Dienstag, 16. April 2024

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Paradies und Paradox. Wunderwerke aus fünf Jahrhunderten

Als sei‘ s die Quintessenz, die Signatur ihrer jahrelangen Studien, so hat die gelehrte Illustratorin, Malerin und Schriftstellerin Anita Albus die jeweiligen Kapitelenden ihres luxuriös bebilderten Buches über Wunderwerke aus fünf Jahrhunderten mit dem Emblem eines Paradiesvogels geschmückt. Dem Paradiesvogel, so erläutert sie uns, wurde im 16. Jahrhundert von den Seefahrern nachgesagt, er verbringe "sein Dasein im Dauerschwebeflug". Als reines Seelenwesen mit dem prächtigen Gefieder lebe er vom Himmelstau. "Verläßt er die glückseligen Gefilde der Luft, stürzt er sich zu Tode, da er keine Füße hat". Eine schöne Metapher auf den Künstler und dessen schwebende Existenz. (Und möglicherweise wurde ja Baudelaire zu seinem berühmten Albatros-Gedicht durch den Paradiesvogel alias Papagei inspiriert.)

Richard Schroetter | 30.04.2003
    Doch überraschenderweise gibt es in dem Buch von Anita Albus zwar viele Paradiesvögel, - Künstler, Gelehrte, Dichter, Sammler, Forscher -, deren geistige Höhenflüge von ihr liebevoll nachgezeichnet werden, doch keiner von ihnen stürzt tödlich ab. Ihre Porträtgalerie beginnt mit dem christlichen Kabbalisten Guillaume Postel und endet mit recycelten Aufsätzen über Proust und Nabokov, Beiträgen, die man gerne wiederliest, die aber nicht strikt hierhingehören.

    Der eigentliche Schwerpunkt liegt auf dem 16. und 17. Jahrhundert und deren heroischen Geistern, universal gebildeten Dilettanten von "brennender Wißbegier".

    Alle diese Leute, das kann man ja sehr schön sehen in meinem Buch, waren bewandert in allen Gebieten. Es gab da noch eine Einheit und einen Zusammenhang, ja was man die große Kette des Seins nannte. Es ist eine interessante Zeit, weil wir diese Vorstellungen eines anderen Europa entwickeln, aber es ist zugleich eine uns ganz und gar fremde Zeit, es ist eine Reise in eine ganz andere Welt, die man macht, wenn man sich mit diesen Menschen beschäftigt.

    Zu den Künstlern, die Anita Albus besonders faszinieren, gehört der holländische Miniaturist und Graphiker Joris Hoefnagel, ein Zeitgenosse von Montaigne, Galilei und Cervantes, ein Mann, der wegen seiner Robert-Walserschen Kunst des Sich-Klein-Machens lange vergessen war.

    Ich bin ja ausgegangen von Hoefnagel, der für mich ein großes Vorbild als Malerin seit langer Zeit ist. Und dieser ist nun ein Miniaturist und Dichter des 16. Jahrhunderts gewesen, der in dem Kreis von Ortelius und diesen, ja mit ganz Europa korrespondierenden Humanisten, befreundet war. Das Interesse scheint mir heute, gerade wo wir so viel über Europa reden, gegeben, also das ist im Grunde genommen doch sehr aktuell zu sehen, was war das für eine Zeit gewesen, wo tatsächlich alle Gelehrten und Künstler in ganz Europa miteinander in Verbindungen standen.

    Das Bedürfnis ihrer Epoche nach bebildertem Wissen, über Land und Leute, über Gegenstände aller Art, die man allenfalls vom Hörensagen kannte, haben Hoefnagel und Ortelius, - Ortelius war Kosmograph, Altertumsforscher und Verleger - mit kostbar illustrierten Atlanten bedient - mit prachtvollen Nachschlagewerken, den Vorläufern unserer Enzyklopädien und Lexika. In einer Zeit, in der das Reisen ein hochriskantes Abenteuer war, bereisten sie intensiv Europa und katalogisierten alles, was ihnen neu und u nbekannt erschien, um es zuhause, vor allem ihren Humanisten-Freunden vorzustellen. Es gab noch keine Differenz zwischen Information und Erkenntnis, so dass jede Information auch eine Erkenntnis darstellte, die das Wissen mit neuen konkreten und zugleich die Phantasie anregenden Bildern versorgte. Oft triumphierte die Imagination über das Wissen, wie Hoefnagels grandiose Miniatur Der Blick auf Sevilla in allegorischer Umrahmung zeigt. Anita Albus hat diesem Wunderwerk künstlerischer Feinmechanik und utopischer Phantasie ein detailreiches Kapitel gewidmet. Überhaupt das Detail:

