Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


"Parteipolitisches Taktieren"

Der frühere Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Klaus Naumann, sieht in der SPD-Forderung eines verbindlichen Abzugstermins für deutsche Truppen aus Afghanistan "parteipolitisches Taktieren". Im Herbst vergangenen Jahres habe Steinmeier noch kein Abzugsdatum nennen wollen, nun habe sich dies geändert.

Klaus Naumann im Gespräch mit Gerd Breker | 22.01.2010
    Gerd Breker: Nach dem Abstieg in die Opposition und dem desaströsen Abschneiden bei der Bundestagswahl muss und will sich die SPD auch inhaltlich neu positionieren. Das fällt insbesondere in der Außenpolitik nicht leicht, war es doch der Kanzlerkandidat und heutige Fraktionschef, der als Außenminister der Großen Koalition die bisherige Politik etwa gegenüber Afghanistan mitgestaltet hat. Eine Woche vor der internationalen Afghanistankonferenz in London versucht die SPD, auf einer eigenen Afghanistankonferenz eine eigene neue Position zum Kampf und zum Wiederaufbau in Afghanistan zu finden und zu definieren.

    Am Telefon begrüße ich nun General a. D. Klaus Naumann, ehemaliger Vorsitzender des NATO-Militärausschusses. Guten Tag, Herr Naumann.

    Klaus Naumann: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Herr Naumann, kann sich die NATO eine militärische Niederlage in Afghanistan leisten?

    Naumann: Nein, natürlich nicht. Das würde die Schwächung des zurzeit einzig funktionierenden internationalen Organismus für Friedenserhaltung und Friedensschaffung bedeuten. Aber zu meinem klaren Nein möchte ich doch noch einen Punkt zur Erinnerung Ihrer Hörer sagen.

    Ich möchte darauf verweisen, dass es damals, als Afghanistan anfing, die von der SPD geführte Regierung war, die die NATO gedrängt hat, die amerikanische Operation zu einer NATO-Operation zu machen, und nun hören wir auf einmal Abzugsdaten. Ich halte das für grundfalsch und ich möchte auch von Herrn Steinmeier ganz gerne wissen, was hat ihn eigentlich bewogen, im Herbst noch zu sagen, Abzugsdaten nenne ich nicht, und jetzt, nachdem die Lage schlechter, aber nicht besser geworden ist, will er auf einmal Abzugsdaten nennen. Mir fehlt hier die Logik, mir scheint das parteipolitisches Taktieren auf dem Rücken der in Afghanistan kämpfenden Soldaten zu sein.

    Breker: Auf dem Rücken deshalb, weil wir ja eine Parlamentsarmee haben?

    Naumann: Natürlich! Sie sind ja auch im Auftrag der SPD nach Afghanistan gegangen.

    Breker: Um dort unser freiheitliches System zu verteidigen?

    Naumann: Da, Herr Breker, kann man schon ein paar Fragezeichen anmelden, und ich glaube, einer der Punkte, über die man in der Londoner Konferenz nachdenken muss, ist, ob wir wirklich den richtigen Ansatz für Afghanistan gefunden haben, ob wir eine Lösung gefunden haben, die die Menschen in Afghanistan wollen.

    Dass es darum geht, Menschenrechte und die Herrschaft des Rechts auch in Afghanistan durchzusetzen, das ist unbestritten. Aber ob wir in diesem Land eine Westminsterdemokratie errichten können, darüber müssen wir sicher nachdenken.

    Breker: Und darüber müsste man auch zu einer gemeinsamen Meinung kommen. Bis dahin, so scheint es, Herr Naumann, ist es so, dass, wann immer es schwierig wird, einfach mehr Soldaten gefordert werden. Das löst das Problem nicht?

    Naumann: Ja, das ist das Einfachste, weil man Soldaten meint, zur Verfügung zu haben, und weil die Soldaten ja auch als einzige Gruppe in der Gesellschaft einem Befehl folgend - dem Befehl des Parlaments in diesem Fall - nach Afghanistan gehen müssen, während alle anderen - auch Polizisten - ja aufgrund freiwilliger Meldung dort hingehen.

    Breker: Das Problem der ISAF-Truppen in Afghanistan ist eigentlich, dass es unterschiedliche Strategien gibt. Ist diese Sicht von außen richtig?

    Naumann: Es gibt sicherlich unterschiedliche Strategien. Das hat ja auch gerade jüngst der General McChrystal, der Befehlshaber der ISAF-Truppen, richtigerweise und, ich glaube, zutreffend gesagt. Der Ansatz in Afghanistan kann doch nur sein, dass man Sicherheit schafft, indem man Widerstand niederkämpft, dann dort Aufbauleistungen zustande bringt, die den Menschen zugutekommen, aber diese Aufbauleistungen auch sichert.

