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Papua-Neuguinea
Hochlandmagie und Haifischjagd

Das Kulturfestival von Goroka im Hochland von Papua-Neuguinea entführt den Besucher in eine fremde, magische Welt. Tänze, Gesänge und Rituale spiegeln das Leben der Menschen und ihren Glauben. Zudem hilft es, die rund 500 Stämme des Landes friedlich zusammenzubringen. An der Küste wagen sich die Männer aufs Meer zur Jagd auf Haie.

Von Lottemi Doormann | 17.05.2015
    Zwei Krieger beim Goroka-Festival.
    Zwei Krieger beim Goroka-Festival. (Lottemi Doormann)
    Seit den frühen Morgenstunden bereiten sich die Frauen eines Hochlandclans im Hof ihrer Herberge auf das große Kulturfestival von Goroka vor. Zuerst schlüpfen sie in einen Rock aus Dschungelblättern. Dann befestigen sie an den Oberarmen hellgrüne Büschel und legen sich dutzende Muschelketten um, die bis zu ihren nackten Brüsten reichen. Die Haare verbergen sie unter buntem Kopfschmuck, gekrönt von prächtigen Paradiesvogel-, Papageien- und Pfauenfedern. Am längsten dauert die Gesichtsbemalung mit den typischen Farben und Mustern ihres Clans. Eine von ihnen ist Anna. "Wir sind gestern mit dem Bus aus Mount Hagen gekommen, aus dem Dorf Bata Compound im westlichen Hochland. Das ist eine weite Reise, die uns viel Geld gekostet hat. Meine Gruppe nennt sich Hooks Ambe und hat 14 Mitglieder. Wir bleiben hier zwei Tage. Mein Vater neben mir heißt Thomas Joseph und hilft mir beim Richten des Kostüms."
    Wie eine Maske wirkt ihr Gesicht. Die Lippen sind weiß geschminkt und blau umrandet, ebenso Stirn und Augenpartie. Auf Wangen und Kinn wird flächig ein feuriges Rot gepinselt. Dabei helfen sich die Frauen gegenseitig. Zufrieden beäugt Anna das Werk in einem abgebrochenen Autorückspiegel. Gleich werden alle zum Festplatz von Goroka aufbrechen.
    In dieser kleinen Stadt mitten im Hochland findet jedes Jahr im September das berühmteste "Sing Sing"-Festival von Papua-Neuguinea statt, an dem bis zu 150 Volksstämme teilnehmen. Auf der fußballfeldgroßen Wiese zwischen all diesen fremdartigen Menschen umherzugehen, ihnen zuzuschauen, zuzuhören, wie sie die uralten Traditionen und Rituale ihrer Ahnen tanzend, singend, trommelnd, Kampfrufe ausstoßend in Szene setzen, das ist so verwirrend und betörend, als wäre man in eine Welt wie vor tausend Jahren zurückgebeamt worden.
    "Wir sind eine Kele-Kele-Kulturgruppe. Wir tanzen unseren Nationaltanz. Wir liegen am Boden wie eine Schlange, springen auf und tanzen. Wie die schwarze Schlange, die im Wald lebt. Sie verkörpert unsere Kultur in Simbu im Sina-Sina-Distrikt." Arebakapa nennt sich dieser Sing-Sing-Tanz aus einem kleinen Dorf in der Hochlandprovinz Simbu, 350 Kilometer von Goroka entfernt. "Wir liegen auf dem Boden, weil wir uns von der Schlange befreien wollen. Die Leute sollen sehen, dass uns die Medizin wieder aufweckt. - Welche Art von Medizin? - Magische Medizin. Pflanzen und Knochen und andere Sachen. - Auch Betelnüsse? – Ja, auch Betelnuss und Kalk und vieles mehr. Diese Sachen helfen, Leute wach zu machen und nach der Unterbrechung wieder aufzustehen."
    "Goroka Show" soll für Frieden sorgen
    Es sind Geistergeschichten, die sie mit ihren Körpern erzählen und die wir nicht verstehen. Da schleppen fast nackte, pechschwarz gefärbte Jungen auf ihren Köpfen eine riesige schwarze nachgebildete Schlange, so lang wie der Kreis, den zwei Dutzend Jungen bilden.
    Sie drehen sich unaufhörlich mit erhobenen Armen in der Mittagshitze, um den Sieg über die Schlange, die in ihrer Vorstellung als gefährlicher Geist im Wald lebt, mit einem Sprechgesang zu beschwören.
