Dienstag, 23. April 2024

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"Parallelen zur iranischen Revolution" unangebracht

Thomas Bauer hält Aussagen aus Israel über die islamistische Gefahr in Ägypten nach einem Sturz Mubaraks für "Propaganda". In diesem Zusammenhang kritisierte er auch die einseitige Berichterstattung im Westen. Die Muslimbrüder stellten kein Hindernis für die Errichtung eines demokratischen Systems dar.

Thomas Bauer im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 01.02.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Die Tage Mubaraks, sie sind gezählt. So oder ähnlich lauten die Überschriften über den Kommentaren heute und gut möglich, dass die Kommentatoren recht behalten. Die ägyptische Armee kündigte gestern an, keine Gewalt gegen friedliche Demonstranten anwenden zu wollen, und nannte deren Forderungen legitim. Was diese Zusage des Militärs wert ist, das wird sich vielleicht am heutigen Tag schon zeigen, denn für heute hat die Opposition zum Generalstreik aufgerufen und zum Marsch der Millionen. Am Telefon begrüße ich Thomas Bauer. Er ist Direktor des Instituts für Arabistik und Islamwissenschaften an der Universität Münster. Schönen guten Tag!

    Thomas Bauer: Guten Tag, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Bauer, die Tage Mubaraks sind gezählt. Ich habe die Losung gerade eben zitiert. Sehen Sie das auch so?

    Bauer: Vorgestern war ich noch etwas skeptischer, aber heute, glaube ich, gibt es doch inzwischen kein Zurück mehr, egal für welche Institution, ob für die Opposition und auch fürs Militär. Ich glaube, Mubarak muss jetzt wirklich gehen.

    Heckmann: Was bringt Sie zu dieser Erkenntnis?

    Bauer: Mubarak ist einfach nicht mehr zu halten. Er ist eigentlich überall unpopulär geworden und nach den Ereignissen der letzten Tage, erst nach der Gewalt der Polizei, dann durch das Herbeiführen einer bewussten Anarchie, kann man sich nicht vorstellen, dass er noch weiter im Amt bleiben kann.

    Heckmann: Das Militär hat ja gestern angekündigt, nicht auf friedliche Demonstranten schießen zu wollen, und nannte die Forderungen der Demonstranten legitim. Können sich die Menschen in Ägypten, vor allem in Kairo auf diese Zusage verlassen?

    Bauer: Ich glaube, dass sie das können. Es ist hier nie ausgeschlossen, dass es dennoch Eskalation gibt, aber das ägyptische Militär hat ja auch so was wie einen Ehrenkodex. Die Soldaten selber sind ja noch ärmere Schweine als die meisten Demonstranten und sich vorzustellen, dass die aufeinander schießen, das glaube ich wirklich nicht.

    Heckmann: Wie ist denn diese Ankündigung des Militärs politisch zu bewerten? Ist das ein Signal, ein eindeutiges Signal an Mubarak, das heißt, deine Herrschaft ist zu Ende?

    Bauer: Ich habe das gestern so gesehen. Ich habe das ja verfolgt, als dieser Militärsprecher auftrat, und ich habe mir gedacht, das ist ja jetzt eigentlich schon ein Militärputsch. Dieses Szenario des Mubarak-Regimes, eventuell Mubarak ziehen zu lassen und dann Omar Suleiman, also den Vizepräsidenten, der ja auch aus dem Militär kommt, zu installieren, das werden die wohl versuchen, schätze ich, aber ich glaube, auch das wird nicht im Sinne der Mehrheit des Militärs sein.

    Heckmann: Er hatte ja angekündigt, Omar Suleiman – Sie haben ihn angesprochen, den jetzt neu installierten Vizepräsidenten -, Gespräche mit allen Parteien zu führen. Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, er würde als Gesprächspartner überhaupt nicht akzeptiert?

    Bauer: Das war eine sehr dürre Rede und auch die Postenwechsel, die neuen Minister, die Mubarak ernannt hat, sind keine neuen Minister, sondern das sah eher aus wie eine Kriegserklärung als wie ein Zugehen auf die Opposition. Es gibt ja in Ägypten Parteien, die etwa so sind wie die Ost-CDU zu DDR-Zeiten, und wenigstens von denen hätte man jemand nehmen können. Das sind ja ganz regimetreue Leute. Aber noch nicht mal das. Also dieses Regime ist einschließlich Suleiman zu keinen inneren Reformen imstande.

    Heckmann: Es handelt sich bei Suleiman ja um den ehemaligen Geheimdienstchef, durchaus auch geschätzt von der israelischen Seite als Verhandlungspartner. Was wird ihm denn vonseiten der Ägypter vorgeworfen?

    Bauer: Suleiman ist, wie Sie sagten, der Geheimdienstchef und er ist für das Unterdrückungsregime Mubaraks ebenso verantwortlich wie Mubarak selber. Er ist ja auch ein wirklich enger Freund von ihm.

