Freitag, 29. März 2024

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Pater Anselm Grün zu Quarantäne
"Eine Schweigezeit ist eine gute Empfehlung"

In der Coronakrise werde das Verhältnis von Nähe und Distanz zwischen Menschen neu geregelt, sagte Pater Anselm Grün, Benediktiner und Autor, im Dlf. Er appelliert daran, sich Nischen und Schweigezeiten zu schaffen – auch, um sich selbst besser kennenlernen zu können.

Pater Anselm im Gespräch mit Stefan Heinlein | 02.04.2020
Anselm Grün hat eine Halbglatz, trägt das weiße Haar schulterlang und hat einen langen Vollbart. Er hat die Hände vor det Brust mit den Handflächen nach unten.
Pater Anselm Grün hat ein Buch über Quarantäne geschrieben (Picture Alliance / Ulrich Baumgarten)
Homeoffice, Zuhause bleiben, möglichst wenig soziale Kontakte – Selbstisolation und Quarantäne sind in diesen Tagen ein wichtiges Thema, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Doch viele Menschen leiden unter den Einschränkungen, manche fühlen sich einsam und auch Depressionen könne eine Folge sein. Aber auch Streit durch viel Nähe kann eine Folge sein.
Der Benediktiner-Mönch Pater Anselm Grün hat ein Buch geschrieben mit dem Titel: "Quarantäne! Eine Gebrauchsanweisung" - darin beschreibt er, wie ein friedliches Miteinander gelingen kann.
Coronavirus
Alle Beiträge zum Thema Coronavirus (imago / Science Photo Library)
Das Interview in voller Länge:
Stefan Heinlein: Pater Grün, Sie sind der erfolgreichste christliche Buchautor in Deutschland: 300 Bücher mit einer Auflage von über 20 Millionen Exemplaren. Ihr aktuelles Werk trägt den Titel "Quarantäne! Eine Gebrauchsanweisung". Wie haben Sie es geschafft, Pater Grün, so schnell ein Buch zur Corona-Krise zu schreiben?
Grün: Ich habe mit dem Herrn Biallowons vom Herder-Verlag ein längeres Gespräch gehabt und dann haben wir innerhalb von vier Tagen dieses Gespräch verschriftlicht und dann gegenseitig immer wieder ergänzt. Ja, dann waren wir wirklich nach vier Tagen fertig. Die Corona-Krise hat ja auch den Vorteil, dass wir jetzt mehr Zeit haben.
"Irgendwelche Nischen schaffen"
Heinlein: Ihr Buch trägt den Untertitel "So gelingt friedliches Zusammenleben zuhause". Was können denn Familien von Ihnen und Ihrem Orden, den Benediktinern lernen?
Grün: Das eine ist, dass das Verhältnis von Nähe und Distanz neu geregelt wird. Durch dieses eng aufeinander sitzen ist es ja gestört worden. Wenn man immer zu eng beieinander ist, dann entstehen Aggressionen, und wie gehe ich mit diesen Aggressionen gut um. Wenn ich sie auslebe, dann gibt es Streit und neue Probleme. Die Aggressionen sind immer ein Zeichen, ich brauche jetzt auch Zeit für mich. Entweder ich gehe mal allein spazieren, oder dass wir in der Wohnung irgendwelche Nischen schaffen, dass wir das Gefühl haben, da bin ich mal für mich allein, da werde ich nicht gestört.
Leere Einkaufsstraßen in Kaiserslautern, verwaiste Innenstadt
Kontaktsperre - wie lange müssen wir durchhalten?Schulen, Kitas, Restaurants und viele Geschäfte sind zu. Das öffentliche Leben in Deutschland ist stark eingeschränkt. Aber wie lange noch? Epidemiologen sagen, die Zahlen müssen soweit sinken, dass jeder neuen Infektion nachgegangen werden kann.
Heinlein: Eine eigene Nische schaffen, Pater Grün, das mag ja in einem schönen Reihenendhaus mit Garten möglich sein, aber nicht in der engen Zwei-Zimmer-Wohnung im achten Stock ohne Balkon.
Grün: In der engen Zwei-Zimmer-Wohnung könnte man sich einigen, mal eine Stunde Schweigezeit zu machen, wo keiner gestört wird, wo ich vielleicht im gleichen Zimmer bin, aber trotzdem wo ich weiß, ich bin für mich, ich werde nicht gestört, ich kann allein das tun, was ich jetzt möchte. Das kann man auch schaffen in der engen Wohnung. Natürlich ist das nicht so leicht, aber so eine Schweigezeit wäre sicher eine gute Empfehlung.
