Freitag, 29. März 2024

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Parasiten auf dem Dach
Kunstintervention als Investorenschreck

Auf einem Dach im Szenekiez Berlin Neukölln haben zwei Kunstaktivisten ein verspiegeltes Penthaus gebaut. Ohne Erlaubnis des Hausbesitzers, aber mit Briefkasten – auch für etwaige Räumungsschreiben. Ab kommende Woche können Freiwillige auf dem Dach schlafen –wenn die Polizei nicht vorher räumt.

Von Andreas Becker | 20.06.2019
Erste Überraschung: Penthaus-Betreiber Jakob Wirth zieht einen Schlüssel aus der Tasche und öffnet, wie ein ganz normaler Mieter, die Haustür des 5-Stöckigen Altbaus:
"Ja, wir haben auch einen Briefkasten. Heute ist aber leider nichts drin."
Der 27jährige Kunst- und Soziologie-Student Jakob und sein lieber unsichtbar bleibender Kollege Alexander, haben vor rund zwei Wochen die vorgefertigten Penthaus-Elemente hochgeschleppt und in aller Ruhe verschraubt. Alles an einem Samstag-Nachmittag.
"Jetzt kletter ich die Leiter hier rauf und mach die Dachluke auf"
Zimmer mit Aussicht
Der Ausblick aus rund 22 Metern über halb Neukölln ist fantastisch. Wir dürfen nur nicht zu nah an die Dachkante gehen. Hinter einer Mobilfunkantenne, steht tatsächlich ein silbern glänzendes Häuschen, in dem sich die Wolken spiegeln. Es ist an bröseligen, alten Backstein-Kaminen festgebunden. Zwei Gewitter mit starken Böen und Regenfluten konnten es nicht zerstören.
"Es ist 3 Meter hoch, hat nen klassisches Spitzdach... Das ist Spiegelfolie aufgezogen auf Holz."
"Ehrlich gesagt: wenn ich Einbrecher wäre, würde ich sagen: da kommt man aber leicht rein. Hast du denn schon mal hier geschlafen?"
"Ja klar, wir haben natürlich schon mal probegewohnt..."
"So jetzt gehen wir mal rein! Ist ja gar nicht so heiß. Was schätzt du?"
"hat vielleicht 22, 23 Grad"
Jakob kocht uns erst mal einen Espresso – die Hütte hat einen kleinen Gaskocher, einen Schreibtisch mit Laptop. Und ein richtig kuschelig aussehendes Bett. Von da schaut man durch ein recyceltes Fensterchen in den Himmel. Eine architektonisch durchdachte Studentenbude. Etwas klein vielleicht:
"Es ist 3,7 qm, in der Mitte hat es 2,40m, der Boden ist aber nur 1,50 breit. Die Wände sind schief nach außen gehend. Dann kommt erst das Spitzdach."
Knallhartes Bewerbungsverfahren
Um die Idee des parasitären Wohnens populär zu machen, können ab kommender Woche bis zu zwei Leute hier übernachten.Aber es gibt ein strenges Bewerbungsverfahren – nebenbei auch, um die längst absurden Vorstellungsgespräche bei der realen Wohnungssuche zu persiflieren. Reine Romantiker, Touristen, oder verkappte Makler, sind wohl chancenlos als kommende Penthaus-Parasiten:
"Es sind zwei Fragen, die wir stellen. Die eine ist: warum möchte ich überhaupt in einem Penthaus a la Parasit wohnen? Und wie sieht meine momentane, prekäre Wohnsituation aus?"
Die beiden sind keine klassischen Hausbesetzer. Niemals würden sie ein Transparent an die Fassade hängen. Wenn sie hier nicht mehr sein können, werden sie schnell alles abbauen und aufs nächste Dach umziehen. Möglichst ohne Spuren.
Aber hat Jakob tatsächlich keine Angst vor plötzlicher Entdeckung, vielleicht mitten in der Nacht?
"Wir brauchen uns nicht verstecken. Wir beziehen uns ganz klar auf Artikel 5, Kunstfreiheit und Meinungsfreiheit."
"Ja gut, aber der Polizist kommt jetzt hier rauf, sieht uns und fragt: was ist denn hier los?"
"Ja, wir trinken einen Kaffee. Wir haben das hier statisch geprüft, wir haben nen Feuerlöscher, einen Fluchtweg.Wir fordern Weitblick für alle, man merkt ja, es ist ein Privileg, hier oben zu sein..."
Irritation im öffentlichen Raum
Ein utopischer, vielleicht naiver Gedanke: auf immer mehr Dach-Brachflächen entstehen kleine, individuelle Wohnburgen. Nicht für Immobilien-Millionäre, die längst überall legal Dachgeschosse ausbauen - die Privatfahrstühle bauen, die nur im 5.Stock stoppen. Wer sind jetzt eigentlich die Parasiten? Jakob Wirth:
"Jedes System lebt von Parasiten. Parasiten sitzen auf der Grenze von Systemen und bringen Irritationen ein. Wenn wir hier sitzen, auf dem Hausdach, sitzen wir auf der Grenze des Immobilienmarktes. Uns gehört nicht das Haus, aber wir sind Teil davon.
Legal, illegal? Das ist natürlich nicht egal. In Berlin-Neukölln gibts jedenfalls irgendwo weit oben ein irritierendes, glänzendes Häuschen.Und wenn Sie gegenüber vom Billigdiscounter, in dem Jakob immer seine Milch kauft, in den Himmel starren, können Sie es sogar sehen. Solange es noch steht.