    Heckmann: Und für was konkret verantwortlich? Was werfen ihm die Menschen vor?

    Bauer: Das System Mubarak war ein System von Folter und Unterdrückung. Es ist massiv gefoltert worden. Es heißt sogar, dass Suleiman eventuell dabei gewesen sein soll. Es war ein Polizeistaat. Und der Geheimdienst, die Mukhabarat, waren überall präsent und haben dafür gesorgt, dass es keine Meinungsfreiheit geben kann in dem Land, und dafür stand auch Suleiman.

    Heckmann: Blicken wir, Herr Bauer, auf die Muslimbrüderschaft. Da heißt es ja immer wieder, das sei die am besten organisierte Oppositionsbewegung, auch wenn sie verboten ist, aber sie hat zahlreiche Anhänger. Die Muslimbrüder haben angekündigt, den ehemaligen Chef der Atomenergiebehörde El Baradei, der ja vor wenigen Tagen auch nach Kairo zurückgekehrt ist, zu unterstützen. Könnte das El Baradei am Ende sogar schaden?

    Bauer: Das ist schwer zu sagen. Im Moment bin ich etwas unglücklich über die Berichterstattung im Westen, in der dauernd von einer islamistischen Gefahr die Rede ist. Man muss ja sehen, dass man einfach nicht alle politischen Kräfte, die sich auf den Islam beziehen, unter eine Sammelbezeichnung Islamisten stellen kann und das dann gleich auch in die Nähe des Terrorismus rückt. Die Muslimbrüder haben sich ja doch sehr deutlich dazu bekannt, im demokratischen Prozess mitzuwirken. Die haben natürlich auch verschiedene Flügel, gemäßigtere oder sehr gemäßigte sogar und dann doch relativ strenge, relativ konservative, aber insgesamt stellen die im Moment keine Bedrohung dar für die Errichtung eines demokratischen Systems. Das würde ich definitiv abstreiten. Die würden bei Wahlen wahrscheinlich auch gar nicht so wahnsinnig viele Stimmen bekommen. Deshalb ist dieses dauernde Warnen vor der fundamentalistischen Gefahr, oder Parallelen zur iranischen Revolution zu ziehen, das halte ich für nicht angebracht.

    Heckmann: Die israelische Regierung sieht das ein wenig anders. Sind die Warnungen, die da in Jerusalem ausgesprochen werden, übertrieben, oder wird die Lage dort einfach anders eingeschätzt?

    Bauer: Ich halte das für Propaganda. Ich glaube, dass die Israelis ganz genau wissen, dass kein Ayatollah Khomeini auf dem Flughafen in Paris bereitsteht, um die Macht in Ägypten zu übernehmen. Sie müssen das im Kontext des nicht stattfindenden Friedensprozesses sehen, denn hier herrscht ja seit Längstem eine vollständige Stagnation, und wir haben auch gesehen, dass bei den letzten Verhandlungen, die Clinton so optimistisch gestimmt hat, die Palästinenser bereit waren, bis zur Grenze der Selbstaufgabe zu gehen und Israel aber ihnen keinen Schritt entgegengekommen ist, und dabei will es die jetzige israelische rechtsradikale Regierung ja belassen, und damit man es belässt, braucht man ein Regime in den Nachbarstaaten, das das einfach mitträgt, und Mubarak hat das fast schon als Befehlsempfänger der Israelis mitgetragen, hat die Blockade des Gazastreifens mitgetragen. All das wird mit einer demokratischen Regierung in Kairo so nicht mehr gehen, aber das ist eigentlich positiv, weil es dem Friedensprozess eher wieder neue Fahrt geben wird und diese jetzige Erstarrung unterbrechen wird.

    Heckmann: Zum Schluss die Frage, Herr Bauer: Wie groß sind die Aussichten, dass die Entwicklungen in Ägypten ein gutes Ende nehmen?

    Bauer: Bei vielen, die mit dem Nahen Osten zu tun haben, herrscht doch eine Euphorie, dass diese Erstarrung, die ja alle Bereiche des Lebens betraf in den arabischen Ländern und alle arabische Länder auch, dass diese Erstarrung, die sich wie so eine Ascheschicht über alles gelegt hatte, bis die Tunesier sie weggepustet haben, dass das zu Ende geht. Da herrscht wirklich eine Euphorie und man muss aufpassen, dass man sich von dieser Euphorie nicht zu sehr weit tragen lässt. Es sind noch sehr, sehr viele Hindernisse zu überwinden, bis Ägypten etwas Ähnliches zustande bringt wie Tunesien. In Tunesien zeichnet es sich ja ab, dass alles gut ausgeht, aber in Ägypten sind noch manche Hindernisse aus dem Weg zu räumen.

    Heckmann: Der Direktor des Instituts für Arabistik und Islamwissenschaften an der Universität Münster, Thomas Bauer, war das. Herr Bauer, ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Bauer: Danke Ihnen, Herr Heckmann.