"Wir sind oft auf der Flucht vor uns selber"
Heinlein: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Ist das so einfach?
Grün: Nicht so einfach. Im Schweigen werde ich erst mal mit mir konfrontiert und da tauchen vielleicht auch Gefühle auf, stimmt mein Leben überhaupt, oder werden wir vorbeigelebt, oder meine ganzen Sehnsüchte kommen auf. Aber wichtig ist, sich der eigenen Wahrheit zu stellen und mit Neugier in sich selber hineinzuschauen, wer bin ich eigentlich. Wir sind oft auf der Flucht vor uns selber in tausend Aktivitäten und sich mal selber auszuhalten, fällt manchen nicht leicht. Aber wenn ich mit Neugier daran gehe und mit dem Gefühl, es darf alles sein, ich muss da keine Angst haben vor irgendwas, was da auftaucht, sondern ich möchte mich selber kennenlernen und zugleich wissen, dass ich bedingungslos auch angenommen bin, von Gott angenommen bin, und dass ich so sein darf wie ich bin, dann ist das ein guter Weg.
Heinlein: Kann man diese Quarantäne, diese soziale Isolation auch als eine Chance begreifen für Entschleunigung in unserer immer hektisch werdenden Welt?
Grün: Für Entschleunigung und auch für die Fähigkeit, wirklich zur Ruhe zu kommen. Aber Ruhe finde ich nur, wenn ich mich auch ehrlich anschauen kann und wenn ich nicht ständig was verdrängen muss.
"Der Mensch ist einfach ein soziales Wesen"
Heinlein: Gerade viele ältere Menschen, Pater Grün, leiden ja dennoch unter dieser sozialen Isolation. Es gibt keine Treffen mit der Familie gerade jetzt zu Ostern, mit den Nachbarn und Freunden. Selbst Gottesdienste sind ja jetzt abgesagt, an Karfreitag, an Ostersonntag, die großen Messen. Wie lange hält ein Mensch das denn aus in der Einsamkeit, in der sozialen Isolation?
Grün: Es ist sicher eine Herausforderung für die alten Menschen. Auf der einen Seite sollen die natürlich auch die neuen Medien, Telefon, Handy und so weiter, nutzen, um trotzdem in Verbindung zu sein mit Menschen. Der Mensch ist einfach ein soziales Wesen. Auf der anderen Seite gehört allein sein, Einsamkeit auch ein Stück zu jedem Menschen. Peter Schellenbaum, ein Psychologe, meint, die Kunst besteht darin, das allein sein in ein all eins sein zu verwandeln, zu spüren, ja, ich bin allein, aber mit mir sind ja auch ganz viele Menschen allein, und wenn ich in der Tiefe meiner Seele, auf dem Grund meiner Seele spüre, ich bin eins mit all diesen Menschen, dann fühle ich mich nicht vereinsamt und isoliert, sondern ich spüre Dazugehörigkeit, eins mit der Schöpfung zu sein, eins mit den Menschen zu sein, auch eins mit der Familie zu sein, die ich jetzt nicht sehen kann. Dann kann ich die Einsamkeit auch ein Stück aushalten.
Heinlein: Ein Appell zur Rückbesinnung, Pater Grün. Könnte sich unsere Gesellschaft insgesamt vielleicht durch diese Krise in manchen Dingen auch verändern? Werden Dinge anders gewichtet? Könnte sich unsere Werteskala am Ende dieser Krise – sie könnte jetzt noch Wochen und Monate dauern – verändern?
Grün: Ich hoffe. Natürlich: In der Krise tauchen verschiedene Seiten des Menschen auf: Auf der einen Seite Solidarität, auf der anderen Seite natürlich auch ein Egoismus, dass man nur um sich selber kreist, oder auch die Gefahr, die Verlangsamung kann eine Chance sein, diese ständige Beschleunigung zu verlangsamen. Aber wenn ich jetzt nur noch langsam bin und dahin trödele, dann ist das auch nicht unbedingt sinnvoll. Ich hoffe, dass diese Krise eine neue Nachdenklichkeit auch erzeugt in den Menschen, dass sie spüren, wir können nicht alle so planen, wie wir wollen, wir sind auch Gefahren von außen ausgesetzt, Gefahren durch Krankheit, Gefahren durch solche Seuchen, durch solche Krisen. Wir spüren, das Leben wird brüchiger, und wir müssen uns auf das Wesentliche besinnen und auch auf die neue Solidarität. Es spüren ja diese Krise fast alle Menschen. Wir sind alle davon betroffen. Es bräuchte auch eine neue Solidarität untereinander, um mit solchen Krisen gut umzugehen.