    Das heißt, das reicht nun nicht, wenn man im Lager bleibt, oder bei Dunkelheit ins Lager zurückgeht. Man muss vor Ort bleiben. Das bedeutet Risiko und das bedeutet vermutlich auch, dass man über die Truppenstärke noch mal nachdenken muss. Mir scheint, die deutschen Truppen sind für die Aufgabe, die sie haben, auch vor dem Hintergrund, dass jetzt die Hauptversorgungsstraße der Allianz durch den Nordsektor geht, einfach zu schwach.

    Breker: Zu schwach und zu schlecht ausgerüstet. Auch das wäre ja eine Lehre, die man aus dem Fall Kundus ziehen könnte?

    Naumann: Mit dem "schlecht ausgerüstet", da würde ich mich im Urteil etwas zurückhalten. Ich habe zu wenig persönlichen Eindruck. Ich habe aber von vielen Verbündeten gehört, dass die deutschen Soldaten in Afghanistan einen guten Ruf haben, dass ihre Ausstattung im allgemeinen in Ordnung ist. Mängel haben wir alle immer wieder in Streitkräften gehabt.

    Das Problem scheint zu sein, dass man die deutschen Soldaten nicht so in den Einsatz lässt, wie die Alliierten das tun, und da ist einer der Punkte, Herr Breker, der in der SPD-Konferenz heute, glaube ich, ein bisschen kurzsichtig ist. Wenn man mehr Ausbildung machen will, auch mehr Ausbildung der afghanischen Armee, dann muss man diese sogenannten OMLTs, diese Ausbildungsunterstützungstruppen, mit der afghanischen Truppe, wenn die in den Einsatz geht, mit in den Kampf schicken. Das sind also keine Ausbilder, die mit gleichem Hut dort herumlaufen, sondern das sind Kampftruppen, die gegebenenfalls mitgehen müssen.

    Breker: Beim Wiederaufbau, Herr Naumann, wird da nicht grundsätzlich ein Fehler gemacht, dass man irgendwie davon ausgeht, als sei es ein Zentralstaat nach westlichem Muster, doch tatsächlich ist die afghanische Gesellschaft eine ganz, ganz andere? - Korruption zum Beispiel.

    Naumann: Ja, das ist sicherlich einer der Punkte, über die man auch in London noch mal nachdenken muss. Aber hier möchte ich schon sagen, Herr Breker, diese Lösung, diese Entscheidung muss von den Afghanen kommen. Sie müssen entscheiden, was sie wollen. Es ist richtig: Sie haben nie in ihrer Geschichte eine starke Zentralregierung gehabt. Afghanistan ist immer durch, im Grunde genommen, Stammesformen mit einer relativ moderierenden Zentralregierung geleitet worden. Aber das sollten wir ihnen nicht aufdrängen, das müssen sie selber entscheiden.

    Breker: Ein Bericht über die US-Geheimdienste in Afghanistan bezeichnet die Aufklärung dort als Wahrsagerei. Man habe kein Verständnis für die afghanische Gesellschaft, für die Kultur, für die Wesensart. Liegt es nicht in der Tat daran, dass alles so fremd ist und man es so westlich versucht?

    Naumann: Das Land ist uns sicher fremd, aber ich würde ein derartiges Pauschalurteil nicht abgeben. Ich war einmal auf Einladung des amerikanischen Oberbefehlshabers Europa mit ihm in Afghanistan, im Süden Afghanistans, und ich hatte da schon den Eindruck, dass die Truppe gut vorbereitet auf die kulturellen, religiösen, ethnischen Bedingungen in Afghanistan hingegangen ist.

    Ich glaube, das trifft auch für die Deutschen zu. Ich war ja damals Generalinspekteur, als wir solche Dinge angefangen haben, und wir haben uns sehr bemüht, bei dem Ausbildungszentrum in Hammelburg unsere Soldaten auf die kulturellen, religiösen, ethnischen Bedingungen, auch auf die sozialen Bedingungen im Land vorzubereiten. Ich glaube, das wird nach wie vor getan und von daher würde ich das Pauschalurteil nicht teilen.

    Breker: Also fassen wir zusammen, Herr Naumann: Mit Sicherheit durch Soldaten soll der Aufbau gelingen und das muss so sein, weil die NATO nicht verlieren darf?

    Naumann: Die NATO darf dort nicht scheitern und ich glaube, sie wird auch nicht scheitern. Aber ich muss auch sagen, Herr Breker, militärisch allein kann man das nicht gewinnen und mehr Truppen allein ist auch nicht die Antwort.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das General a. D. Klaus Naumann, ehemaliger Vorsitzender des NATO-Militärausschusses. Herr Naumann, danke für dieses Gespräch.

    Naumann: Keine Ursache, Herr Breker.