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Parzival und Ritter Lancelot im europäischen Theaterlabor

Der deutsche Schriftsteller und Dramatiker Tankred Dorst hat dem Merlin, dem Magier der Artus-Sage, 1981 ein ins 20. Jahrhundert geholtes Breitwand-Denkmal gesetzt. Nun kommt sein Stück "Merlin oder Das wüste Land" im Rahmen der RuhrTriennale in Bochum neu auf die Bühne. Der Regisseur Johan Simons hat den "Merlin"-Stoff mit Wagners "Parzifal"-Musik kombiniert.

Von Karin Fischer | 28.09.2007
    Wenn König Artus ins Spiel kommt, dekoriert Wim Opbrouck seinen Kollegen Louis van Beek mit einer grünen Abdeckplane. Der perfekte Königsmantel mit langer Schleppe, der auch schon mal Personal zudeckt, das gerade nicht gebraucht wird. Oder zum Wald wird, wenn es "in den Wald" geht. Artus verwandelt sich, wie praktisch, in den Ritter Lancelot, mit Hilfe einer Schweißermaske; Betty Schuurmans Kleid, sie spielt die Königin Ginevra, besteht aus blauen, gebauschten Müllsäcken, das restliche weibliche Personal trägt allerliebste rote Ohrenschützer statt mittelalterlicher Zopffrisuren.

    Der ungeliebte Sohn Mordred bekommt eine Rüstung aus Dämmmatten, Parzival einen Baseballhelm und einen riesigen Zementsack umgehängt. Der Tenor und Marthaler-Sänger Christoph Homberger, gleichzeitig musikalischer Leiter des Spektakels, spielt ihn als tumbes Riesenbaby, das eher hilflos als halbstark durch die Szene stolpert. Die besteht ausschließlich aus Baustellen-Zubehör, aus dem Wim Opbrouck als Merlin sich die Fantasiegestalten der Legende um König Artus zusammenbastelt. Er ist der Capo der Baustelle, "ein Künstler", wie Johan Simons sagt, sein Zauberstab ist der gelbe Farbeimer, mit ein paar Pinselstrichen werden Figuren bezeichnet, wird eine Welt erschaffen. Zusammen mit der Musik entwickelt das einen ganz eigenen Charme, so Simons:

    "Jan Czaijkowski hat Richard Wagners 'Parzifal'-Themen für zwei Flügel, mehrere Syntheziser und Hammondorgel umarrangiert. Wagners Musik, getragen von den zwei Sopranistinnen Lenka Brazdilikova und Priske Dehandschutter, klingt ohne Orchester mal feengleich filigran, mal marthalerisch verträumt, vor allem wenn das Ensemble einsetzt, wirkt aber immer auch angeschrägt und damit kommentierend."

    Johan Simons huldigt mit all dem einem fröhlichen Relativismus, der fast schon sein Markenzeichen geworden ist. Er zeigt immer die Bühnenmittel her, erklärt Theater als gemacht; der Schauspieler fungiert als Handwerker, der dem Zuschauer die Wahl der eigenen Perspektive überlässt. Auch wenn hier, umgekehrt, der Handwerker zum Künstler wird: Gewalt, Liebe, Erkenntnis, Mord geschehen nicht wirklich, sondern sind in Merlins Erzählung aufgehoben, so dass auf einer zweiten Ebene auch die Rolle des Künstlers neu gewichtet wird.

    Simons destilliert aus dem Dorstschen Figurenkosmos die Vater-Sohn-Geschichte heraus, mit der Frage, wie Schuld in die Welt kommt und wer wann Verantwortung übernehmen muss. Ein Schlüsselsatz zu Beginn: Als der Teufel, Merlins Vater, ihn zum Werkzeug macht, die Menschen "zum Bösen zu verführen", sagt Merlin: "Ich bin ein Mensch. Ich kann mich wehren." Ein anderer Schlüsselsatz am Ende, von Artus: "Ich folge der Geschichte, die mir aufgezwungen wird!"

    Was sich zwischen diesen beiden klug gedachten Polen auf der Bühne abspielt, ist kein schlüssiges Drama, sondern ein Torso, eine Studie über menschliche Hybris und Hilflosigkeit, ein schöner Versuch auch, die neue Unübersichtlichkeit der Welt in einfache Theatersprache zu übersetzen. Ein letztlich doch mehr intellektuelles denn theatralisches Vergnügen. Dass dabei Tankred Dorsts "Merlin"-Buch geschreddert wurde, kann man bedauern.

    Dass die Gefühlswerte des Dramas dabei vollständig - freilich wieder nur gebrochen - an die Musik delegiert werden, spiegelt allerdings den Skeptizismus der Erzählung aufs Genaueste wider. So erweist sich Johan Simons einmal mehr als geschickter Plastinator im europäischen Theaterlabor, zu dem die RuhrTriennale geworden ist. Er weiß: die Frage nach Gut und Böse ist heute, wie vor 30 Jahren, nicht zu beantworten. Sie den Figuren aus dem Mythos und der Literatur wieder anders neu gestellt zu haben, das zumindest ist ihm gelungen.