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Parteiinterner Streit
"Die CDU muss ihr politisches Spektrum ausweiten"

Die CDU sei zuletzt eine Partei der Mitte geworden und habe ihren rechten Flügel vernachlässigt, sagte der Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner im DLF. Wenn sie ihr politisches Spektrum ausweite, werde es ihr aber gelingen, zur AfD abgewanderte Wähler zurückzugewinnen.

Klaus-Peter Schöppner im Gespräch Martin Zagatta | 08.12.2016
    Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag in Essen.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag in Essen. (AFP / Tobias Schwarz)
    Martin Zagatta: Die CDU düpiert. "CDU gegen Merkel", "Merkel gegen die CDU" - so und ähnlich kommentieren heute die Zeitungen den Riss, der jetzt durch die Union geht. Weil der Parteitag die Doppelpass-Politik der Regierung nicht mehr mittragen will und weil Merkel angekündigt hat, den Parteitagsbeschluss nicht in praktische Politik umzusetzen. Ein Zwist, der ganz neue Töne in die deutsche Politik bringt. Ob dieser Streit in der Union jetzt Bewegung in den Wahlkampf bringt, das kann ich den Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner fragen. Er war lange Jahre Chef von "Emnid" und ist jetzt Geschäftsführer des Instituts "Mentefactum". Guten Tag, Herr Schöppner!
    Klaus-Peter Schöppner: Hallo! Guten Tag.
    Zagatta: Herr Schöppner, kurz vor dem Parteitag, da sind die Umfragewerte der Union ja noch deutlich nach oben gegangen - offenbar, weil Merkel ihre erneute Kanzlerkandidatur angekündigt hat. Wird dieser Riss, wird dieser Zwist in der Union jetzt der Beliebtheit von Angela Merkel Abbruch tun, oder spielt das keine große Rolle?
    Schöppner: Na ja, das ist jetzt mal ein tagesaktuelles Thema. Und das eine ist Merkel, und das andere ist natürlich der Rückhalt innerhalb der Partei. Die Beliebtheit von Angela Merkel hat ja in der letzten Zeit abgenommen, weil sie offensichtlich nicht mehr die Kanzlerin der Sicherheit ist, was sie ja lange Jahre war, siehe Bankenkrise zum Beispiel, sondern zur Kanzlerin der Unsicherheit geworden ist. Sie hat aber eine Partei und der Rückhalt der Partei, der Parteianhänger war ja in letzter Zeit sehr, sehr gering geworden. Und insofern sind das im Prinzip auch strategische Überlegungen. Sie verliert möglicherweise an Rückhalt, an Ansehen. Aber sie macht im Prinzip den eher rechten Flügel innerhalb der Partei, die ja in ganz starker Weise zu den Nichtwählern mittlerweile gewandert sind, stark. Und insofern kann das strategisch gesehen möglicherweise sich als Vorteil erweisen.
    "Eine etwas eigenständigere Partei aufzubauen, ist nicht schlecht"
    Zagatta: Aber die CDU, wenn ich das recht verstanden habe, will ja im Wahlkampf voll und ganz auf die Person von Angela Merkel setzen, weil die eben so beliebt ist. Kann man das machen, wenn sie in wichtigen Fragen eine andere Politik vertritt als offenbar die Mehrheit ihrer Partei?
    Schöppner: Na ja. Ob sie nun ganz eine andere Politik vertritt? Sie sagt, ich halte mich an eine Koalitionsvereinbarung, bis zum Jahre 2017 passiert hier nichts. Und ich glaube, dass da die CDU-Parteimitglieder durchaus mitmachen. Und ab 2017 werden die Karten neu gemischt, wiewohl, wenn es dabei bleiben sollte, natürlich der Koalitionspartner abhandenkommt. Das ist richtig. Auf der anderen Seite gibt es ja den Vorwurf des Kanzlerwahlvereins. Und insofern eine etwas eigenständigere Partei zu einer starken Angela Merkel aufzubauen, das ist nicht schlecht. Und ob man immer von dem "Oder" ausgehen muss oder möglicherweise beide Positionen miteinander verquicken kann, also die Range, das Spektrum der Partei erweitern kann in einmal einen eher linken, einen Flügel der Mitte, die durch die Kanzlerin verkörpert wird, und die Rechten wieder zurückzugewinnen, die ja teilweise bei der AfD, teilweise bei den Nichtwählern gelandet sind. Parteistrategisch ist das möglicherweise jetzt der erste Schritt, das Spektrum etwas zu erweitern, und insofern parteistrategisch ist das sicherlich nicht von Nachteil.