    Wir gehen weiter zu einer Gruppe wilder Krieger aus Guasa, einem kleinen Dorf im östlichen Hochland. Die Männer stürmen gerade mit Pfeil und Bogen, Speeren und Trommeln über die Wiese, dass einem Angst und Bange werden könnte. Sie tragen Felle, Wildschweinhauer und magische Bilum-Taschen um den Hals, und auf ihren Köpfen thronen mächtige borstige Büsche.
    Jungen mit einer Schlange.
    Jungen mit einer Schlange. (Lottemi Doormann)
    Die "Goroka Show" ist keineswegs für Touristen erfunden worden, sondern wurde 1957 zum ersten Mal von der damaligen australischen Provinzregierung organisiert, um die verfeindeten Stämme zu einem friedlichen Miteinander zu bewegen. Papua-Neuguinea gilt als eine der gewalttätigsten Gesellschaften der Welt. Die etwa 750 bis 1000 verschiedenen Volksstämme des Landes mit ebenso vielen eigenen Sprachen und Mythen, dazu mit einem bis heute unerschütterlichen Glauben an böse Geister und Hexenmagie bilden ein enormes Konfliktpotential. Aber solange die Stämme in Goroka tanzen, heißt es, bekriegen sie sich nicht.
    Mit magischer Medizin und Knochen
    An den drei Festtagen haben auch die Händler Hochsaison. Auf einem Platz vor der Festwiese bieten sie handgeknüpfte Netztaschen, selbstgeschnitzte Holzmasken, Muschelketten und magische Amulette aus Tierknochen und Vogelfedern an. Einer der Händler mit tiefen Furchen im Gesicht hält ein dunkelbraunes Knochenbündel hoch. "Das ist ein Nährsack. Früher hängten ihn unsere Großeltern aufs Dach und fütterten damit ihre Schweine. Dann wurden sie schön fett und wir konnten sie essen."
    Wie ist das zu verstehen, fragen wir unseren einheimischen Tourguide Alex, der in Goroka lebt. "Es ist eher eine magische Medizin. Es sind Tierschädel vom Opossum, das einem Affen ähnelt und in den Bäumen lebt. Die Knochen werden im Tierfutter verwendet und auch im Garten für eine gute Ernte."
    Viele Händler säumen auch die Hauptstraße des kleinen Städtchens und breiten auf dem Pflaster geflochtene Körbe, ausgestopfte Paradiesvögel und Ketten mit den Hauern von Wildschweinen aus. Proppevoll ist es hier am späten Nachmittag. Die meisten Händler und Passanten sind barfuß und haben vom Betelnusskauen rot verschmierte Zähne. Ein Mann mit Schirmmütze trägt auf den Unterarmen eine wagenradgroße Perücke aus gepresstem schwarzem Haar durch die Menge, auf der Suche nach einem Käufer, bevor die Sonne untergeht.
    Am nächsten Tag geht es mit einem Truck in die unwegsame Kotuni-Region. Der 15-jährige Nathan und der 19-jährige Hanle aus dem Dorf Kaveve führen uns auf einem steilen Pfad durch den Dschungel zu einem Wasserfall. Der Pfad ist mit glitschigen, von Moos überwachsenen Steinen übersät und manchmal so schmal, dass nur ein Fuß dazwischen passt. Immer ist das Rauschen des Flusses zu hören. Unterwegs erzählt Nathan mit Inbrunst von einem halben Mann namens Nokondi. "Hier in diesem Dorf gibt es einen halben Mann so groß wie ein Riese. Das ist Nokondi, mit halber Nase, halbem Mund, halber Brust und nur einem Bein, mit dem er springen und sogar Steine zerschmettern kann."
    Vom Hochland an die Küste
    Überall hat der Nokondi in den Felsen und unten am Fluss seine Spuren hinterlassen. Wir kommen an Betelnusspalmen und riesigen Pandanut-Bäumen vorbei, lernen Pflanzen und Früchte kennen, die zum Kochen, für Häuserwände und als Schmuck bei Zeremonien verwendet werden. Dreimal müssen wir ein reißendes Flussbett überqueren und auf Felsbrocken hinüber balancieren, bis wir schließlich den mächtigen Wasserfall erreichen.
    Hier, in der östlichsten Bergprovinz mit dem 3.750 Meter hohen Mount Michael, sind auch die berühmten Lehmmänner, die Mudmen des Asaro-Clans, beheimatet. Im Dorf Geremiaka berichtet unser Tourguide Alex, was der Legende nach vor ungefähr 50 Jahren geschehen ist.
