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Parteiquerelen in Frankreich
"Leichenwagen der Sozialistischen Partei"

Kurz vor der Präsidentschaftswahl verliert der Spitzenkandidat der regierenden Sozialisten, Benoît Hamon, den Rückhalt in der eigenen Partei. "Ich finde mich im Programm des Kandidaten Hamon nicht wieder", klagt öffentlich der Präsident der Nationalversammlung, Claude Bartolone. Die Unzufriedenheit treibt viele Reformer ins Lager von Emmanuel Macron.

Von Jürgen König | 17.03.2017
    Dem Spitzenkandidaten der Sozialistischen Partei Frankreichs, Benoit Hamon, kündigen Parteifreunde in Scharen die Loyalität.
    Dem Spitzenkandidaten der Sozialistischen Partei Frankreichs, Benoit Hamon, kündigen Parteifreunde in Scharen die Loyalität. (imago/JBAutissier)
    Seit Wochen schon, so klagen die Parteifreunde, will der Wahlkampf des Benoît Hamon einfach nicht "abheben", wie sie es nennen – dabei war er doch der strahlende Sieger der Vorwahl gewesen:
    "Euer Einsatz, euer Zuspruch ist das Zeichen einer lebendigen, einer mitreißenden Linken. Er gibt mir eine enorme Kraft, Euch zu repräsentieren und die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen."
    Am Wahlabend hatte auch sein unterlegener Konkurrent, Manuel Valls, nur warmherzige Worte gefunden:
    "Ich hatte schon immer das Gefühl eines großen Zusammenhalts und der Loyalität und ich bin voller Respekt für das Engagement, das hier gezeigt wurde. Benoît Hamon ist ab jetzt der Kandidat unserer politischen Familie. Und er hat die schöne Aufgabe, diese Familie um sich zu versammeln."
    Wochenlanges Geschachere unter den Kandidaten
    Doch damit ließ Benoît Hamon sich Zeit. Wichtiger war es ihm, den radikallinken Kandidaten Jean-Luc Mélenchon dazu zu bewegen, auf seine Kandidatur zu verzichten – beide Lager zusammen könnten mit über einem Viertel aller Wählerstimmen rechnen, wochenlang warb Hamon um die Gunst des Kandidaten Jean-Luc Mélenchon, doch vergebens: mit dem "Leichenwagen der Sozialistischen Partei", so Mélenchon, wolle er nichts zu tun haben.
    Beim grünen Präsidentschaftskandidaten Yannick Jadot war Benoît Hamon dagegen erfolgreich: Jadot zog seine Kandidatur zurück, nachdem Hamon sich -im Fall seiner Wahl – zum Atomausstieg verpflichtet und ihm 15 aussichtsreiche Wahlkreise bei den Parlamentswahlen im Juni versprochen hatte.
    Vollmundige Versprechungen und reihum mehr Geld
    Doch seine "politische Familie" tat sich weiterhin schwer mit ihrem Kandidaten, mit dem "frondeur", dem Rebellen vom linken Flügel der Partei, der 2014 sein Ministeramt dem Präsidenten Hollande vor die Füße geworfen hatte und fortan als Sprecher einer parteiinternen Fundamentalopposition gegen den sozialliberalen Kurs von Premierminister Manuel Valls Stimmung machte. Das Wahlprogramm Benoît Hamons verspricht in praktisch allen Lebensbereichen Verbesserungen und reihum mehr Geld.
    "Ich bin der Kandidat der erhöhten Kaufkraft, der verbesserten Lohnabrechnung, der Aufwertung der Arbeit! Diese Maßnahmen werden die Existenzbedingungen einer Mehrheit der Franzosen verbessern – und das wird zu höherem Konsum und damit zu einer verbesserten Wirtschaftslage und zu mehr Wachstum führen."
    Parteifreunde kündigen ihre Loyalität auf
    Die nach monatelangen Kämpfen letztes Jahr verabschiedete Arbeitsrechtsreform will Hamon zurücknehmen; statt Unternehmensgründungen zu erleichtern, setzt er auf ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle; den Öffentlichen Dienst will er nicht abspecken, sondern ausbauen; Großunternehmen sollen zumindest zeitweise verstaatlicht werden können, die Drei-Prozent-Haushalsdefizit-Regel der EU hält er für "sinnlos"; der Abbau der Staatsschulden hat für ihn keine Priorität.
    Mit alledem vertritt Benoît Hamon das Gegenteil dessen, was dem gesamten Reformflügel der Sozialistischen Partei wichtig war und ist. Claude Bartolone etwa, Präsident der Nationalversammlung, erklärte öffentlich, er finde sich im Programm des Kandidaten Hamon nicht wieder, sogar Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian, ein alter Weggefährte Francois Hollandes, bekannte sich zum sozialliberalen Programm Emmanuel Macrons – eine Ohrfeige für den eigenen Kandidaten.
    Benoit Hamon (links) wird von Manuel Valls (rechts) nicht mehr unterstützt - allen früheren Loyalitätsbekundungen zum Trotz.
    Benoit Hamon (links) wird von Manuel Valls (rechts) nicht mehr unterstützt - allen früheren Loyalitätsbekundungen zum Trotz. (AFP / Joel Saget)
    Als auch Manuel Valls – allen früheren Loyalitätsbekundungen zum Trotz - in einer parteiinternen Runde ankündigte, Hamons Wahlkampf nicht zu unterstützen, soll dieser von "Verrat" gesprochen haben. Dass er in seiner Partei zunehmend isoliert dasteht, mag Benoît Hamon nicht kommentieren, sein Sprecher Jerome Guedj dazu:
    "Ich möchte lieber die in den Vordergrund rücken, die sich wirklich im besten Sinn des Wortes abrackern, Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem zum Beispiel, die auch vor Benoît Hamon sprechen wird beim großen Meeting am Sonntag in Paris, dort wird sich die Linke in ihrer ganzen Vielfalt um Benoît Hamon versammeln. Und im weiteren Verlauf werden die schlechten Spieler schon etwas mehr mezzavoce, etwas gemäßigter werden und sich auch mit der notwendigen Dynamik an der Kampagne beteiligen…"
    Daran darf man getrost zweifeln. Wahrscheinlicher ist, dass viele reformorientierte Sozialisten ins Lager von Emmanuel Macron wechseln werden – und ja eines Tages vielleicht auch Manuel Valls. Öffentlich will er sich zu alledem nicht äußern, auch Hamon ging gestern bei der Vorstellung seines Programms auf die parteiinternen Querelen mit keinem Wort ein – und es war auch vom Reformflügel der Partei niemand da, an den er sich hätte wenden können. Am Sonntag aber will Benoît Hamon in Paris eine Halle mit 20 000 jubelnden Menschen füllen, dann soll seine Kampagne endlich "abheben".