"Häusliche Gewalt nimmt zu in dieser Quarantänen-Zeit"
Heinlein: Stichwort Solidarität. Was sagt das umgekehrt über den Menschen, unsere Gesellschaft, wenn es jetzt Hamsterkäufe gibt oder sogar, wie berichtet wird, Schlägereien um Toilettenpapier?
Grün: Hamsterkäufe sind das negative Beispiel von Angst und Angst nur um sich selber, um die eigene Zukunft. Dann teilt man das Leben nicht mehr. Auf der anderen Seite gibt es auch Gott sei Dank die guten Beispiele, dass junge Leute für alte Leute einkaufen und für sie sorgen. Es ist beides. Die Krise macht offen, was im Menschen ist. Aber ich hoffe, was Sie angesprochen haben, die Hamsterkäufe zeigen, so kann es auf Dauer auch nicht gehen. Vielleicht spüren wir, wir brauchen eine neue Solidarität.
Heinlein: Zeigen die Menschen, Pater Grün, in der Krise tatsächlich ihr wahres Gesicht, das Gute, das Lächeln, aber auch umgekehrt die hässliche Fratze?
Grün: Ja, natürlich. Wenn ich mich selber aushalten muss, dann lerne ich alles kennen. Dann lerne ich meine Aggressionen kennen, meinen Neid, meine Eifersucht, meine Unzufriedenheit. Sich dieser Wahrheit zu stellen und zu sagen, ja, das bin ich auch, und wie kann ich mich damit aussöhnen - wenn ich mich mit meiner Aggression aussöhne, dann muss ich sie nicht nach außen ausagieren. Das ist ja heute auch eine Gefahr, die häusliche Gewalt nimmt zu in dieser Quarantänen-Zeit, weil Menschen nicht wissen, wie sie gut mit ihrer Aggression umgehen. Aggression ist eigentlich das Zeichen, ich brauche jetzt Zeit für mich, ich muss mich besser abgrenzen und nicht die Aggression ausagieren, weil dann gibt es nur Streit und Gewalt.
"Ich schütze mich, um andere zu schützen"
Heinlein: Pater Grün, was sagen Sie Menschen, die jetzt in der Krise an Verschwörungstheorien glauben oder von Corona gar als einer Strafe Gottes sprechen?
Grün: Wir sind immer geneigt, irgendwelche Ursachen zu finden und genau zu wissen, woher das kommt. Verschwörungstheorien – die einen sagen, die Amerikaner wären schuld; die anderen sagen, die Chinesen schicken den Virus nach Amerika, um die Wirtschaft zu schwächen. Das sind typische Verschwörungstheorien, die natürlich zunächst Neugier wecken. Aber wir sollten uns davor schützen. Genauso wenig hilft diese Aussage, Gott hat uns gestraft dafür. Gott ist kein strafender Gott, sondern die Krise soll uns Menschen nachdenklich machen, wo haben wir unser Maß überzogen, wo kann diese Globalisierung auch zur Gefahr werden, wo gehen wir gut um mit dieser Globalisierung. Das ist eine Herausforderung an uns, aber wir sollen es nicht anderen in die Schuhe schieben. Die einen schieben es Gott in die Schuhe und die anderen irgendwelchen Verschwörungstheorien.
Heinlein: Führt die Krise, Pater Grün, vielleicht dazu, dass die Menschen sich jetzt wieder stärker auf ihren Glauben besinnen oder ihn vielleicht wiederentdecken? Könnte es auch eine Renaissance werden für die christlichen Kirchen?
Grün: Ich hoffe schon, dass viele auch spüren, ich kann die Krise besser bewältigen, wenn ich mich getragen fühle, wenn ich nicht allein bin, sondern wenn ich vertraue, dass ich vom Segen Gottes gleichsam eingehüllt werde wie mit dem schützenden Mantel. Dann bin ich nicht fixiert auf die Angst, werde ich jetzt angesteckt oder nicht. Ich schütze mich, um andere zu schützen, aber ich vertraue auch auf Gott, dass er mich schützt, und ich weiß, alles Menschliche ist auch relativ, unser Leben hat auch ein Ziel, das über das Menschliche hinausgeht, dass wir von Gott getragen sind, und auch im Tod, dass der Tod nicht einfach Ende ist und wir abreisen, sondern letztlich Vollendung, dass unsere tiefe Sehnsucht erfüllt wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.