Samstag, 20. April 2024

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Parteienforscher
"Nicht alle in der SPD sind für eine Auflösung der GroKo"

In der Großen Koalition knirsche es gewaltig, so Parteienforscher Jürgen Falter im Dlf. Trotzdem hofften wohl viele SPD-Parlamentarier, dass sie nicht zerbreche. Denn bei Neuwahlen würde die Partei viele Parlamentssitze verlieren. Dennoch hält Falter ein vorzeitiges Ende der GroKo für wahrscheinlich.

Jürgen Falter im Gespräch mit Sarah Zerback | 04.06.2019
Der Rücktritt von SPD-Chefin Andrea Nahles sorgt bei ihrer Partei für Chaos und Verwirrung, 4.6.2019
Die Sozialdemokratie sei nicht nur in Deutschland auf dem Rückzug, so Parteienforscher Falter (picture alliance / ROPI / Antonio Pisacreta)
Sarah Zerback: Am Telefon ist Jürgen Falter, Parteienforscher und Politikwissenschaftler an der Uni Mainz. Guten Tag, Herr Falter.
Jürgen Falter: Guten Tag!
Zerback: Sind Sie überzeugt, ist diese Koalition tatsächlich noch handlungsfähig?
Falter: Na ja, sie ist in Maßen handlungsfähig, selbstverständlich, denn sie hat die parlamentarische Mehrheit und kann sich durchsetzen, wo sie sich durchsetzen möchte. Das Problem ist natürlich, dass ja beide Seiten versuchen, sich zu profilieren gegeneinander, dass die SPD versucht, Gesetzesentwürfe durchzubekommen, die dem Koalitionsvertrag nicht vollständig entsprechen, und das ist natürlich ein Zeichen dafür, dass es in dieser Koalition doch erheblich knirscht.
Zerback: Ein Zeichen ist auch: Diejenigen in der SPD, die schon immer davor gewarnt haben, in die GroKo überhaupt einzutreten, die sehen sich jetzt bestätigt. Wieviel Gewicht haben die denn eigentlich unter den Sozialdemokraten?
Falter: Das ist eine relativ große Gruppe innerhalb der parlamentarischen Fraktion, obwohl ich davon ausgehe, dass viele der Parlamentarier der SPD doch im Stillen darauf hoffen, dass es keine Neuwahlen gibt, denn dann würden doch eine Menge vermutlich nach Lage der Umfragen im Augenblick ihren parlamentarischen Sitz verlieren, weil die SPD dann vielleicht mit 15 Prozent in den Bundestag einzöge und nicht mit dem Ergebnis der letzten Wahl. Das heißt mit anderen Worten: Nicht alle in der SPD sind für eine Auflösung der Großen Koalition, denn das würde wahrscheinlich, höchst wahrscheinlich zu Neuwahlen führen.
"Ein ganz schlechtes Zeichen, dass sich keine Einzelperson gefunden hat"
Zerback: Und vielleicht nur den Grünen nützen. – Frage ist auch, wer in der SPD gerade das Sagen hat, die Partei tatsächlich stabilisieren kann. Ist dies das Trio aus Schäfer-Gümbel, Schwesig und Dreyer? Sind sie die richtigen?
Falter: Das ist natürlich ein Aufgebot, von dem man weiß, dass es keine Zukunft hat, dass es wirklich nur für einen Übergang da ist, und es ist ein ganz schlechtes Zeichen, dass eigentlich keine Einzelperson sich gefunden hat, die den Übergangsvorsitzenden spielen würde. Die werden ziemliche Abstimmungsprobleme bekommen. Die dürfen ja nicht immer mit drei Zungen reden, sondern sie sollen mit einer reden – eine schöne Übung vielleicht auf die Perspektive hin, dass die SPD vielleicht mal zwei Vorsitzende hat. Da tritt das Problem ja dann auch auf. Das heißt mit anderen Worten, das Gewicht werden die nicht haben, wie es ein gewählter Vorsitzender oder eine gewählte Vorsitzende hätte. Aber ein kommissarischer Vorsitzender hätte das vielleicht auch nicht, es sei denn, man hätte einen Altvorderen. Früher hätte Hans-Jochen Vogel das gemacht, aber der ist natürlich viel zu alt dazu. Der wäre vermutlich angetreten und hätte die Autorität gehabt, die Partei dieses halbe Jahr oder dreiviertel Jahr noch zu führen, bis zum nächsten Parteitag.
