Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Pascal Dusapins "Faustus, the last night"

Pascal Dusapin zählt heute zu den bedeutendsten und meistgespielten zeitgenössischen Komponisten Frankreichs. Nun hat er für seine neue Oper "Faustus, the Last Night" einen deutschen Stoff gewählt. Die Uraufführung war an der Berliner Staatsoper unter den Linden; Michael Boder war am Pult der Staatskapelle Berlin, Regie führte Peter Mussbach. Gestellt wurden die großen Fragen nach Raum und Zeit, nach Anfang und Ende der Welt, Glaube und Identität.

Von Georg-Friedrich Kühn | 22.01.2006
    Der Mann ist am Ende. Mit seinem Kompagnon Mephistopheles zieht er um die Häuser. Oder genauer: balanciert auf der Uhr, die das Künstlerduo Elmgreen & Dragset als Bühnenbild gebaut haben, und die läuft unbarmherzig ab, auch wenn die Beteiligten noch die Stundenanzeiger ausbauen wollen.

    Viel Beckett’sches hat der Komponist Pascal Dusapin seiner Faust-Figur mitgegeben. Faustus nennt er sie mit Christopher Marlowe, auf dessen Text er sich vor allem stützt. Den Goetheschen wollte er vermeiden.

    "Faust ist, so der 1955 in Nancy Geborene, eine Metapher. Er habe nicht was Neues über Faust sagen wollen, sagt er. Zumal in Deutschland wäre das ja absurd. Faust ist eine Allegorie, eine Parabel über den Menschen und die Macht, die Besessenheit von der Macht, vom Licht. Es könnte ein Diktator, ein Terrorist, ein Präsident sein. Es gibt viele Beispiele. Faust weiß, dass es nicht mehr weiter geht. Sein Gedächtnis ist zerstört. Er kann sich an nichts erinnern, er vergisst wer er ist, kann sich nur immer wiederholen."

    Dusapins Musik scheint eher statisch, lauernd wie ein Tiger. Langgezogene Akkorde wechseln mit kurzen explosionsartigen Ausbrüchen. Zumal wenn der Engel ins Spiel kommt. Passagen des Faustus und Mephistopheles sind oft spiegelbildlich angeordnet und in der Figur des Togod komprimiert.

    Mit Sly, dem Herumtreiber aus dem Prolog zu Shakespeares "Der Widerspenstigen Zähmung", führt Dusapin einen Narren ein ins Spiel, seine Lieblingsfigur.

    "Es ist so eine Figur außerhalb, angetrunken, ein Obdachloser, ein Philosoph. Er weiß. Er spielt mit dem Leben. Deswegen beendet er das Spiel."

    Regisseur Peter Mussbach zeigt diesen Faustus und seinen mit dem Bartleby Herman Melvilles achselzuckenden "Ich würde lieber nicht"-Mephistopheles als eine "alte" Beziehung. Wie Pat und Patachon, Herr und Knecht kleben sie aneinander. Sly lässt das symbiotische Paar am Ende wie einen Luftballon platzen.

    Mussbach: " Es geht ja um die letzten Dinge, um die Überwindung der Schwerkraft. Faust versucht ja immer wieder abzuheben und die innere Jakobsleiter hoch zu steigen. Also ich glaube, wir leben in einer Zeit, wo es nicht so wichtig ist, vorschnell Antworten zu finden sondern die richtigen Fragen zu stellen und sie im Raum stehen zu lassen. "
    Mit Georg Nigl als geschmeidigem Faust und Hanno Müller-Brachmann als müdem Mefisto hat Mussbach ein hervorragend aufeinander abgestimmtes Protagonistenpaar. Michael Boder am Pult der Staatskapelle disponiert sicher die Klangarchitektur.

    Mussbachs szenischer Minimalismus lässt die Spannungskurve zwar gelegentlich auch sinken. Einhellig dennoch der Beifall am Ende für das knapp 90-minütige Stück. Es ist ein Auftragswerk der Staatsoper Berlin und der National-Oper von Lyon.

    Gesungen wird durchweg in Englisch. Gezeigt werden soll Dusapins fünftes Werk fürs Musiktheater auch in Paris.