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Parteienforscher: Öffnung der SPD zur Linkspartei ist taktisch

Die mögliche Öffnung der SPD für Koalitionen mit der Linkspartei hat nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Oskar Niedermayer innerparteiliche Gründe. Die SPD-Führung komme dem eigenen linken Flügel entgegen, damit der Parteitag nicht gegen das Weiterführen der Koalitionsverhandlungen mit der Union revoltiere.

Oskar Niedermayer im Gespräch mit Gerd Breker | 13.11.2013
    Gerd Breker: Es scheppert bei den Koalitionsverhandlungen, und das vor dem SPD-Parteitag. Da wird sich das Parteivolk nicht zu Begeisterungsstürmen hinreißen lassen. Doch die Parteiführung hat ein Zückerchen parat: das Ende der Ausschließeritis. Die SPD will künftig nicht von vornherein Koalitionen mit der Linkspartei ausschließen. Alle die, die schon jetzt von Mehrheiten jenseits der Union reden und deren Realisierung anstreben, werden im Aufatmen der Erleichterung das Wort "endlich" stöhnen. Ralf Stegner, Landes- und Fraktionsvorsitzender der SPD in Schleswig-Holstein:

    "Ich glaube, es geht einfach darum, dass die Union sich nicht einfach darauf verlassen kann, dass, wenn es eine Mehrheit links von ihr gibt, die automatisch nicht zustande kommt. Und das war ja so, weil wir vor der Wahl gesagt haben, wir machen das auf keinen Fall in einer Koalition mit der Linkspartei."

    Breker: Ralf Stegner war das, der Fraktions- und Landesvorsitzende der SPD in Schleswig-Holstein. - Am Telefon sind wir nun verbunden mit Oskar Niedermayer. Guten Tag, Herr Niedermayer.

    Oskar Niedermayer: Guten Tag.

    Breker: Was ist heute anders als vor der Bundestagswahl bei der Linkspartei? Was hat sie plötzlich koalitionsfähig gemacht?

    Niedermayer: Bei der Linkspartei ist so gut wie nichts anders, aber bei der SPD ist einiges anders. Sie musste ja durch das Wahlergebnis jetzt mit Brief und Siegel erkennen, dass sie keine eigene Machtperspektive mehr hat, wenn sie allein auf Rot-Grün setzt. Zudem sind die Grünen ja jetzt emanzipiert von der SPD. Das heißt, die SPD muss jetzt gucken, wo es neue Koalitionsoptionen gibt, die ihr möglicherweise in Zukunft das gelingen lassen könnte, dann wieder einen eigenen Kanzler zu stellen, und das ist jetzt natürlich die Linkspartei. Vor der Wahl durfte und konnte man das nicht sagen, sonst wären einige SPD-Wähler wohl abgesprungen.

    Breker: Aber die Linkspartei hat sich nicht gewandelt, das ist auch Ihre Einschätzung?

    Niedermayer: Ja, es hat sich noch nicht viel getan. Man muss jetzt erst mal sehen, wie sich die etwas neu zusammengesetzte Fraktion der Linkspartei positioniert. Aber nach den ersten politischen Aussagen, die ja dann auch schon versucht haben, die SPD vor sich herzutreiben, zum Beispiel beim Mindestlohn oder sonst wo, kann ich momentan noch keine wirkliche Änderung erkennen.

    Breker: Herr Niedermayer, wenn wir ganz pingelig sind und rechnen einfach mal zusammen, die CDU/CSU mit der FDP und der AfD, dann stimmt das ja gar nicht mit der numerischen Mehrheit links von der Union.

    Niedermayer: Ja, das ist vollkommen richtig. Die numerische Mehrheit war vor der Wahl nicht vorhanden und ist vom Wahlergebnis her jetzt, wenn man alles zusammenzählt, auch nicht vorhanden. Das heißt, es ist nur momentan eine theoretische Möglichkeit, wie man näher an eine mögliche Machtperspektive kommen könnte in der Zukunft, aber das ist überhaupt nicht garantiert.

    Breker: Stimmt denn der alte Spruch von Gerhard Schröder, der letzte SPD-Kanzler, der gesagt hat, die Wahlen werden in der Mitte gewonnen, stimmt das gar nicht mehr?

    Niedermayer: Doch, ich glaube schon, und ich denke, dass gerade der SPD-Vorsitzende Gabriel eine Strategie fährt zu sagen, wir müssen die SPD wieder ein bisschen weiter zur Mitte hin öffnen und dann sozusagen komplementär den linken Rand der Linkspartei überlassen, um gemeinsam, vielleicht dann auch mit den Grünen, siegen. Das könnte die Strategie sein.

    Breker: Ist das auch ein Eingeständnis, Herr Niedermayer, dass die SPD ihren Wahlkampf im Bundestagswahlkampf zu weit von links aus geführt hat?