Zerback: Jetzt höre ich bei Ihnen heraus, es will keiner mehr nach vorne – nach dem, was die Partei mit Andrea Nahles gemacht hat?
Falter: Ich glaube, da steckt auch ein bisschen Taktik dahinter, dass man, selbst wenn man den Ehrgeiz hat, Parteivorsitzender zu werden – und es wird sicherlich viele geben, die diesen Ehrgeiz haben -, dass die sich nicht aus der Deckung heraus wagen, weil sie wissen, sie werden dann gleich demontiert. Zumindest besteht die Gefahr. Also wartet man ab und wirft dann seinen Hut in den Ring, wenn man die Zeit für gekommen hält. Ich bin sicher, dass es da Kandidaten geben wird, zumindest selbsternannte.
Zerback: Darf ich da mal fragen? Denken Sie da vielleicht auch an jemanden wie Olaf Scholz? Oder haben Sie dem abgenommen, dass er tatsächlich nicht beides unter einen Hut bekommt?
Falter: Das habe ich ihm nicht abgenommen. Angela Merkel hat gezeigt, dass das mit dem Bundeskanzleramt, das ja noch ein bisschen anspruchsvoller ist als das des Finanzministers, und dem Parteivorsitz geht. Sie hat das lange gemacht. Helmut Kohl hat es gezeigt, Gerhard Schröder hat es gezeigt, wenn auch nur relativ kurze Zeit. Das heißt mit anderen Worten: Das halte ich ein klein wenig als ein taktisches Argument, als ein vorgeschobenes Argument, um eben nicht jetzt zu sagen, ich will antreten, und dann zerfleischt zu werden von denen, die einen verhindern wollen.
Zerback: Das ist ja immerhin noch eine ganz interessante Frage, die auch aus den Reihen der SPD niemand so richtig beantworten will, wer denn da jetzt nun die Demontage Andrea Nahles betrieben hat und auch warum.
Falter: Ja, das ist schwer durchzuschauen. Ich bin ja kein SPD-Mitglied und kenne mich innerhalb der Partei nicht so aus, dass ich da irgendwelche fundierten Aussagen treffen könnte. Das wären Spekulationen. Da ist, glaube ich, die Sendung zu schade dafür.
"Es gibt keine wirklich starke sozialdemokratische Partei mehr"
Zerback: Mich hätte es jetzt trotzdem interessiert, weil ich Sie da für einen fundierten Kenner auch der Parteienlandschaft halte und Sie sicherlich ja auch einiges analysieren können, was so auf dem freien Markt ist. Aber genau, Spekulieren müssen Sie nicht.
Dieser Austausch an der Spitze, reicht das jetzt für die Wahlnachlese, oder kommt da noch was, auch in Sachen inhaltlicher Neuaufstellung der SPD?
Falter: Ja, natürlich muss etwas kommen. Das ist ja ganz klar. Es ist ja kein deutsches Phänomen, dass die sozialdemokratischen Parteien im Rückgang sind, dass sie relativ lange schon im Rückgang sind, dass es keine wirklich sehr, sehr starke sozialdemokratische Partei mehr gibt – Möglichkeit vielleicht noch Labour in Großbritannien, aber in den meisten anderen Ländern, wenn wir nach Frankreich schauen beispielsweise, wenn wir nach Italien schauen, ich könnte viele andere Länder nennen.
Die haben alle das gleiche Problem, dass sie nämlich als veraltet gelten, als traditionalistisch, dass sie nicht die richtigen Antworten haben auf eine Welt, die sich in den Grundfesten verändert, im Veränderungsprozess ist, und zwar in einem, der so schnell vor sich geht, dass Antworten schnell gegeben werden müssen und nicht nach Art von Tankern ganz langsam.
Zerback: Und, Herr Falter, da sind wir ja auch ruckzuck schon bei der CDU. Die hat auch eine Parteivorsitzende, die jetzt die Scherben zusammenkehren muss. Wie sehr steht denn Annegret Kramp-Karrenbauer unter Druck?
Falter: Die steht unter großem Druck. Das ist überhaupt keine Frage. Aber sie hat den großen Vorteil, dass sie nur Parteivorsitzende ist und dass Angela Merkel noch Kanzlerin ist.