    Zagatta: Auf der anderen Seite ist die Union wahltechnisch ja gar nicht so schlecht damit gefahren, so ein Kanzlerwahlverein zu sein. Ist es denn tatsächlich so, dass eine Partei, die lebhaft diskutiert, wie das vielleicht bei der SPD der Fall ist, die sich auch dem Vorwurf aussetzt, heute das zu sagen, morgen das, jedenfalls der Parteichef, dass die unter Umständen viel schlechter ankommt als eine Partei wie die Union, die sich da mit einer starken Führungspersönlichkeit präsentiert, die den Ton angibt?
    Schöppner: Ja, sie hat natürlich hinter der starken Führungspersönlichkeit die einzelnen Strömungen sozusagen gering gehalten. Wir haben das ja auf dem Parteitag erlebt, dass innerhalb der Partei durchaus Streitigkeiten existieren, durchaus gegenteilige Meinungen. Und für den Wahlkampf muss man ja eine Partei haben, die im Prinzip hinter einer Kanzlerin, hinter einer Politik, hinter einer gemeinsam beschlossenen Politik steht, die also aktiv ist, die nicht letharg reagiert, sondern agiert, die Siegesstimmung ausstrahlt. Ich glaube schon, wenn die Kanzlerin in diesem Punkt - Klammer auf: Sie hat ja auch zum Burka-Verbot dort etwas gesagt, um den rechten Flügel hier etwas kommod zu stimmen, Klammer zu - wenn sie das geregelt kriegt, sozusagen hier eine gemeinsame Linie, die nicht in jedem Fall, in jedem Punkt identisch sein muss, hinzubekommen, also dem rechten Flügel ein höheres Gewicht gibt, dann kann das in Richtung mehr Aktivität, Verbreitung von Siegesstimmung, höherer Rückhalt in der Partei, mehr Engagement durchaus sich als positiv erweisen.
    "Der Weg zum Nichtwähler und vom Nichtwähler wieder zum CDU-Wähler ist nicht allzu weit"
    Zagatta: Aber zu diesem Rechtsruck, wenn man das so nennen darf, ist der Koalitionspartner SPD klar auf Distanz gegangen, die Grünen auch, Die Linke ja sowieso. Ist damit jetzt für die Bundestagswahl Rot-Rot-Grün zumindest eine Spur wahrscheinlicher geworden?
    Schöppner: Rot-Rot-Grün reicht derzeit nicht, was die Mehrheitsverhältnisse anbelangt. Derzeit, muss man einfach mal klar sehen, reicht es nur zu einer Großen Koalition und zu anderen Dreierkombinationen mit der CDU. Rot-Rot-Grün mag wahrscheinlicher geworden sein. Auf der anderen Seite gibt es eine Mehrheit in der Bevölkerung, eine knappe Mehrheit, die sich gegen die doppelte Staatsbürgerschaft ausspricht. Die Union steht mit ihrer Position dort nicht allein. Der Vorwurf, den man der Union natürlich machen kann, ist, dass sie als Neuorientierung die Altorientierung wieder heranzieht, dass sie wieder eine alte Partei wird. Aber man darf nicht vergessen, 30 Prozent derjenigen, die 2013 die Union gewählt haben, sind mittlerweile zu den Nichtwählern rübergegangen.
    Der Weg zum Nichtwähler und vom Nichtwähler wieder zum CDU-Wähler ist nicht allzu weit. Hier kann möglicherweise die CDU etwas dazu tun oder einen Beitrag leisten, diese Nichtwähler wieder zurückzugewinnen und aus ihrem 35-, 34-Punkte-Tal herauszukommen und wieder eine Vier vor dem Komma zu bekommen. Sie dürfen auch nicht vergessen, dass die Streitigkeiten mit der CSU, die ja lange Zeit die Union runtergerissen haben, dass die möglicherweise jetzt milder ausfallen, dass die kaum mehr wahrgenommen werden. Und eine Partei, die in sich dann geschlossener wirkt, mal unabhängig von ein oder zwei Inhaltsfragen, die hat natürlich in der Außendarstellung einen Vorteil.
