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Patient Griechenland

Wer in Griechenland beruflich vorankommen will, schafft dies nur über Geld und Beziehungen, so heißt es. Doch nicht nur beruflich hilft dies, mitunter sind Reichtum und gute Kontakte auch unerläßlich für das körperliche Wohl. Denn auch im Gesundheitswesen geht nichts ohne den "fakilaki", den berühmten Umschlag Geld.

Von Gunnar Köhne | 19.01.2010
    Wie vermutlich die meisten Menschen betritt auch Athanasia Papanikulou nicht gern ein Krankenhaus. Bei der 53-jährigen Athenerin ist es aber nicht die Sorge um die eigene Gesundheit, die sie beim Anblick von Ärzten in weißen Kitteln erschrecken lässt, sondern es ist die Sorge um die eigene Geldbörse. Zuletzt erlebte die Angestellte dieses unangenehme Gefühl vor zwei Jahren:
    "Ich musste mich einer gynäkologischen Operation unterziehen und ging dafür in ein großes staatliches Krankenhaus, das sich darauf spezialisiert hat. Dort wurde mir zunächst gesagt: Wir können Sie leider erst in zwei Monaten operieren. So lange zu warten wäre aber gefährlich gewesen. Ich gab dem Arzt daraufhin 500 Euro - und wurde dann schon am nächsten Tag operiert."
    500 Euro - das ist mehr als ein Drittel des monatlichen Einkommens der Angestellten Papanikulou. Dennoch, sagt sie, sei das noch vergleichsweise billig gewesen. Die Hüftoperation ihres Vaters habe 2000 Euro extra gekostet. Das Gesundheitssystem ist nur ein Bereich des griechischen öffentlichen Dienstes, in dem fast nichts mehr ohne "fakilaki", den berühmten Umschlag Geld zu bekommen ist. Nun hat die sozialistische Regierung angekündigt, im Zuge der Finanzreformen auch die allgegenwärtige Korruption zu bekämpfen. Denn sie beschädigt den Zusammenhalt im Land. Ein paar Geldscheine verhelfen nicht nur zu einer zügigen Behandlung beim Arzt. Wer in Griechenland beruflich vorankommen will, schafft dies nur über Geld und Beziehungen.

    Im Falle der Ärzte im öffentlichen Dienst lehnt Finanzminister Yiorgos Papakonstantinou eine Gehaltserhöhung als Gegenmittel strikt ab. Und das nicht nur, weil er dafür ohnehin keinen Euro übrig hätte:
    "Das Problem der Zahlungen unter dem Tisch lässt sich nicht beseitigen, indem man die Gehälter der Ärzte erhöht. Das wäre ein falsches Signal. Dagegen hilft nur strengste Kontrolle, und dass man ganz klar macht: Es wird in Zukunft nicht mehr toleriert werden, wenn für Dienstleistungen klassiert wird, die eigentlich gratis sein sollten."
    Doch das haben schon die Vorgängerregierungen versprochen - ohne dass sich an der Praxis der "fakilaki" etwas geändert hätte, sagt ein junger Mann vor dem Eingang zu einem öffentlichen Krankenhaus im Athener Stadtteil Neo Faliro:
    "Die versprechen alle dasselbe. Aber am Ende musst du doch wieder einen Umschlag übergeben, weil es ja um deine Gesundheit geht. Sonst behandeln sie dich nicht."
    Yiorgos Koutras ist einer der wenigen Ärzte, die bereit sind, offen über das Abkassieren im Gesundheitssektor zu sprechen. Der 32-jährige Gynäkologe arbeitet tagsüber in einer staatlichen Klinik, abends empfängt er Privatpatientinnen in einer vornehmen Innenstadtpraxis. Sein Gehalt reiche eben nicht für ihn und seine Familie. Er selber beteuert nie Schmiergeld angenommen zu haben, aber er könne verstehen, wenn manche seiner Kollegen der Versuchung nicht widerstehen könnten:
    "Die sagen sich: Ich arbeite bis zum Umfallen, habe eine lange Ausbildung hinter mir und verdiene gerade einmal 1100 Euro. Wie soll ich meine Familie ernähren? Wenn mich der Staat nicht angemessen bezahlt, dann suche ich eben nach anderen Wegen mein Einkommen zu verbessern."
    Die Regierung geißelt die Korruption im Gesundheitswesen nicht bloß als unethisch - durch die Schwarzgelder im öffentlichen Sektor entgehen dem Staat hunderte Millionen Euro an Steuergeldern. Kürzlich wurde bekannt, dass gerade einmal 16.000 Bürger ein Steuereinkommen von mehr als 100.000 Euro angegeben hätten. Da gäbe es im Hafen von Piräus ja mehr Luxusjachten, spotten Kritiker. Und viele dieser Jachten gehören Ärzten, davon ist das Korruptionsopfer Athanasia Papanikilou überzeugt. Sie hofft, den Abkassierern unter ihnen nicht so schnell wieder begegnen zu müssen:
    "Jeden Tag denke ich: Gott sei dank, ich bin gesund und meine Familie auch. Denn wir wissen ja: Wenn uns etwa Ernstes zustößt, könnte uns das finanziell ruinieren."