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Parlamentswahl in Italien
Die Rache an Renzi

Die regierenden Sozialdemokraten haben bei der Wahl in Italien ein ähnliches Schicksal erlitten wie die SPD. Sie kamen auf nur noch knapp 20 Prozent der Stimmen. Vor vier Jahren eroberte Matteo Renzi das Amt des Ministerpräsidenten. Der junge Florentiner trat als Reformer an. Inzwischen gibt man ihm die Schuld für den Stimmenverlust seiner Partito Democratico.

Von Kirstin Hausen | 05.03.2018
    Matteo Renzi am Wahltag in Florenz/Italien
    Matteo Renzi am Wahltag in Florenz (imago stock&people)
    Matteo Renzi ist gescheitert - nicht erst gestern an der Wahlurne. Gescheitert ist sein Projekt einer vereinten, verjüngten und schlagkräftigen politischen Linken. Der Partito Democratico blieb unter seiner minimalen Zielvorgabe. Die Altlinken rund um Pier Luigi Bersani und Massimo D'Alema, die Matteo Renzi einst "verschrotten" wollte, haben ihm mit ihrer Splitterpartei Liberi e Uguali am Ende die paar Prozent der Wählerstimmen weggenommen, die er gebraucht hätte, um das Gesicht zu wahren.
    "Un momento per vendicarsi". Einen Moment der Rache, nennt der Neapolitaner Alfonso Mottolo die Stimmabgabe, Rache an Matteo Renzi, Rache am gesamten linken Parteienspektrum für die andauernden internen Streitereien. Denn bis gestern wählte der Nachtportier eines kleinen Hotels in der Altstadt links, so wie viele einkommensschwache Menschen im Süden, die sich von Links mehr soziale Gerechtigkeit erhofften – und Politiker mit Idealen. Vorbei. Alfonso Mottolo wählte die Fünf-Sterne-Bewegung, so wie viele Süditaliener. Auch der 52-jährige Fabrikarbeiter Salvatore Marrotta wechselte radikal die Seite. Er habe Matteo Renzi einst als jungen, dynamischen Hoffnungsträger einer etwas antiquiert wirkenden Linken geschätzt, sich aber dann enttäuscht abgewandt. Er meint:
    "Niemand von uns traditionellen Linkswählern hatte damit gerechnet, dass Matteo Renzi den Artikel 18 des Arbeiterstatuts abschaffen und damit den Kündigungsschutz aushöhlen würde. Das war ein harter Schlag für uns Arbeiter. Oder nehmen wir das "Jobs act"-Gesetz. Wir haben darauf gehofft, dass jemand Schluss machen würde mit den Zeitverträgen und all den prekären Arbeitsverhältnissen, die vor allem die junge Generation in einer fortwährenden Ungewissheit halten, aber nein: Er hat das alles noch befördert."
    Die Wähler hatten auf mehr soziale Gerechtigkeit gehofft
    Verbitterung und Wut waren die Hauptantriebe bei dieser Wahl. Profitiert haben davon die Fünf-Sterne-Bewegung und die rechten Parteien. Silvio Berlusconi triumphiert. Er wollte Matteo Renzi einst abwerben – ihm gefiel die forsche, draufgängerische Art des jungen Herausforderers. Den meisten Wählern gefiel sie gestern nicht mehr. Matteo Renzi ist auch über sein eigenes Ego gestolpert. Denn kaum jemand hat sich in so kurzer Zeit so viele Feinde in den eigenen Reihen gemacht. Matteo Renzi hat kein Talent, zu vermitteln. Er allein will die Richtung bestimmen, urteilte der linke Philosoph und frühere Bürgermeister Venedigs, Massimo Cacciari, bereits vor Jahren. Er nannte ihn eine Fehlbesetzung für die demokratische Partei, die ein Sammelbecken für verschiedene linke Strömungen sein sollte. Salvatore Marrotta nickt.
    "Auseinandergebrochen ist diese Partei, weil Matteo Renzi keine Rücksicht auf die traditionelle Linke genommen hat. Die kann man archaisch nennen, alt und rückwärtsgewandt, aber sie hat die Abschaffung des Artikel 18 nicht mitgetragen – genauso wenig wie wir Arbeiter."
    Matteo Renzi hat die Basis aus dem Blick verloren
    Dass er sich zunehmend von seiner Wählerschaft entfernte, hätte Matteo Renzi spätestens am 4. Dezember 2016 klar werden müssen. Da scheiterte das von ihm initiierte Referendum zur Verfassungsreform an der Wahlurne. Matteo Renzi trat als Regierungschef zurück – und im April 2017 wieder an, als Kandidat für den Posten des Sekretärs der Demokratischen Partei.
    Forse non è possibile fare tutto... Vielleicht ist es einfach nicht möglich alles hinzubekommen, so Salvatore Marrotta. Doch genau das war Matteo Renzis Anspruch: die Linke modernisieren, das Land modernisieren – und zwar im Eiltempo. Da machen die meisten Italiener nicht mit. Das Land hat eine politische Diskussionskultur, mit der bereits Silvio Berlusconi seine Schwierigkeiten hatte. Auch er präsentierte sich immer als "Macher", war aber in seiner Regierungszeit deutlich geschickter im Schmieden von Allianzen.