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Papstreise
Die USA als religiöser Supermarkt

Es ist eine der politisch heikelsten Reisen des Papstes: Seit Samstag besucht Franziskus das sozialistische Kuba, am Dienstag fliegt er in die USA. Allein die Reiseroute darf als Politikum verstanden werden. Amerika-Kenner und Geschichtsprofessor Michael Hochgeschwender über den Zustand der katholischen Kirche in den USA und einen möglichen Papst-Effekt im amerikanischen Vorwahlkampf.

Michael Hochgeschwender im Gespräch mit Monika Dittrich | 21.09.2015
    Eine Tafel in Kubas Hauptstadt Havanna mit dem Porträt des Papstes heißt Franziskus willkommen.
    Erst Havanna - dann Washington. Hat die Papstreise einen Effekt im amerikanischen Vorwahlkampf? (picture alliance / dpa / Alejandro Ernesto)
    Monika Dittrich: Die Reise des Papstes ist auch ein Symbol für das Brückenbauen zwischen Kuba und den USA. Jahrzehntelang herrschte Eiszeit zwischen den beiden Staaten, und es ist wohl maßgeblich der Vermittlung durch Papst Franziskus zu verdanken, dass Washington und Havanna kürzlich wieder diplomatische Beziehungen miteinander aufgenommen haben. Über den zweiten Teil der Papstreise in die USA will ich jetzt mit Michael Hochgeschwender sprechen. Es ist Professor für nordamerikanische Kulturgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München – und außerdem Theologe. Und zu seinen Fachgebieten gehört die Geschichte des US-amerikanischen Katholizismus. Er ist uns zugeschaltet aus München. Guten Morgen Herr Professor Hochgeschwender.
    Michael Hochgeschwender: Grüß Gott, Frau Dittrich.
    Dittrich: Der Papst reist erst nach Havanna, dann nach Washington. Ist diese Reiseroute ein Politikum, ein politisches Signal?
    Hochgeschwender: Also, man kann sowohl bei dem Papst als auch bei der vatikanischen Diplomatie getrost davon ausgehen, dass gerade in einer solchen Situation dieser Reiseweg sehr bewusst gewählt worden ist. Vor allen Dingen auch, wenn man weiß, dass der Papst ursprünglich über Mexiko in die USA einreisen wollte, was natürlich ein sehr starkes Symbol, auch in Anbetracht der Flüchtlingskrise, die es ja auch in den USA gibt, gewesen wäre. Also von daher ist das ganz, ganz sicher eine politische Botschaft, die dahinter steckt, – auch an bestimmte Kreise in den USA, an Konservative, die diesen Prozess nicht wollen.
    Dittrich: Das heißt: Da soll sich manch ein Amerikaner ein bisschen ärgern, dass Franziskus zuerst zu den Kommunisten nach Kuba reist und dann in die USA?
    Hochgeschwender: Ich bin mir gar nicht so sicher, ob es ihm um Ärger geht. Seine Botschaft ist ja eine der Inklusion, eine Botschaft der Barmherzigkeit. Aber er setzt ganz klar Akzente, dass für ihn Kuba kein ausgestoßenes Land ist. Für viele Republikaner ist Kuba immer noch sozusagen ein Land außerhalb der zivilisierten Gemeinschaft, das man isolieren muss. Und indem der Papst zuerst nach Kuba fährt, bricht er dieses Denken auf. Ich glaube auch gar nicht, dass das als linke politische Aktion gedacht ist, sondern es ist erst einmal als Aktion gedacht zu sagen: Kuba ist Bestandteil dieser Weltgemeinschaft und muss als solches ernst genommen werden; und wir müssen uns mit Kuba auseinander setzen.
    Dittrich: Wie in Kuba dürften den Papst auch in den USA die Herzen zufliegen – zumindest den Umfragen zufolge erreicht der Papst in den USA Sympathiewerte wie ein Rockstar. Wie kommt es zu dieser enormen Zustimmung, obwohl die Zahl praktizierender Katholiken ja gleichzeitig sinkt?
    Hochgeschwender: Ja, das ist ein ganz erstaunliches Phänomen, das man unter Johannes Paul II. ja auch schon hatte. Also, man hat auf der einen Seite einen Papst, der auch auf Massen wirkt, der sehr attraktiv ist, was ihn von Benedikt XVI. mit seiner etwas spröden Art unterscheidet. Aber auf der anderen Seite wirkt sich das nicht notwendig auf die Zahl der Kirchgänger aus. Was man allerdings den Umfragen auch entnehmen kann in den USA, ist, dass die kirchentreuen Katholiken eigentlich mit der Situation ihrer Kirche relativ zufrieden sind. Das Kritikpotenzial hält sich dort in Grenzen. Das Problem sind eher jene, die in den letzten Jahrzehnten still ausgewandert sind.
