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Partner oder Gegner - Blockiert die Atomkraft die erneuerbaren Energien?

Ob längere Laufzeiten für Atomkraftwerke den Ausbau der erneuerbaren Energien behindern oder nicht, ist genauso umstritten wie die Atomkraft selbst. Die Bundesregierung preist die Atomenergie immer wieder als Brückentechnologie ins Zeitalter der erneuerbaren Energien an.

Von Theo Geers | 14.09.2010
    Ökostromerzeuger wie Hermann Albers, Vizepräsident des Bundesverbandes erneuerbarer Energien und Präsident des Bundesverbandes Windenergie, fühlen sich dagegen durch den Laufzeitbeschluss ausgebremst:

    "Er setzt das Signal, dass man Wandel hin zu Erneuerbaren nicht mit vollem Tempo will. Das heißt, im Zweifelsfall muss man in Zukunft Windenergie abschalten, was die Versorger im Norden heute schon tun, anstatt konventionelle Kraftwerke abzuschalten, was wir ja wollen, wenn wir den Vorrang der erneuerbaren anerkennen."
    Immerhin hat dieser gesetzliche Vorrang für die Erneuerbaren den Ökostromanteil am Gesamtstromverbrauch in den vergangenen Jahren auf 16 Prozent steigen lassen. Und Hermann Albers verspricht noch mehr:

    "Wenn man uns ließe, würden wir aus den heute 16 Prozent Stromanteil aus erneuerbaren Energien einenAnstieg haben, der schon in zehn Jahren bedeuten würde, dass jede zweite Kilowattstunde aus erneuerbaren Quellen käme, also die Quote bei 50 Prozent läge."
    Das läge deutlich über dem Zielwert von 35 Prozent Ökostrom, den die Bundesregierung für 2020 anstrebt. Aber auch 35 Prozent wären mehr als eine Verdopplung gegenüber heute. Eine Blockade der Erneuerbaren ist zumindest auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Tatsächlich liegt die wahre Behinderung auch nicht bei der Atomenergie allein, erklärt der Geschäftsführer der Deutschen Energieagentur, Stephan Kohler:
    "Die Behinderung für den Ausbau der regenerativen Energiequellen sehe ich im andern Bereich, dass wir gar nicht so schnell, wie die regenerativen Energien zugebaut werden, zum Beispiel die Netzinfrastruktur anpassen und die Speichertechnologien. Da haben wir ein Problem."
    Und das Problem bleibt. Solange die Netze und Speicher nicht ausgebaut werden, solange konkurriert der Atomstrom in diesem nicht ausgebauten Netz mit dem Ökostrom um die knappen Leitungskapazitäten. Aktuell behindert der Atomstrom die Erneuerbaren also schon. Langfristig führt dagegen am Ökostrom kein Weg vorbei. Das haben auch die großen Energieversorger inzwischen verstanden. Sie, die den Ausbau der Erneuerbaren jahrelang belächelt und verschlafen haben, investieren jetzt selbst Milliarden, vor allem in die Windenergie. RWE will 2025 bei 30 Prozent Ökostrom liegen, Eon 2030 bei 36 Prozent, ähnlich das Bild bei EnbW:
    "Wenn ein Unternehmen, dessen Geschäft es ist, Strom zu erzeugen, mittel- bis langfristig in diesem Bereich noch Geschäft machen will, führt an Erneuerbaren kein Weg vorbei. Und dann ist es auch vollkommen klar, dass die konventionellen, aber auch die nuklearen Anlagen auf einer abschmelzenden Eisscholle stehen," sagt Stefan Thiele, der bei EnBW den Ausbau der erneuerbaren Energien verantwortet. Er fühlt sich nicht behindert, im Gegenteil: Seine Investitionspläne in den Ökostrom sind längst abgesegnet. Behindert durch das neue Energiekonzept mit den längeren Atomlaufzeiten fühlt sich dagegen Hermann Albers, der die kleineren Winderzeuger vertritt, die, die einst als Pioniere antraten und jetzt um ihren Stromabsatz aus den Windparks fürchten:
    "Für uns errechnet sich das eindeutig an den Zahlen, bei denen etwa die Stunden der Verfügbarkeit am Netz nicht etwa nach oben gehen, wie wir es technisch unterstreichen können, sondern die Zahl geht von 2300 auf 1600 zurück. Das heißt, man will uns offenbar abschalten."
    Und so steckt hinter dem Streit, ob die Atommeiler die Erneuerbaren behindern oder nicht, letztlich ein Verteilungskampf. Wer macht das Geschäft mit dem Ökostrom der Zukunft – die großen Stromkonzerne oder diejenigen, die die als David im Energiemarkt die Energiewende einst anstießen?