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Paralympics
"Schlachtfeld" des Sports?

Immer mehr paralympische Verbände arbeiten mit dem Militär zusammen und bringen so Kriegsversehrte zum Sport. In Deutschland steht die Kooperation noch am Anfang.

Von Ronny Blaschke | 15.03.2014
    Am Sonntag gehen die Winter-Paralympics in Sotschi zu Ende. Viele Athleten haben ihre Behinderung in Kriegen und Konflikten davon getragen. Amerikaner und Briten pflegen seit langem Programme für ihre Veteranen – in Deutschland steht dieses Konzept erst am Anfang.
    Es lohnt sich am Ende, noch einmal auf den Anfang zu schauen. Am Eröffnungstag der Paralympics wandte sich Valerij Suskewitsch an die Weltöffentlichkeit. Suskewitsch ist Präsident der Ukrainischen Paralympier und Mitglied des Parlaments in Kiew. Mit Blick auf die Krim-Krise begründete er die Entscheidung seiner Mannschaft gegen einen Boykott in Sotschi.
    "Die Paralympischen Spiele und Krieg sind unvereinbar. Ich möchte keine Sportler, die ihre Behinderungen im Krieg davon getragen haben. Das sind Verwundungen, die niemand braucht. Wir möchten durch Sport für Frieden werben."
    Es ist ein Trend, dass Kriege am Anfang einer paralympischen Laufbahn stehen. Von den achtzig Teilnehmern der USA sind sechzehn Veteranen aus dem Irak oder Afghanistan dabei, 2010 in Vancouver waren es noch fünf. Bei der Eröffnung in Sotschi durfte der einstige Marinesoldat Jon Lujan die amerikanische Flagge tragen. Kevin Stone hat als Veteran an den Sommer-Paralympics in Athen und Peking teilgenommen. Inzwischen beobachtet er als Trainer und Journalist das Netzwerk der Sportveteranen.
    "Die paralympischen Ideale waren gut für mich. Als ich nach einem Unfall aufwachte, war ich querschnittsgelähmt. Ich dachte, das Leben wäre vorbei. Eine Therapeutin überzeugte mich Sport zu treiben, so habe ich langsam wieder Selbstvertrauen geschöpft. Ich wollte meine Uniform wieder anziehen und ins paralympische Team, als Militärsportler."
    Die Äußerungen der Sportler ähneln sich: Von Battlefields ist da die Rede, Schlachtfeldern. Deutlich wurde das in Sotschi vor dem Finale im Schlittenhockey. Das Team der USA spielte mit vier Versehrten gegen Russland um paralympisches Gold. Der Gastgeber hat einige Spieler dabei, die im Tschetschenienkrieg verwundet wurden. Ist es gesund für die paralympische Bewegung, wenn sich militärische Sprache auf den Sport überträgt? Der Aktivist Kevin Stone aus Detroit.
    „Die Athleten haben eine Möglichkeit, ihre Haltung als Soldaten zu bewahren, aber nun auf dem Feld des Wettbewerbs und des Fair Play. Durch Sport haben viele Veteranen ihre Abhängigkeit von Alkohol und Drogen besiegt, auch die Selbstmordrate ging zurück. Sport ist für sie eine Gelegenheit, den Krieg zu verarbeiten.“
    Auch die Briten haben ein Programm für Soldaten aufgelegt, die Kanadier und Israelis ebenfalls, aber niemand pflegt die Offensive so wie die Amerikaner. Fast 17000 Behindertensportler in den USA haben ihre Verletzungen in Vietnam, im Irak oder Afghanistan davon getragen. Künftig werden bis zu zwanzig Prozent der Paralympier aus Soldatenprogrammen stammen. Das Netzwerk wird von Wohltätigkeitsorganisationen und dem Verteidigungsministerium gestützt. Es gibt sogar einen jährlichen Wettbewerb: die Warrior Games. Philip Craven ist Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees.
    "Es könnte im September internationale Warrior Games in Großbritannien geben. Wir schätzen diese Bewegung. Sie hat einen Festival-Charakter und ist nicht mit den Paralympics zu vergleichen. Doch es ist schön, wenn sich dort Sportler dem Leistungssport verschreiben dann vielleicht Paralympier werden."
    In Deutschland steht die Kooperation zwischen dem Behindertensportverband und der Bundeswehr am Anfang. In deren Sportschule in Warendorf in der Nähe von Münster können Athleten eine hochwertige Ausstattung und Betreuung in Anspruch nehmen. Im Gegenzug übernehmen sie repräsentative Aufgaben, einen Soldatenstatus erhalten die Paralympier nicht. In Sotschi profitiert von dieser Zusammenarbeit nur der blinde Biathlet Willi Brem. Für den Chef de Mission, Karl Quade, ist die Partnerschaft ein Beleg für die wachsende Professionalisierung.
    "Und das ist neben dem rein sportlichen Erfolg ein unglaublicher Nutzen, der die Vorbildwirkung nach innen stärkt. Denn wir sprechen ja von vielen einsätzgeschädigten Soldaten, die gar nicht behindert sind, vom berühmten Posttraumatischen Belastungssyndrom. Wenn sie sich durchsetzen und im Leistungssport aktiv sind, dann können sie Vorbilder sein für ihre Kollegen, um diese Situation zu überwinden."
    Seit zwei Jahren können Versehrte in Warendorf an der „Sporttherapie nach Einsatzschädigung“ teilnehmen. Nach einer Diagnose wird für sie ein individueller Trainingsplan erarbeitet. Die Mehrheit der Teilnehmer betrachtet Sport als Teil ihrer Rehabilitation, doch einige wollen an die Spitze: So können die Afghanistan-Veteranen Maik Mutschke und Tim Focken auf einen Start bei den Sommer-Paralympics 2016 in Rio de Janeiro hoffen.