    Katholische Kirche in den USA - ethnische Fragmentierung
    Dittrich: Das lassen Sie uns mal über die Katholiken in den USA sprechen. In welchem Zustand befindet sich die katholische Kirche?
    Hochgeschwender: Wenn man von außen drauf schaut, erst einmal in einen überraschend guten - wenn man sich vor Augen führt, dass etwas sechs der neun höchsten Richter der USA Katholiken sind, dass relativ viele der amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Katholiken sind. Katholiken sind in der Politik, in der Kultur deutlich überproportional beteiligt. Sie stehen auch auf beiden Seiten, beiden Flügeln der Gesellschaft. Aber wenn man genauer hinsieht, hat die katholische Kirche auch deutliche Probleme. Eines ihrer Probleme ist uralt – das ist die ethnische Fragmentierung. Der amerikanische Katholizismus besteht aus sehr vielen ethnischen Frömmigkeitstraditionen, die sich zum Teil auch nicht besonders gut verstehen. Italiener und Polen können traditionell nicht mit den Iren; Iren und die Polen können nicht mit den Spaniern. Insofern hat man hier eine sehr vielfältige Form von Katholizismus und immer wieder gewisse Schwierigkeiten, das alles auszutarieren. Der andere Punkt, den man nicht vergessen darf, ist, dass seit den 1960er, 70er Jahren zum einen im Nachgang zum Zweiten Vatikanischen Konzil es zu erheblichen Verwerfungen zwischen liberalen und konservativen Katholiken gekommen ist, die aber seit den 1980er Jahren etwas nachgelassen haben, und dass zum anderen vor allen Dingen das irisch-katholische Milieu im Laufe der Zeit in die Mittelklasse aufgestiegen ist und dadurch politisch ganz andere Standpunkte einnimmt als es noch in der 1950er Jahren eingenommen hat. All diese Prozesse sind noch nicht ganz aufgefangen worden und wurden verschärft durch den sexuellen Missbrauchsskandal, der Ende des letzten Jahrhunderts, Anfang dieses Jahrhunderts aufgekommen ist.
    Dittrich: Sie haben eben gesagt, die Katholiken in den USA haben schon großen, auch politischen Einfluss. Von außen betrachtet nimmt man die USA aber eher als protestantische Nation wahr.
    Hochgeschwender: Was sie traditionell ja auch sind. Und es handelt sich ja auch um einen – wenn man so will – amerikanisierten Katholizismus, der einige Züge des Protestantismus aufgenommen hat, etwa das ständige sich Berufen auf die Bibel, eine fast evangelikale Art und Weise der Argumentation, eine sehr hohe Rolle der Einzelgemeinden im Vergleich zur Hierarchie – vor allem seit den 1970er Jahren, eine Abkehr – das hat in Europa auch stattgefunden – von der Scholastik und traditionellen Philosophien der katholischen Kirche und Theologien. Also es ist ein amerikanisierter Katholizismus, aber es ist deutlich als Katholizismus erkennbar. Politisch sind seine Einflüsse deswegen beschränkt, weil liberale Katholiken andere Schwerpunkte haben als konservative Katholiken. Konservative Katholiken identifizieren sich relativ oft mit individual-moralischen und sexual-moralischen Ansätzen, wie sie unter Johannes Paul II. sehr stark verbreitet waren. Liberale Katholiken sind etwa in der Abtreibungsfrage von Nicht-Katholiken kaum zu unterscheiden und identifizieren sich dann mehr mit Positionen, wie sie Papst Franziskus in seiner Sozial-Enzyklika vertreten hat. Wobei man das jetzt auch nicht automatisch als links bezeichnen kann.
    Papst-Effekt im US-Vorwahlkampf?
    Dittrich: Nun wird Papst Franziskus am Donnerstag als erster Papst überhaupt vor dem US-Kongress in Washington eine Rede halten. Wird das dann eine Nervenprobe – gerade für die Konservativen, für die Republikaner, dass er gerade solche Themen anspricht, die Sie gerade genannt haben?
