Donnerstag, 25. April 2024

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Paris
Robert Wilson inszeniert Jean Genets "Les Nègres"

Von Eberhard Spreng | 05.10.2014
    Forciertes Tamtam beim Eintritt des Publikums. Pulsende Urwaldmusik mit ekstatischem Saxophon. Auf der Vorderbühne steht ein Neger mit starrem Blick in den zweiten Rang. Aber Stop: Tamtam, Urwaldmusik, Neger: Die Begriffe, vor allem der letzte sind politisch nicht korrekt und bedürfen der Erklärung. Als Jean Genet in den 1950er-Jahren sein Stück "Les Nègres" schrieb, war das N-Wort eigentlich schon verpönt und stand für die rassistischen Projektionen des weißen Publikums auf Menschen mit dunkler Hautfarbe. Dass kein Mensch jemals als "Neger" geboren wurde und erst dieser Blick einen Schwarzen zum "Neger" macht, das beschäftigte Genet in seinem bissigen Theaterritual. Was also aus dem Schwarzen zum Beispiel auf der Vorderbühne einen Neger macht und was das mit dem weißen Zuschauer im Theater zu tun hat, müsste jede Inszenierung von "Die Neger" eigentlich erkunden. Aber für Bob Wilson ist der Fall von vorn herein geklärt: Er schert sich wenig um die Kernfrage des Schauens und bietet, was er immer bietet - eine attraktive Schau mit Revue und Variétécharakter.
    "Die Neger" als Totentanz
    Zunächst lässt er jeden seiner schwarzen Akteure zum MG-Geknatter aus der rechten Gasse auf die Vorderbühne treten und zum Geräusch einer dumpfen Explosion erstarren. Dann treten sie einer nach dem andern durch die Öffnung der Fassade eines großen Dogon-Hauses ein wie in ein Theater des Todes. "Die Neger" als Totentanz, das hätte Genet gefallen können. Aber schon im zweiten Bild swingt das Ensemble zum Jazz des Dickie Landry.
    Auf einem großen Balkon stehen die Königin und ihr kleiner Hofstaat; sie alle kennzeichnen kleine Gesichtsmasken als weiße Vorherrscher, für die auf der Bühne die Afrikaner Village, Diouf, Félicité, Vertu und weitere versammelt sind. Ihre Namen, vor allem der von "Ville der St. Nazaire" verweisen auf das Emblematische an diesen Figuren. Die französische Stadt mit ihrer finsteren Vergangenheit im Sklavenhandel gab hier einer Figur den Namen, die als Bote auftritt zwischen dem allegorischen Theater im Theater und einer Verhandlung gegen einen Verräter, die hinter der Bühne und für den Zuschauer unsichtbar stattfinden soll. Genet bricht die Erzählebenen mehrfach, "Die Neger" ist das bei Weitem komplizierteste seiner Theaterstücke.
    Im Zentrum steht das für die weiße Hofgesellschaft aufgeführte kultische Ritual, in dem es um eine weiße Frau geht, die die Schwarzen geschwängert und getötet haben sollen. Bei Wilson ist das sehr spaßig, sehr cool und fernab jeder rituellen Besessenheit.
    Kein weißer Zuschauer kann sich, selbst wenn er durch die Blackfacing-Debatte im deutschsprachigen Raum für jede Form von Bühnenrassismus sensibilisiert ist, während der knapp eindreiviertel Stunden langen Show eine Sekunde lang beim latenten Rassismus ertappen. In Frankreich, zumal in Paris, ist die schwarze Hautfarbe auch auf der Bühne keine Besonderheit mehr. So wie die 13 Akteure hier mit Musicalstrahlen ins Publikum lachen, singen und sprechen, wie sie hier also, Genet folgend "den Neger machen", wirkt einfach völlig unverfänglich und fernab aller rassistischer Bühnenvorbilder wie den Minstrel-Shows und Ähnlichem.
    Das wenige Jahre nach dem Erscheinen von Frantz Fanons schwarzem Selbstbefreiungsklassiker "Schwarze Haut, weiße Masken" entstandene Stück sollte den abschätzigen weißen Blick auf schwarze Menschen in vielfältigen Brechung und einer verworrener Handlungsführung grimmig diffamieren.
    Verspielte, bunte Show
    Nun aber sieht man lustig in verschiedenen Neonfarben aufleuchtenden Palmen, rituelle Bewegungsticks bei dem "weißen" Gouverneur, Richter, Missionar, die das Ritual auf der Vorderbühne mit eitlen Einwürfen unterbrechen. Der hagere Bass Dhem spielt die weiße Frau im weißen Leibchen, auf dem kleine Lampen lustig aufleuchten, Armelle Abibou eine schrill pikierte Königin, der die Kolonialshow irgendwann über die Kräfte geht, Kayije Kagame die geheimnisvoll strahlende Nutte Vertu mit dem spöttischen Lachen, in die sich der junge Village verliebt, der ein Faible für die Weißen hatte und wohl deshalb in dem Ritual den Mörder der weißen Frau zu spielen hatte.