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"Paradise Papers"
"Diese Art von Recherche hat einen demokratischen Sinn"

Bei der Berichterstattung über die "Paradise Papers" gehe es darum, demokratisch suspekte Dinge ans Licht zu bringen und Prüfung zu ermöglichen, sagte Heribert Prantl im Dlf. Investigativer Journalismus sei ein Hinweisgeber und erfülle die demokratische Aufgabe, Defizite im Rechtsstaat aufzuzeigen.

Heribert Prantl im Gespräch mit Michael Borgers | 06.11.2017
    Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der "Süddeutschen Zeitung".
    Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der "Süddeutschen Zeitung". (Imago / Sven Simon)
    Michael Borgers: Es scheint ja, dass schreibt Ihre Zeitung auch selbst, juristisch alles weitgehend in Ordnung zu sein, was die "Paradise Papers" offenlegen. Ist es dennoch richtig, das in der Form zu tun wie das NDR, Süddeutsche und WDR jetzt getan haben?
    Heribert Prantl: Ich denke ja. Es geht um Aufdeckung von klandestinen Dingen. Man versteckt gewaltige Summen, um sie dem steuerlichen Zugriff zu entziehen. Ob das dann strafrechtlich relevant ist, das wird noch umfangreiche Prüfungen erfordern.
    Auch bei den "Panama Papers" war es so, dass die Staatsanwaltschaften, die jeweils nationalen Ermittlungen, sehr viel langsamer sind als es die journalistische Aufdeckungskapazität ist. Man kann darüber ein bisschen sinnieren: Einerseits sind die Mittel und Möglichkeiten der Ermittler in den jeweiligen Ländern sehr umfangreich: viel, viel umfangreicher als die, die der Journalismus hat. Jeder Staatsanwalt hat die Möglichkeiten und die Mittel zur Vernehmung, zur Durchsuchung, zur Verhaftung. Die Mittel des Journalismus sind vergleichsweise reduziert. Das Mittel ist die ganz normale Recherche, die intensive Recherche, die investigative Recherche und die Publizität. Aber und jetzt sind wir bei dem großen Unterschied zwischen den Strafverfolgungsbehörden und dem Journalismus: Ich glaube, seit den "Panama Papers" zeigt sich, dass die internationale Kooperation der Journalisten in diesem Bereich sehr viel weiter ist als die Kooperation der nationalen Ermittlungsbehörden.
    Journalismus erfüllt seine demokratische Aufgabe
    Borgers: Dennoch noch mal nachgehakt: Sträuben Sich Ihnen - von Hause aus sind Sie Jurist - nicht ein wenig die Nackenhaare wenn das alles juristisch nicht ganz dingfest ist? Es sind ja noch Recherchen.
    Prantl: Es ist ja juristisch dingfest. Es geht bloß darum: Die nächste Frage, die Sie stellen ist: Sind diese Dinge strafrechtlich relevant? Ob es tatsächlich Steuerdelikte sind, Steuerdelikte welcher Art. Das zu prüfen ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft.
    Borgers: Aber es ist es denn auch Aufgabe des Journalismus, quasi als Ermittler den Strafverfolgungsbehörden die Arbeit vorwegzunehmen?
    Prantl: Vorwegnehmen tun wir’s nicht. Wir weisen gegebenenfalls darauf hin, dass hier gewaltige Ermittlungsdefizite bestehen. Ich weiß natürlich, es wird über einen Terror der Transparenz geklagt und dann wirft man den Aufdeckern und Aufklärern in dem Fall den investigativen Journalisten vor, dass man den Rechtsstaat aushebelt. Ich bin, was den Rechtsstaat betrifft, gewiss sehr sensibel. Aber in dem Kontext, wenn Journalismus seine demokratische Aufgabe erfüllt, von Aushebeln des Rechtsstaats zu reden, das kommt mir so vor wie wenn ein Sexualstraftäter Ermittlungen gegen sich und Berichte über ihn unter Hinweis auf Schutz seiner Intimsphäre sich verbitten will. Hier geht es tatsächlich darum, demokratisch suspekte Dinge ans Licht zu bringen und Prüfung zu ermöglichen.
    Investiger Journalismus ist ein Hinweisgeber
    Borgers: Ist es dennoch eine Art moderner Pranger in diesem Zusammenhang? Das ist eine Frage, die in letzter Zeit häufiger diskutiert wurde. Hier kann man moralisch den Finger in die Wunde legen. Ein moderner Pranger, der Journalismus, in diesem Fall?
    Prantl: Es ist ja eine sehr lange und sehr sorgfältige Recherche und eine sehr lange und sehr sorgfältige Prüfung, was dann tatsächlich publiziert wird. Aufdeckung ist - insoweit haben Sie Recht - Aufdeckung ist nicht Selbstzweck. Pressefreiheit ist nicht die Freiheit zur journalistischen Selbstbefriedigung. Es geht immer darum, dass diese Art von Recherche einen demokratischen Sinn hat, dass man auf Defizite in der Demokratie und auf Defizite im Rechtsstaat hinweist. Die Recherchen zu "Panama Papers" und auch die Recherchen zu "Paradise Papers" zeigen auf - wie ich finde - ganz eklatante Weise, wo Lücken bestehen, wo alle Mechanismen des Staates umgangen werden. Da ist investigativer Journalismus ein Hinweisgeber, einer der - und das ist demokratische Aufgabe - der auf Defizite in dieser Demokratie hinweist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.