    Hochgeschwender: Ja, er ist ja von John Boehner, einem Republikaner, eingeladen worden, der selber Katholik ist. Von daher wird Boehner damit gerechnet haben, was er zu hören bekommt. Und – wie ich den Papst einschätze – wird er auch keine sehr heftige Kritik üben, aber er wird mit Sicherheit das sagen, was er immer sagt. Und das sind Botschaften, die – wenn man etwa die ökologische Erneuerung der katholischen Soziallehre bedenkt, wie sie in "Laudato si" vorliegt – das sind Botschaften, die die konservativen Republikaner nicht gerne hören und von denen sich auch einige katholische Präsidentschaftskandidaten deutlich distanziert haben. Ich denke an Jeb Bush, der da auch gesagt hat, das ginge den Papst nicht viel an. Von daher wird es da Kritik geben. Aber die Art und Weise, wie der Papst formuliert, dürfte eher auf Inklusion ausgerichtet sein, denn auf Trennung.
    Dittrich: Und wer profitiert dann davon im Vorwahlkampf? Wenn Sie sagen, die Republikaner haben sich zum Beispiel von der Umwelt-Enzyklika distanziert? Gibt es da so etwas wie einen Papst-Effekt?
    Hochgeschwender: Ich glaube nicht, dass es einen unmittelbaren Papst-Effekt gibt. Es wird Diskussionsbedarf innerhalb des konservativ-katholischen Lagers geben, wie man sich im Verhältnis zur katholischen Soziallehre ausrichtet – die lange in den USA vernachlässigt worden ist. Der Katholizismus in den USA war mal Vorreiter in der katholischen Soziallehre unter Monsignore John A. Ryan zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Aber das ist verloren gegangen. Und jetzt muss der konservative Katholizismus wiedererkennen, dass die katholische Soziallehre eigentlich auch einen stark konservativen Gehalt hat. Das ist keine liberale Lehre, sondern ist eine anti-kapitalistische Lehre, und die muss als solche wieder stärker berücksichtigt werden.
    Privat-Religion macht so wenig Sinn wie Privat-Sprache
    Dittrich: Die Religion spielt in den USA grundsätzlich eine ziemlich große Rolle. Viele Amerikaner wechseln aber im Laufe ihres Lebens mindestens einmal die Glaubensrichtung. Das kommt uns hierzulande eher fremd vor. Warum ist das in den USA so anders?
    Hochgeschwender: Ja, das hängt mit der protestantisch-calvinistischen Tradition und der Idee des Primats der Ortsgemeinde vor übergeordneten Strukturen zusammen. Das heißt, man konvertiert ja in der Regel nicht so radikal, dass man – was weiß ich – vom Unitarier zum strengen Katholiken wird, sondern man konvertiert innerhalb eines Milieus. Wenn man den Ort verlässt – und es ist eine sehr mobile Gesellschaft – dann konvertiert man zu einer Gemeinde, wo einem der Prediger besser gefällt. Es ist übrigens so, dass Katholiken, Juden und südstaatliche Baptisten die geringste Konversionsquote in den USA haben. Das heißt, das sind vergleichsweise stabile religiöse Gemeinschaften, was im Katholizismus ja auch mit der besonderen Rolle der sichtbaren Kirche zusammenhängt.
    Dittrich: Hierzulande spricht man ja dann auch schon mal vom religiösen Supermarkt – also dass das Angebot, das in den USA an Religionen und Glaubensgemeinschaften so vielfältig ist, da pickt man sich das Passende heraus. Das klingt auch schon mal so ein bisschen despektierlich. Wie schätzen Sie das ein?
    Hochgeschwender: Ja, es hat etwas von diesem Sich-heraus-picken. Also Menschen – das gibt es in Deutschland aber auch – neigen heute dazu, sich aus einer Art Baukasten die Religion herauszusuchen, die ihnen irgendwie gefühlsmäßig am besten gefällt. Das ist für Religion insgesamt etwas problematisch, weil eine Privat-Religion so wenig Sinn macht wie eine Privat-Sprache. Das heißt Religion ist immer auf Gemeinschaft, auf Gemeinschaft der Wahrheit ausgerichtet, und der Wahrhaftigkeit. Das ist eine sehr problematische Entwicklung einerseits. Auf der anderen Seite belebt es die Religionen in den USA, da man sich in einer permanenten Situation des Werbens befindet – um neue Mitglieder. Und das führt dazu, dass eigentlich das religiöse Leben in den USA vergleichsweise lebendig ist.