    Zagatta: Sie sprechen jetzt von den Nichtwählern. Kann denn die CDU mit diesem Schwenk in der Flüchtlings- oder Ausländerpolitik auch die Unzufriedenen zurückholen, die sich mittlerweile der AfD zugewandt haben? Das ist ja wahrscheinlich die Absicht. Oder ist das nahezu unmöglich?
    Schöppner: Nein, sie kann sie wieder zurückholen. Sie muss im Prinzip ihr politisches Spektrum ausweiten. Sie ist eine Partei der Mitte geworden und hat ihren rechten Flügel vernachlässigt. Und sie wird natürlich bis zum Wahltag 2017 die AfD nicht ganz von der politischen Bildfläche verschwinden lassen können. Sie wird aber sozusagen einen Beitrag dazu leisten, dass die Motivation, die CDU zu wählen, bei den Nichtwählern wieder größer werden wird, die nicht in die rechte Ecke gedrängt werden wollen, die eine demokratische, im Grunde urdemokratische Partei gerne wollen, aber sich dort auch wiederfinden würden. Das Ganze ist natürlich jetzt eine Momentaufnahme. Es muss sich zeigen, inwiefern die CDU das möglicherweise geschickt hinbekommt, indem sie sagt, bis zum Jahr 2017 - Pacta sunt servanda - gibt es eine Koalitionsvereinbarung, da passiert gar nichts. Und dann wollen wir mal sehen, welche politischen Optionen sich ergeben. Aber das Thema Ausländer- und Asylantenunterstützung hat ja nicht nur etwas mit der doppelten Staatsangehörigkeit zu tun, sondern auch mit vielen anderen Schattierungen, siehe Burka-Verbot, siehe Obergrenze. Dieses Thema ist wichtig, aber das Thema doppelte Staatsbürgerschaft ist ja nur eine Schattierung und in einer Woche werden wahrscheinlich ganz andere Themen die politische Agenda wieder beherrschen.
    "In dieser Situation kann Merkel und Deutschland durchaus mit internationalem Ansehen punkten"
    Zagatta: Herr Schöppner, um zum Ausgangspunkt unseres Gespräches vielleicht wieder zurückzukommen. In Zeitungen wird Merkel jetzt schon mit dem SPD-Kanzler Schmidt verglichen, der beim NATO-Doppelbeschluss den Rückhalt seiner Partei verloren hat oder mit Gerhard Schröder, dem es bei der Hartz-IV-Gesetzgebung so gegangen ist. Lässt sich das vergleichen?
    Schöppner: Das lässt sich in Ansätzen vergleichen. Allerdings war das Thema NATO-Doppelbeschluss ein Thema, was die Deutschen natürlich mehr bewegt hat. Was die Deutschen hier jetzt bewegt, ist nicht unbedingt die doppelte Staatsbürgerschaft, sondern der …
    Zagatta: Aber die Flüchtlingspolitik vielleicht.
    Schöppner: … ist insgesamt die Flüchtlingspolitik. Und da wird es davon abhängig sein, wie im Laufe des nächsten Jahres hier sich die Geschichte entwickelt, ob es weiterhin bei einem geregelten und einem relativ reduzierten Zuzug bleibt. In dieser Situation kann Merkel und Deutschland durchaus mit internationalem Ansehen punkten. Wenn sich da in die andere Richtung etwas entwickeln sollte, dann allerdings kann es sehr ungemütlich werden, und dann allerdings werden die Karten neu gemischt werden. Wir haben jetzt den Eindruck, dieses Flüchtlingsproblem bekommen wir im Prinzip, wenn nicht viele neue Flüchtlinge hinzukommen, mittelfristig irgendwo in den Griff. Und wir sind auch in gewisser Weise stolz auf Angela Merkel, dass sie nicht nur die internationale Reputation erhöht hat, sondern dass sie in vielen Situationen auch Menschen geholfen hat. Es gibt natürlich ein "bis hierhin und nicht weiter", und wenn das eingehalten werden kann durch politische Beschlüsse, durch möglicherweise auch glückliche politische Umstände, dann wird Angela Merkel wahrscheinlich noch als Gewinner aus der ganzen Geschichte herausgehen.
    Zagatta: … sagt der Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner. Herr Schöppner, danke schön!
    Schöppner: Ich danke Ihnen. Schönen Tag. - Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.