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Parteivorsitzender gesucht
Tschechische Sozialdemokraten vor Zerreißprobe

Die tschechischen Sozialdemokraten stecken seit dem schlechten Wahlergebnis vom letzten Oktober in der Krise. Beim kommenden Sonderparteitag soll der Parteivorsitzende bestimmt und entschieden werden, ob die ČSSD mit der Minderheitsregierung des Ministerpräsidenten Andrej Babiš zusammenarbeiten will.

Von Peter Lange | 16.02.2018
    Der tschechische Präsident Milos Zeman
    Miloš Zeman, der Staatspräsident, hat die CSSD in den 90er-Jahren angeführt und zur Regierungspartei gemacht, bevor er sie im Streit verlassen hat. (dpa/ picture alliance/ David Tanecek)
    Jan Hamáček, der frühere Parlamentspräsident, mag gar nicht erst zurückschauen: "Wir müssen versuchen, die Vergangenheit Vergangenheit sein zu lassen. Wenn wir uns alle vorrechnen, wer was wem angetan hat, werden wir nirgendwo hinkommen."
    Um dann doch einen Blick zurück zu riskieren
    "Die Präsidentschaftswahl hat die Gesellschaft und auch die Sozialdemokraten gespalten. Sie hat Familien geteilt, Freundschaften sind zerbrochen. Es ist gut, dass sie hinter uns liegt."
    Hamáček ist neben dem amtierenden Parteichef Milan Chovanec der aussichtsreichste von sieben Bewerbern um den Vorsitz der ČSSD. Ein Job, der im Moment ähnlich attraktiv ist wie der Chefposten der SPD in Deutschland. Nur verglichen mit den deutschen Genossen sind die tschechischen Genossen schon einen Schritt weiter. Auf unter acht Prozent sind sie bei der letzten Parlamentswahl gefallen und noch hinter den Kommunisten gelandet. Und das hatte Gründe: "Das historisch größte Problem der Sozialdemokratie war ihre Spaltung. Zumindest in den letzten Jahren gab es verschiedene Gruppen, die kaum miteinander kommunizierten. Und leider schlugen sich die persönlichen Animositäten auch ein wenig im Programm nieder."
    Die CSSD erhielt bei der letzten Wahl weniger als acht Prozent der Stimmen
    Parallelen zur SPD sind zufällig, aber unvermeidlich. Die Gretchenfrage der deutschen Sozialdemokraten lautet: wie halten wir es mit Angela Merkel. In Tschechien heißt die entscheidende Frage: Wie halten wir es mit Andrej Babiš? Der amtierende Regierungschef sucht Partner, die seine ANO-Minderheitsregierung tolerieren. An einer richtigen Koalition ist er gar nicht so sehr interessiert.
    "Die Bedingung, die wir vor der Wahl gestellt haben, gilt weiterhin, betont Milan Chovanec. Sie lautet, dass in der Regierung niemand sein darf, gegen den strafrechtlich ermittelt wird."
    Und damit wäre eine Kooperation mit Babiš ausgeschlossen. Gegen den läuft ein Ermittlungsverfahren wegen Subventionsbetrugs. Und dass ein Gericht in der Slowakei nun seine Stasi-Vergangenheit für erwiesen hält, dürfte eine zusätzliche Hürde sein. Aber das sehen bei der ČSSD längst nicht alle so. Jiri Zimola, auch einer der Kandidaten für den Vorsitz, stört sich nicht daran. Auch für Babiš gelte die Unschuldsvermutung: "Ich unterstütze die Beteiligung der ČSSD an der Regierung. Aber darüber sollten meine Parteikollegen auf möglichst breiter Grundlage entscheiden."
    Jan Hamáček will seine Haltung vom Votum der etwa 500 Delegierten abhängig machen. Und von denen gehört ein guter Teil zum Zeman-Flügel. Miloš Zeman, der Staatspräsident, hat die ČSSD in den 90er Jahren angeführt und zur Regierungspartei gemacht, bevor er sie im Streit verlassen hat. Milan Chovanec, der amtierende Vorsitzende, hat Zeman zum Parteitag eingeladen.
    "Miloš Zeman war der bedeutendste Vorsitzende der Sozialdemokraten. Und er steht der Partei immer noch nahe, ob er nun überparteilicher Präsident ist oder nicht. Es wäre sehr schade, keinen Nutzen aus Freunden zu ziehen, die Rat geben möchten."
    Sollen die Sozialdemokraten die Minderheitsregierung von Babiš stützen?
    Der Ratschlag, den Zeman den Delegierten in seinem Grußwort geben wird, ist ein offenes Geheimnis. Der Staatspräsident wird mit ziemlicher Sicherheit darum werben, dass die ČSSD eine ANO-Minderheitsregierung unterstützt. Ob ihm dann die Delegierten folgen, oder ob das zu einer neuen Zerreißprobe für die geplagte Partei wird, das ist noch nicht ausgemacht. Andrej Babiš kann in Ruhe auf die ČSSD warten. Er zündelt ein bisschen, indem er auf jene Sozialdemokraten verweist, die seine Minderheitsregierung unterstützen wollen. Und er macht Druck: "Wenn wir uns nicht einigen, kommt eine Tolerierung durch die Kommunisten und die SPD in Frage, oder vorgezogene Neuwahlen."
    Wobei mit der SPD in Tschechien keine Sozialdemokraten gemeint sind, sondern eine rechtsradikale populistische Partei.