    "Es kamen Bergbewohner ins Tal hinunter, voller Neid auf das fruchtbare Land der dortigen Bewohner, und töteten Männer, Frauen und Kinder. Doch einige konnten in den Schlamm des Asaro-Flusses fliehen. wo sie mit Hilfe einer Maske unter Wasser atmen konnten. Als die Feinde zum Fluss kamen, erhoben sie sich aus dem Wasser. Die Verfolger glaubten, es seien die Geister der Verstorbenen und erschraken. Am nächsten Morgen erschienen die Geflohenen schlammbedeckt im Dorf wie Geister, ohne Bewegung, ohne Tänze, ohne Sing-Sing. Als die Feinde sie sahen, rannten sie panisch weg, zurück in die Berge, und kehrten nie wieder zurück."
    Vor den palmgedeckten Bambushütten des Dorfes wird die Szene für uns nachgespielt. Gespenstergleich schleichen die Mudmen mit Fratzenmasken aus dem Gebüsch und erschrecken nun die Besucher. Das ist nicht nur Mummen-schanz für Touristen, sondern rituelle Selbstvergewisserung ihres Erbes. Und Stammeskriege entzünden sich bis heute aus Neid, Rachsucht oder Aberglauben und gehören noch immer allzu häufig zum Alltag.
    Beim Schminken für das Goroko-Fest.
    Beim Schminken für das Goroko-Fest. (Lottemi Doormann)
    Vom Hochland an die Pazifikküste zu reisen, dauert im drittgrößten Inselstaat der Welt einen ganzen Tag. Der kleine Ort Tufi in der nordöstlichen Provinz Oro ist nur per Flugzeug erreichbar. Nach der Landung auf einer Sandpiste direkt am Meer wird das Gepäck auf dem Anhänger eines Treckers zum nahe gelegenen Hotel gebracht. Es liegt 80 Meter oberhalb einer wundervollen Fjordlandschaft an der Spitze von Cape Nelson. Tufi gilt als eines der besten Tauchresorts des Landes. Jenseits der Fjorde, im offenen Tropenmeer der Salomonsee, zieht sich parallel zur Küste ein bis zu 600 Meter tiefes Barriereriff entlang, ein Fest für Schnorchler und Taucher.
    Beim Paddeln in den idyllischen Gewässern rund um Tufi begegnen wir Kindern und Frauen, die in ihren Einbäumen Früchte, Wasser, Töpfe und Holz transportieren. Ihre Dörfer liegen oben auf den Bergrücken, deren vulkanische Ausläufer wie Finger ins Meer ragen und Tufis einzigartigen Fjorde bilden. Es gibt sie nirgendwo sonst in Papua-Neuguinea.
    Mit selbstgebauten Kanus auf See
    Ein steiler Pfad führt zum Dorf Yavi hinauf. Es hat 155 Einwohner, erfahren wir von William, dem Gemeindesprecher. Zwei junge Männer sind gerade dabei, die Innenseiten eines frisch ausgehöhlten Einbaums mit einem Beil zu säubern. Sie haben den Stamm aus hartem Eukalyptusholz frühmorgens im Wäldchen von Yavi geschlagen und singen nun bei der Arbeit. "Es ist eine harte Arbeit, die uns beim Singen leichter fällt, und so sind wir schneller damit fertig. Außerdem ist es ein fröhliches Lied darüber, dass wir mit einem guten neuen Kanu viel Fisch fangen werden und es gut für uns ist. Das ist der ganze Inhalt des Liedes."
    Die Bootsbauer sind für William eine gute Gelegenheit, den Besuchern zu erklären, wann ein Mann zum Mann wird: "Wenn du weißt, wie man ein Kanu macht, wenn du weißt, wie man fischt, wenn du weißt, wie man einen Garten macht, wenn du weißt, wie man ein Haus baut, dann schaust du auf dich selbst als Mann in einem Dorf. Und wenn du ein Kanu hast, einen Garten, ein Haus und eine Ehefrau, dann hast du alles, was du zum Leben brauchst. Das gibt dir ein Ansehen unter den Männern des Dorfes."
    Zwischen Yavi und dem Nachbardorf Komoa liegt am Fuße des Berghangs ein langer weißer Sandstrand. Mit mehreren selbstgebauten Kanus und Ausleger-booten stechen zehn Fischer aus Yavi in See.
