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Parlamentswahlen in Polen
Literatur-Nobelpreis für eine PiS-Kritikerin

Bei den Parlamentswahlen in Polen will die rechtskonservative Partei PiS ihre absolute Mehrheit verteidigen. Aber kurz vor der Wahl bekommt die PiS-Kritikerin Olga Tokarczuk als neue Nobelpreisträgerin viel Aufmerksamkeit. Die erklärte, sie bitte die Polen darum, richtig zu wählen, für die Demokratie.

Von Florian Kellermann | 11.10.2019
10.10.2019, Nordrhein-Westfalen, Bielefeld: Die polnische Autorin Olga Tokarczuk kommt zu einer Lesung in der Stadtbibliothek. Die Schwedische Akademie hat die Literatur-Nobelpreise für 2018 und 2019 vergeben. Für 2018 erhielt die polnische Autorin Tokarczuk die Auszeichung rückwirkend. Im Vorjahr war die Verleihung der Auszeichnung nach einem Skandal mit Belästigungs- und Korruptionsvorwürfen ausgefallen. Foto: Friso Gentsch/dpa | Verwendung weltweit
Die polnische Autorin und Literatur-Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk gilt als PiS-Kritikerin (picture alliance / dpa / Friso Gentsch)
Olga Tokarczuk hat noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. Die Regierung der rechtskonservativen PiS war kaum ein Jahr alt, da sagte sie gegenüber dem Deutschlandfunk:
"Heute ist es die neue Ideologie in Polen, die wieder Geschichtsfälschung betreibt. Sie propagiert ein Polen, das sich angeblich von seinen Knien erhebt. Dieser Trend ist in vollem Gange und überrollt uns gerade wie eine Lawine. Wir müssen etwas tun, darüber reden, um diese Krankheit zu überwinden, unsere Vielfalt ist mir sehr wichtig."
So wandte sich Tokarczuk schon vor drei Jahren gegen die Kultur- und Geschichtspolitik der PiS. Diese zielt nämlich darauf ab, nur die positiven Seiten der polnischen Geschichte herauszustellen. Über Polen, die sich am Holocaust beteiligt haben, soll lieber geschwiegen werden.
Verfolgung von der Minderheiten in der polnischen Geschichte
Dass Tokarczuk ein anderes Geschichtsbild hat, zeigt sich auch an ihrer Literatur. Das Werk "Die Jakobsbücher", das gerade auf Deutsch erschienen ist, thematisiert auch die Verfolgung von der Minderheiten in der polnischen Geschichte, insbesondere der Juden.
Dass Olga Tokarczuk nun den Literatur-Nobelpreis bekommen hat, ist deshalb eine kalte Dusche für die Regierungspartei PiS auf den letzten Metern des Wahlkampfs. Gestern versuchten die Spitzenpolitiker der Partei, so zu tun, als handele es sich bei der 57-Jährigen um eine unpolitische Autorin. Kulturminister Piotr Glinski sagte gegenüber polnischen Medien:
"Wir gratulieren Olga Tokarczuk. Das ist ein Erfolg nicht nur für sie, sondern für die polnische Kultur insgesamt. Es ist gut, wenn eine polnische Autorin auf der Welt anerkannt wird. Ich kann nur sagen, dass ich die Lektüre ihrer Bücher wieder aufnehmen werde. Diesmal hoffentlich mit mehr Erfolg."
Montage: Porträts von Olga Tokarczuk und Peter Handk
Literatur-Nobelpreise / Bedenkenswerte, aber auch bedenkliche Entscheidung
Bei der Doppelverleihung des diesjährigen Literaturnobelpreises ging es auch um Versagen oder Rettung einer orientierenden Institution, kommentiert Dlf-Literaturredakteur Hubert Winkels. Die Kür von Peter Handke und Olga Tokarczuk nennt er "alles in allem in Ordnung".
Denn noch vor wenigen Tagen hatte Kulturminister Glinski öffentlich erklärt, er habe noch kein Buch der Schriftstellerin zu Ende gelesen. 2016 hatte das Kulturministerium unter Glinski damit aufgehört, Übersetzungen von Tokarczuk in andere Sprachen finanziell zu unterstützen.
Mit der PiS verbundene Medien kritisierten die Autorin auch nach Bekanntgabe ihres Erfolgs. Talent habe sie ja vielleicht, aber ihre linksgerichtete Weltanschauung öffne ihr eben auch viele Türen, schrieb das Internetportal wpolityce.pl. Außerdem sei es weiterhin skandalös, dass sie Polen einmal als "Judenmörder" bezeichnet hatte.
Auch auf lokaler Ebene hatten PiS-Politiker immer wieder ihre Abneigung gegen Tokarczuk gezeigt. Als sie der Stadtrat von Waldenburg in Niederschlesien ehrte, verließen die PiS-Abgeordneten demonstrativ den Saal.
Polen als Teil der Weltgemeinschaft
Vor allem die Kritiker der PiS verbanden die Entscheidung aus Stockholm mit den Wahlen am Sonntag. Die Regisseurin Agnieszka Holland sagte im Radiosender TOK FM.
"Ich bin überglücklich. Die Nachricht hat mich einem Filmfestival in Südkorea erreicht. Ich hätte hier fast geweint vor Glück. Plötzlich fühle ich wieder, dass Polen zur Weltgemeinschaft gehört. Das zeugt auch davon, dass man gewinnen kann, dass sich die Wirklichkeit wieder zum Besseren wenden kann."
Olga Tokarczuk selbst war gestern bei einem Autorenabend in Bielefeld. Auf der Bühne sprach sie auch die Parlamentswahl am Sonntag an.
Wenn sie den Preis jemandem widmen solle, sagte sie, dann sei das die polnische Nation vor dieser so wichtigen Wahl. Sie bitte die Polen darum, richtig zu wählen, für die Demokratie.
In Polen dürfte jeder verstanden haben, dass sie damit zur Stimmabgabe gegen die Regierungspartei PiS aufforderte.