    Das ist eine alte Liebe von mir. Es ist ja etwas Wunderbares, zu sehen wie die Dinge, alle Dinge dieser Welt, die Tiere genau so wie die Pflanzen, aber auch die Gebrauchsgegenstände, aus allem wurde etwas abgelesen, was quasi einen moralischen Kosmos bildet. Also die Dinge sprachen zu den Menschen. Das ist ja an sich schon wunderbar. Was heute - oder was in meiner Kindheit sagen wir mal - der schäbige Rest dessen ist wohl das Poesiealbum, also da ist von der Kunst nichts mehr übrig, da ist auch von dieser großen Moral nichts mehr übrig das zum Klische verkommen ist, das ist ja da eingegangen das ganze Wissen, was von der Antike überliefert worden ist - das kann einen eigentlich nur bezaubern, wenn man es sich anschaut.

    Doch trotz seiner genialen Feinarbeit, seiner objektiven Phantasie allem Existierenden gegenüber, wurde Hoefnagels Kunst über Jahrhunderte unterschätzt. Die Kunstgeschichte zeigte den kleinen Miniaturformaten gegenüber wenig Gnade und anonymisierte sie als Gebrauchsgraphik und Dutzendware. Hoefnagels Zeitgenossen, Künstler wie Caravaggio, El Greco, Tintoretto, Tizian und Veronese absorbierten die Aufmerksamkeit der Kunsthistoriker. Und so liest sich Albus‘ Buch auch wie das Plädoyer für einen großen Vergessenen, der selbst ein Retter war, der Erretter illuminierter Bücher, und nicht nur das:

    Diese Kunst, die eigentlich im Sterben war zur Zeit Hoefnagels, weil, da gab es ja schon die ganze gedruckte, also die Reproduktionsmöglichkeit, und eigentlich waren die illuminierten Bücher zum Untergang bestimmt. .... Was Hoefnagel geschaffen hat, er ist einer der Väter des Stillebens, also daraus ist hervorgegangen, dass man eben auch die Dinge so sehen kann - so etwas wie die Insekten, da ist er absolut der Erste gewesen, dass man ihnen die Würde gab, Thema eines Bildes zu sein - oder in einem Bild eine wesentliche Rolle zu spielen.. Und da diese Formen des Stillebens, des Blumenstillebens usw. Das ist sozusagen die Frucht einer Bemüh ung, die im Grunde genommen- ja eine Tradition, die im Untergehen war, aufrecht hielt.

    Die Rettung des Stillebens - des stillen Lebens in der Kunst - in unserer lärmenden Welt - bildet die zweite Stimme, ist der Subtext dieser feinsinnigen Studie und ist auch autobiographisch motiviert.

    Das war ein gewisser Weise ein Rückzugmanöver. Denn ich gehöre ja auch so am Rande zu den Leuten, die, wem man so will, das was man heute die 68-ger nennt. Als diese Geschichte so auseinander fiel in lauter Splittergruppen - also im Jahre 1969, da habe ich mich ganz zurückgezogen. Das war in den Augen meiner sogenannten Genossen eine absolute Unglaublichkeit, eine Lächerlichkeit, dass man sich zurückzieht und malt - und dann auch noch so malt wie ich gemalt habe. Aber wenn man sich entscheidet, sich zurückzuziehen, dann hat man eben seine eigenen Kritierien. ... Ich habe immer - und seit meiner Kindheit - ich bin mit Stilleben aufgewachsen - hat meine Liebe einer Art trompe d‘œil - Malerei gegolten. Immer die Liebe zum Detail, die war immer da.

    Die auffällige Vorliebe für eine Welt im Kleinen, die dem flüchtigen Betrachterauge entgeht, man kann das auch als Rückzugsmanöver bezeichnen vor der allgemeinen Flut der Banalität, der Schnelllebigkeit und vor dem gedankenlosen Konsumieren. Dagegen wehrt sich Anita Albus vehement und beruft sich auf ihren berühmtesten Verehrer, den Strukturalisten Claude Levi-Strauss, dem auch das Buch gewidmet ist:

    Wieso ein Rückzug? Es ist, hat Levi-Strauss gesagt, die Kunst ist immer ein verkleinertes Modell, also auch selbst die großen Fresken in den Kirchen, die wurden aus einer großen Entfernung gesehen, auch wenn die Figuren, die dargestellt sind größer sind als Lebensgröße, es wurde immer gesehen als etwas Verkleinertes, also insofern ist es immer nur eine Frage des Grades wie sehr man verkleinert. Das Prinzip der Verkleinerung ist immer gegeben.