    Laut rufend verständigen sie sich miteinander. Der Wind nimmt zu, sie fahren nicht weit hinaus. Zwei junge Männer setzen ihre Taucherbrillen auf und springen mit Harpunen ins Meer. Der mit der Harpune im Meer hat einen Hornhecht erwischt. Begeisterung bei den Fischern in den Booten. Auch der andere im Wasser harpuniert noch einen kleineren Fisch - und plötzlich riesige Aufregung. Ein Hai! Anstatt ins Boot zu flüchten, hüpfen zwei weitere Männer tollkühn ins Wasser, während unsereins Herzrasen kriegt vor Angst. Die Vier kämpfen mit dem Hai, der sich teilweise im Netz verfangen hat. Es ist ein Schwarzspitzenriffhai. Einem der Männer gelingt es, dem Hai ein Paddel ins Maul zu stoßen, damit er nicht mehr zubeißen kann. Dann ist nur noch Triumph und Jubel.
    Gegen Abend, als wir zu dritt ins Dorf zurückkehren, um dort die Nacht zu verbringen, berichtet uns William, dass das Fleisch des Hais schon verteilt und verspeist worden sei. Wie oft fangen die Fischer einen Hai, fragen wir den Gemeindesprecher. "Vielleicht einmal in zwei Monaten. Es ist verboten, Haie zu jagen. Sie sind durch die Fischereigesetze geschützt. Höchstens zufällig kann man einen fangen."
    Asiaten bezahlen viel für Haifischflossen
    Wir sitzen mit William auf der Veranda einer Bambushütte und lauschen dem Wind und dem Rauschen des Meeres. Nach einer Weile sagt er: "Doch viele Leute leben von den Flossen der Haie. Sie kümmern sich nicht darum, ob es verboten ist. Sie töten eine Menge Haie nur wegen der Flossen." Später, nach dem Abendessen, versammelt sich das halbe Dorf um den offenen Gästeplatz herum und lauscht unserem Gespräch mit William und den Fischern. "Wir haben hier die Gewohnheit, nach dem Aufstehen als erstes statt Kaffee Betelnuss zu kauen."
    Einer derFischer, Williams jüngerer Bruder Peter John, berichtet: "Heute am frühen Morgen, als ihr hier wart, hatten wir keine Betelnüsse. Wir fanden nirgendwo welche. So darbten wir den halben Tag. Nachmittags ging ich mit Peter nach Tufi, dort fanden wir einige Nüsse, kauten sie und fühlten uns besser. Wir kauen Betelnüsse wie die Weißen, die zwei Gläser Bier trinken." Dannerzählt Peter, einer der tollkühnen Fischer, vom Langleinenfischen. "Normalerweise benutzen wir Langleinen, um Haie oder größere Haie zu fangen. Der Hai, den wir heute gefangen haben, war klein. Aber wir fangen sogar 40- bis 50-Kilo-Haie mit Longlines. Wenn wir Glück haben und solche Haie fangen, schneiden wir ihnen die Flossen ab und verkaufen sie an die Asiaten. Die kommen extra hierher, um Flossen zu kaufen. Wenn wir wissen, dass sie da sind, fahren wir raus, um Haie zu fischen."
    Die Asiaten bezahlen gemessen nach Armlänge pro Stück und Größe mindestens 80 Kina, berichten sie, das sind etwa 27 Euro. Für die Flosse eines Weißen Hais, den sie alle zwei Monate erwischen, gibt es fast das Doppelte. Und das Fleisch der Haie verkaufen sie an die Resorts. Das ist viel Geld für ein armes Dorf. Aber ist es nicht verboten, Haie zu töten? "Ja, es ist ein geschützter Fisch. Aber wir brechen das Gesetz für das wirtschaftliche Überleben unseres Dorfes."
    Die Nacht in den drei Kojen der Bambushütte wird unruhig. Das Licht der Nachtwächter flackert durch die dünnen Wände. Draußen kommt Sturm auf, Regen peitscht auf das Dach. Die Regenzeit hat begonnen. Eine schlechte Zeit für die Fischer.
    Am letzten Abend im Tufi Resort tritt die Familienband "Cray Bobs" aus dem hiesigen Dorf auf, der örtliche Polizist mit seinen sieben Kindern, alle über und über mit Frangipani-Blüten geschmückt, das kleinste Mädchen Frida drei Jahre alt. Der Yukulele-Spieler mit der glockenhellen Stimme ist zwölf und mädchenhaft schön. Er stellt sich scheu den Gästen vor: "My name is Vergil. I am the bandleader. The name of my band is Cray Bobs."
    Dann wird wieder nach Herzenslust geschmettert und getanzt, und zum Schluss hängen die Mädchen den Gästen Blütenketten um - ein intensiver Duft und Ohrwurm-Rhythmen, die uns bis zum Abschied nicht mehr aus dem Kopf gehen.