    Dittrich: Und in dieses Werben – wie passt da die katholische Kirche hinein?
    Hochgeschwender: Die hat sich inzwischen bestens eingefügt. Wenn man in einer katholischen Gemeinde in den USA ist, gibt es so selbstverständlich eine missionarisch aktive Gruppe, die versucht, Konvertiten aus anderen Religionsgemeinschaften heranzuziehen. Wobei man im Moment sagen muss, hält sich die Lebendigkeit der amerikanischen Religionen etwas in Grenzen. Wenn man sich die Religionsstatistiken ansieht, profitieren derzeit vor allen Dingen die Nicht-Gebundenen – gar nicht so sehr die Atheisten und die Agnostiker – sondern diejenigen, die sich überhaupt keiner Religionsgemeinschaft zugehörig fühlen, aber trotzdem irgendwie gottgläubig sind.
    Gemeinde als eine Art Ersatzfamilie
    Dittrich: Wir erleben in den USA einen ganz liberalen Ansatz: Der Staat mischt sich überhaupt nicht ein. Die Kirchen sind auf das Engagement der Mitglieder angewiesen. Warum funktioniert das dort?
    Hochgeschwender: Weil die Mitglieder sehr engagiert sind. Die geben etwa 10 Prozent ihres Einkommens an die jeweiligen Kirchengemeinden. Man erwartet im Umkehrschluss dann auch von ihnen, dass sie sich in der Gemeinde aktiv engagieren. Und die Gemeinde ist oft eine Art Ersatzfamilie, wenn man zum Beispiel wieder einmal umgezogen ist und die eigentliche Familie relativ weit entfernt ist. Und sie übernimmt soziale Funktionen, die der Staat nicht übernimmt. All diese Aspekte tragen dazu bei, dass der Religion in den USA eine ganz andere Rolle zukommt als bei uns.
    Dittrich: Und kann die katholische Kirche davon auch profitieren?
    Hochgeschwender: Davon hat sie immer profitiert. Aufgrund ihrer Geschlossenheit, die sie zumindest bis in die 1960er Jahre hatte. Aufgrund ihres sozialen Engagements, das man nicht vergessen darf. Die amerikanische katholische Kirche ist eine der größten Träger von sozialen Einrichtungen, von Krankenhäusern, Schulen, Kindergärten, Waisenhäusern. Und das ist natürlich etwas, was in die Gesellschaft hinein sehr stark wirkt.
    Dittrich: Wenn wir jetzt auf den Besuch des Papstes gucken, ist das dann eher ein Signal in die Gesellschaft und in die Kirchen in den USA hinein oder doch eher auch ein Signal in die Politik – mit seiner Rede auch im Kongress und vor den Vereinten Nationen?
    Hochgeschwender: Das sind auf alle Fälle Signale in die Politik, die er auch ganz gezielt setzt und wo er – wie ich auch bereits vorhin gesagt habe – versucht, auch seinen Ansatz der katholischen Soziallehre einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Es ist aber auch ein Signal in die Kirchen hinein, sich abzuwenden von dieser permanenten Debatte um Abtreibung, die in den USA ja alles überdeckt hat in den letzten 15 Jahren. Man konnte in kaum noch eine Kirchengemeinde hineinkommen, wo nicht dauernd über Abtreibung diskutiert wurde. Da setzt er neue Schwerpunkte, er setzt neue Zeichen. Das ist, glaube ich, sehr wichtig, vor allem vor dem Hintergrund der einwandernden Latinos. Hier wird der Papst am meisten wirken, wenn lateinamerikanische Katholiken nach Norden in die USA kommen und jetzt hier die Chance suchen, sich dort zu etablieren.
    Dittrich: Welches Zeichen setzt er denn?
    Hochgeschwender: Er setzt vor allem ein Zeichen der Hinwendung. Man muss tatsächlich sagen, dass der irisch-dominierte Episkopat die Latino-Einwanderung sehr, sehr lange vernachlässigt hat, was dann auch dazu geführt hat, dass etwa pfingst-christliche Gruppe dort stark um sich gegriffen haben.
    Dittrich: Morgen reist der Papst in die USA. Dazu waren das Einschätzungen von Michael Hochgeschwender, Professor für nordamerikanische Kulturgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Herr Hochgeschwender, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
    Hochgeschwender: Bitte sehr.
    Das Gespräch können Sie sechs Monate in unserer Mediathek nachhören.