    Niedermayer: Sie hat eine ganze Reihe von Fehlern im Wahlkampf gemacht. Da kommen natürlich auch die Fehler des Kandidaten dazu und der Kandidat hat nicht so hundertprozentig zum Programm gepasst und es ist der SPD auch nicht gelungen, über diese programmatische Neuausrichtung tatsächlich dann auch mehr Wähler zu gewinnen, auch nicht in ihrem eigentlichen Markenkern, eben der sozialen Gerechtigkeit, denn da gab es kurz vor der Wahl auch keine höhere Zuweisung an Kompetenz durch die Wähler als 2009.

    Breker: Die Verkündigung des Endes der Ausschließeritis gerade jetzt kurz vor dem Parteitag, das legt den Verdacht nahe, Herr Niedermayer, dass hier im Falle eines Scheiterns der Koalitionsverhandlungen mit der Union eine Art Notausgang gesucht wird.

    Niedermayer: Momentan leugnet man das noch sehr, sehr stark ab. Frau Nahles hat ja deutlich gemacht, dass diese neue Öffnung zur Linkspartei für diese Wahlperiode nicht gelten soll, sondern erst perspektivisch dann für die Wahl 2017. Aber man kann das natürlich als Hintertürchen interpretieren. Man wird jetzt sehen, wie die Koalitionsverhandlungen weitergehen. Ich glaube, für den Parteitag selbst war das eine taktische Geschichte, dass man doch versuchen musste, den Linken in der SPD, die eine solche Zusammenarbeit mit der Linkspartei befürworten, jetzt entgegenzukommen, damit der Parteitag nicht revoltiert gegen das Weiterführen der Verhandlungen mit der Großen Koalition.

    Breker: Wenn wir die Ergebnisse der bisherigen Koalitionsverhandlungen nehmen, da ist für die Linken eigentlich wenig drin.

    Niedermayer: Das ist ja genau das Problem. Es sind noch keine wesentlichen Beschlüsse gefasst worden, die sozusagen die Pflöcke eingerammt hätten für den linken Teil der SPD, also Mindestlohn und so weiter, und deswegen muss man diesem Teil der Partei jetzt auf dem Parteitag entgegenkommen, damit auch zum Beispiel die Parteiführung, die ja gewählt werden wird, wieder gute Ergebnisse bekommt und deswegen dann auch einen starken Rückhalt in der Partei hat für die Weiterführung der Verhandlungen.

    Breker: Herr Niedermayer, wenn wir unsere Parteienlandschaft insgesamt uns anschauen, dann ist es ja jetzt eigentlich nur logisch, wenn irgendwo, zum Beispiel in Hessen, die Union ihrerseits sagen würde, nun gut, wir haben auch Alternativen, wir können auch Schwarz-Grün.

    Niedermayer: Das ist vollkommen richtig. Die beiden Großen müssen sich überlegen, wie sie ihre Koalitionsmöglichkeiten erweitern, denn die Union hat ja ihren früheren Koalitionspartner auch verloren, und es ist sehr unsicher, ob die FDP bei der nächsten Wahl wieder in den Bundestag kommt. Das heißt, auch sie muss ja gucken, wie kann sie mit den Grünen einigermaßen zurande kommen, damit sie nicht auch wieder auf eine ungeliebte Große Koalition zurückgeworfen wird. Wichtig wäre für beide Parteien, auch für die SPD, dass eine solche neue Option erst mal in einem Bundesland ausprobiert wird und dort auch funktioniert. Das wäre ja Hessen sowohl für die SPD gewesen; da gab es ja eine Reihe von Verhandlungen SPD, Grüne, Linke, die auch noch nicht definitiv verneint werden, und jetzt den Versuch, in Hessen eine schwarz-grüne Koalition zu etablieren. Wenn das funktionieren würde, wäre das auch wieder ein Signal für die nächste Wahl.

    Breker: Nicht nur für die Union, auch für die Grünen wäre es ein positives Signal.

    Niedermayer: Ja selbstverständlich. Die Grünen haben ja jetzt durch ihre neue Führung deutlich gemacht, dass sie eine Strategieänderung herbeiführen wollen, dass sie sich nicht mehr auf Gedeih und Verderb sozusagen an die SPD ketten wollen, sondern eine eigenständige Rolle im Parteiensystem einnehmen wollen und sagen, uns geht es um unsere eigenen Inhalte und wir gucken dann bei der nächsten Wahl, mit wem wir am meisten unserer eigenen Inhalte verwirklichen können.

    Breker: Eine wichtige Erkenntnis für unsere Parteienlandschaft, vor allem vor dem Hintergrund, dass offenbar die Große Koalition in Berlin nicht gerade der große Wurf werden wird?

    Niedermayer: Das ist vollkommen richtig. Wir haben jetzt eine neue Situation in Bezug auf Koalitionsmöglichkeiten. Die alten sozusagen Spaltungslinien werden zunehmend überwunden und das kann der Regierungsbildung letztendlich nur förderlich sein.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.