller Parteien stieß die Rede des Papstes auf Zustimmung; es gab langen Applaus, auch vom SPD-Abgeordneten Udo Bullmann.
    Mahnung an Russland und die Ukraine
    "Wenn Menschen mit Überzeugungen und auch die Repräsentanten christlicher Kirchen, sich engagiert zum europäischen Projekt bekennen und den Menschenrechten, die im Mittelpunkt unserer politischen Arbeit stehen, kann uns das nur helfen."
    Papst Franziskus hielt in Straßburg noch eine weitere Rede - vor den Vertretern der 47 Länder des Europarats. Dieser Institution gehören auch die Ukraine und Russland an. Auch wenn der Papst beide Länder nicht namentlich erwähnte, so war es sicher kein Zufall, dass das Vatikanoberhaupt dort alle Anwesenden mahnte, mehr Anstrengungen für den Frieden zu machen.
    Der Friede werde derzeit durch "andere Formen des Konflikts" auf die Probe gestellt, etwa durch den "religiösen und internationalen Terrorismus". Nachdrücklich sprach sich Franziskus für einen "offenen, respektvollen und bereichernden" Dialog unter Menschen und Gruppen unterschiedlicher Herkunft und religiöser Tradition aus.