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Parteitag in Liverpool
Labour lässt sich beim Brexit alle Optionen offen

Der Brexit-Termin rückt unerbittlich näher. Die oppositionelle britische Labour-Partei will ein zweites Referendum über den EU-Austritt nicht ausschließen - dafür haben die Delegierten auf dem Parteitag in Liverpool gestimmt. Dabei ist man in der Frage tief gespalten.

Von Friedbert Meurer | 26.09.2018
    Delegierte des Labour-Parteitags in Liverpool applaudieren nach einer Rede.
    Delegierte des Labour-Parteitags in Liverpool: Beschlossen wurde letztlich nichts Konkretes (dpa / picture allaince / Jon Super)
    Eine junge Frau wirbt vor dem Eingang zur Kongresshalle für ein Anti-Brexit-Forum. Demonstranten schwenken den ankommenden Delegierten blaue Europafahnen entgegen. Steven Bray hat sich sogar ganz in eine EU-Fahne gewickelt und hält ein rotes Schild hoch mit der Frage: "Brexit - ist es das wert?" Er sagt:
    "Seit dem Referendum sind zwei Jahre vergangen. Das größte Hindernis ist doch, dass Labour überhaupt keinen Widerstand gegen den Brexit leistet."
    Eine andere Demonstrantin sieht das ähnlich. Sie verteilt gelbe Sticker mit der Aufschrift: "Brexit-Blödsinn".
    "Wenn Jeremy Corbyn wirklich auf seine Partei hören würde, dann muss er die Möglichkeit eines Referendums einbeziehen, bei dem man für den Verbleib in der EU stimmen kann."
    Eine Demonstrantin verteilt Sticker mit der Aufschrift "Brexit-Blödsinn".
    Eine Demonstrantin verteilt Sticker mit der Aufschrift "Brexit-Blödsinn". (Deutschlandfunk / Friedbert Meurer)
    Die Stimmung der Basis ist eindeutig
    Labour-Chef Corbyn aber hat immer versprochen, das Ergebnis des Referendums von 2016 zu respektieren. Es geht hin und her auf dem Parteitag in Liverpool: ist Labour bereit, ein zweites Referendum zu unterstützen? Nach stundenlangem Ringen hinter verschlossenen Türen bekräftigt dann im Plenum der Brexit-Sprecher der Partei, Keir Starmer, das Ergebnis:
    "Das Parlament hat das erste Sagen. Aber wenn wir nicht anders aus der Sackgasse herauskommen, dann schließen wir eine Volksabstimmung nicht aus. Auch nicht die Option, dabei für den Verbleib in der EU zu stimmen." Starmer erhält Standing Ovation von zahlreichen Delegierten, die Stimmung der Basis ist eindeutig. Aber im Antrag heiß es nur: Wir lassen uns alle Optionen offen. Mehr nicht.
    "Hört euch doch außerhalb von London einmal um"
    "Labour Leave" lädt ein, die Brexit-Unterstützer in der Partei. Die Stimmung ist düster. "Hört euch doch außerhalb von London einmal um", sagt einer der Delegierten. Labour werde vollends den Anschluss an die Arbeiterklasse verlieren, wenn die Partei sich ernsthaft für ein zweites Referendum einsetze. Das sei politischer Selbstmord.
    Eine junge Labour-Anhängerin trägt ein Superman-Shirt mit dem Logo "Jeremy Corbyn". Die Jungen sind die eigentlich die größten Anhänger von Jeremy Corbyn, bejubeln ihn und feiern ihn auf Rockkonzerten. Diese junge Frau aber macht stutzig, dass Jeremy Corbyn kein großer Anhänger der EU ist. "Warum stehen wir auf der gleichen Seite wie Boris Johnson und Jacob Rees-Mogg? Sie sind der Grund, warum wir das Referendum bekamen." In der EU-Frage gibt es zwischen Corbyn und seinen jungen Anhängern eine erkennbare Kluft. Auch deswegen gibt sich der Labour-Chef etwas konzilianter.
    Der Vorsitzende der britischen Labour Party, Jeremy Corbyn, sitzt am 25.09.2017 in Brighton (Großbritannien) anlässlich des Labour-Parteitages vor einem Bildschirm mit der Aufschrift "For the many. Not the few". Vom 24.-27.09. kommen die Labour-Parteimitglieder zum Parteitag zusammen. 
    Der Vorsitzende der britischen Labour Party, Jeremy Corbyn (dpa / picture alliance / Joel Goodman)
    Kate Hoey ist eine der profiliertesten Pro-Brexit-Parlamentarier von Labour. Sie interpretiert die Resolution der Partei anders. "Das ist eine Mogelpackung. Das ist keine Abstimmung für ein zweites Referendum. Das wäre auch Zeitverschwendung und undemokratisch. Aber selbst wenn es dazu käme, würden wir wieder gewinnen, sogar noch deutlicher."
    Alles nur eine Mogelpackung? Eine BBC-Reporterin spricht von "Labour 360 Grad", die Partei halte sich alle Richtungen offen. Jeremy Corbyn weicht auch am Abend in einem Interview der Frage aus, wie er selbst denn bei einem neuen Referendum abstimmen würde. "Wir wissen nicht, was die Fragestellung wäre. Das ist also eine hypothetische Frage."
    Labour hat die Tür einen Spalt weit aufgestoßen
    Labour hat sich zu nichts verpflichtet, aber doch die Tür einen Spalt weit aufgestoßen. Das sieht jedenfalls Bridget Phillipson so. Sie ist Unterhausabgeordnete für Labour und wirbt seit einigen Wochen für ein zweites Referendum. "Das ist schon ein Schritt in die richtige Richtung. Wir lassen uns die Option offen. Ich werde zunehmend zuversichtlich. Das ist die einzige Möglichkeit, das Problem zu lösen."
    Steven Bray demonstriert vor dem Labour-Parteitag gegen den Brexit.
    Steven Bray demonstriert vor dem Labour-Parteitag gegen den Brexit. (Deutschlandfunk / Friedbert Meurer)
    Bridget Phillipson vertritt den Wahlkreis Sunderland, dessen Wähler zu über 60 Prozent für den Brexit gestimmt haben und wo es um die Zukunft der Autofabrik von Nissan geht. Nein, Phillipson glaubt nicht, Wähler zu verprellen. Andere in der Partei sehen das aber anders, auch Remainer, die für den Verbleib in der EU waren. Die Stimmung im Land würde noch mehr vergiftet, wenn noch einmal abgestimmt würde. John McDonnell, die faktische Nr. 2 der Partei, warnte sogar vor sozialen Unruhen. Die Parteispitze tritt wegen dieser Risiken erkennbar auf die Bremse.
    Beschlossen wurde also letztlich nichts Konkretes. John Mills leitet die Gruppe der Brexit-Anhänger von "Labour Leave". Er konzediert, die politische Lage sei unüberschaubar. Labour handle also genau richtig, flexibel zu bleiben. "Die Konferenz beschließt nicht ein zweites Referendum. Ich finde es aber vernünftig, sich Wege offenzuhalten, wie man mit den Schwierigkeiten des Brexits umgehen könnte."