Zerback: Ist das wirklich ihr Vorteil?
Falter: Ja, ich glaube, das ist ein großer Vorteil. Abgesehen davon: Sie könnte es ja auch gar nicht werden. Kanzler kann man nur werden, indem man eine parlamentarische Mehrheit, nämlich 50 Prozent plus eins der gesetzlichen Mitglieder des Bundestages hinter sich kriegt, die einen dann auch wählen. Das ginge nur entweder mit einem konstruktiven Misstrauensvotum, oder, wenn Frau Merkel zurückträte, dann mit einer Wahl. Aber diese Koalition sehe ich nicht, die Kramp-Karrenbauer im Augenblick zusammenkriegen könnte.
Zerback: Sie sagen, sie steht sehr unter Druck. Aber so richtig öffentlich aus der Deckung wagt man sich da, anders als in der SPD, jetzt nicht und will die Chefin nicht destabilisieren?
Falter: Die ist ja schließlich erst relativ frisch im Amt. Sie ist mit einer sehr knappen Mehrheit in das Amt gekommen. Die CDU und die CSU haben ja beispielsweise Solidarität geschworen nach dem blamablen letzten Jahr und Frau Kramp-Karrenbauer will man jetzt nicht einfach opfern. Da gibt es natürlich Leute, die unzufrieden sind. Das ist überhaupt keine Frage. Aber ich glaube, sie hat immer noch den Bonus des Neuen und den Bonus, dass sie die Kandidatin von Angela Merkel ist.
"Frau Kramp-Karrenbauer will man jetzt nicht einfach opfern"
Zerback: Sie hat sich gegen einen anderen Kandidaten durchgesetzt, gegen den Mann, der es immer noch für möglich hält, dass die CDU die 40-Prozent-Hürde wieder erreicht. Friedrich Merz – wir haben es vorhin gehört – hat, wenn es so läuft, wie er sich das wünscht, heute einen neuen Job: Vizechef des CDU-Wirtschaftsrats will er werden. Hat er damit dann seinen Platz gefunden?
Falter: Das ist eigentlich etwas unter Wert gehandelt, muss man dazu sagen. Merz gehört eigentlich schon potenziell zur Spitzengarnitur der CDU und sie kann froh sein, dass sie jemanden wie ihn hat, der in der Lage ist, Dinge auf den Begriff zu bringen, der in der Lage ist, sagen wir einmal, scharf etwas zu analysieren, auszudrücken, auch zu polarisieren und auf die Weise die Leute hinter sich zu scharen. Ich glaube, dass er in dieser Position als Vizechef des Wirtschaftsrats sicherlich nicht ganz ausgelastet sein wird.
Zerback: Und da auch nicht bleiben wird, sondern doch noch weiter nach Höherem strebt? Oder wie schätzen Sie das ein?
Falter: Ja, ich könnte mir es vorstellen. Ich könnte mir vorstellen, dass er gerne Wirtschaftsminister wäre. Da sitzt nun Peter Altmaier. Aber es gibt genügend Leute in der CDU, die sich das auch wünschen, und in einem Kabinett-Revirement könnte man sich vorstellen, dass dann vielleicht Angela Merkel doch so klug ist, über ihren Schatten springt und Merz ins Kabinett holt. Er ist immerhin auch ein potenzieller Kanzlerkandidat.
Zerback: Dafür müsste erst mal neu gewählt werden. Ansonsten: Bis auf weiteres steht die Koalition dann bis 2021, oder kann ich da bei Ihnen noch eine Wette abholen?
Falter: Ich bin bis vor kurzem davon ausgegangen, dass sie wirklich bis 2021 steht. Aber in der Zwischenzeit bin ich skeptisch geworden. Das, sagen wir einmal, selbstquälerische Element innerhalb der SPD ist so stark, dass nicht auszuschließen ist, dass die SPD am Jahresende aus der Großen Koalition ausschert, auch wenn das möglicherweise noch mal einen neuen Aderlass bedeutet. Insofern würde ich jetzt nicht mehr wirklich auf ein Ende 2021 wetten, sondern sagen, bis Ende des Jahres können wir vielleicht damit rechnen, dass sie hält, und danach ist es wirklich fraglich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.