Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Patientenberatung
"In einem Call-Center geht es zu wie am Fließband"

Bayerns Patientenbeauftragter Hermann Imhof hält es für falsch, die unabhängige Patientenberatung künftig in die Hände einer privaten Firma zu geben. Bislang tragen drei gemeinnützige Organisationen die Beratungsstellen. Das gewährleiste Unabhängigkeit, Neutralität, Dezentralität und persönlichen Charakter, betonte Imhof im DLF.

Hermann Imhof im Gespräch mit Jule Reimer | 17.07.2015
    Eine Patientin wird in der Praxis eines Hausarztes (r) vor einer Reise ins Ausland von der Sprechstundenhilfe geimpft.
    Nicht alle Behandlungen werden von der Kasse übernommen. Wer Zweifel hat, ob die Kasse im Recht ist, kann sich beraten lassen. (picture alliance / dpaweb / Klaus Rose)
    Jule Reimer: Wenn Ihre Krankenkasse die Übernahme bestimmter Kosten ablehnt, dann können Sie sich an anderer Stelle beraten lassen, ob dies rechtens ist. Eine solche unabhängige Beratungsstelle schreibt sogar das Gesetz vor. Über Deutschland verstreut gibt es derzeit 21 Büros, in denen dies für Bürgerinnen und Bürger entweder im persönlichen direkten Gespräch oder am Telefon zu gesundheitlichen und gesundheitsrechtlichen Fragen möglich ist. Diese unabhängige Patientenberatung, kurz UPD genannt, wird derzeit noch von den drei gemeinnützigen Organisationen Sozialverband VDK Deutschland, dem Bundesverband der Verbraucherzentralen und vom Verbund unabhängige Patientenberatung getragen. Doch jetzt wurde diese Dienstleistung neu ausgeschrieben und ein anderes Unternehmen soll die Beratung ab 2016 übernehmen. Verbraucherschützer und viele Patientenbeauftragte laufen Sturm gegen die Entscheidung, die in den nächsten Tagen richtig besiegelt werden soll. Zu den Kritikern gehört auch Hermann Imhof, CSU und hochoffizieller Patientenbeauftragter der bayerischen Staatsregierung. Herr Imhof, wie beurteilen Sie denn die Arbeit der bisherigen Patientenberatung, der UPD?
    Hermann Imhof: Hier in Bayern sind es drei Beratungsstellen, nämlich in München, in Nürnberg und – ja, wo ist die dritte gleich angesiedelt? – in Landshut. Es sind drei, und natürlich kann ich über Bayern hinaus jetzt nicht exakte Details benennen. Die drei in Bayern arbeiten ganz ausgezeichnet interdisziplinär als Juristen, Ärzte, Pädagogen, die ganzheitlich die Anfragen der Menschen angehen. Und es ist mir ein sehr wichtiges Anliegen, dass es in dieser Form auch weitergehen kann, ja, weitergehen muss im Sinne der Patienten und ihrer Rechte.
    Reimer: Es gab ja in der Vergangenheit allerdings auch die Kritik, dass die UPD telefonisch zum Beispiel nicht einfach zu erreichen gewesen sei. Dieses noch nicht ganz offiziell benannte, neu auserkorene Unternehmen, das ab 2016 ran soll, wird die Patientenberatung als Callcenter durchführen. Ist das möglicherweise die bessere Beratungsform?
    Imhof: Also da bin ich sehr überzeugt, dass es die verkehrte Art und Weise wäre, wenn wir diese Frage der höchsten Qualität und der Patientenrechte miteinander bemessen. Denn die jetzige Beratung gewährleistet eine Unabhängigkeit, eine Neutralität, eine Dezentralität und eben den persönlichen Charakter. Das kann ich mir bei einem Callcenter in keiner Weise vorstellen. Da geht es eher zu wie am Fließband. Wir alle haben ja diese Erfahrungen, Fließbandarbeit, schnelle Abfertigung, und es wird den Menschen, auch den älteren Menschen mit ihren Einschränkungen und Behinderungen in keiner Weise gerecht. Eine tiefe Sorge, dass die Qualität wirklich darunter leiden würde.
    Imhof: Nähe zur Kasse und zu Pharmaunternehmen fragwürdig
    Reimer: Wobei 21 Stellen bundesweit heißt jetzt nicht, dass jeder einfach Zugang zu so einer Beratungsstelle hätte vor Ort.
    Imhof: Es gibt ja verschiedene Arten und Weisen des Zugangs, des telefonischen, des schriftlichen auch bei Online natürlich für viele jüngere Patienten, aber eben auch das persönliche Gespräch. Und meines Erachtens müsste es eher in die Richtung gehen, diese Beratungsbüros mit ihren Mitarbeitern sukzessive – natürlich geht es nicht auf einmal, das ist mir realistisch klar – auszubauen. Und die neun Millionen, die jetzt zur Verfügung stehen, neun Millionen pro Jahr für 21 Beratungsstellen in sieben Jahren 63 Millionen, da lässt sich meines Erachtens sehr gute, sehr qualifizierte Arbeit in Beratungsstellen leisten.
    Reimer: Die neue Firma ist nicht gemeinnützig, und sie arbeitet zum Beispiel wohl auch für Pharmaunternehmen. Halten Sie das mit dem Auftrag für vereinbar?
    Imhof: Das halte ich für mit dem Auftrag nicht vereinbar. Genau da kommt der Punkt der Frage der Abhängigkeit. Und wenn ich die Nähe zur Kasse sehe und die Nähe zu Pharmafirmen sehe dieser Firma, der der Auftrag übertragen werden soll, halte ich das eher für sehr, sehr fragwürdig, denn die Firma Sanvartis, die soll ja den Auftrag bekommen, arbeitet ja im Gesundheitswesen auch, ich sage, erwerbswirtschaftlich. Auch dort die Frage der Unabhängigkeit immer wieder, die sich mir aufdrängt.
    Reimer: Diese neue Duisburger Firma wurde vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen im Einvernehmen mit dem Patientenbeauftragten der Bundesregierung, dem Staatssekretär Laumann ausgesucht. Es kursiert allerdings auch das Gerücht, die UPD sei zu kritisch mit den gesetzlichen Krankenkassen ins Gericht gegangen. Halten Sie davon was?
    Imhof: Ich kann mir vorstellen, dass Menschen, die häufig zivilgesellschaftlich tätig sind, in unserem Gesundheitswesen unbedingt konstruktiv kritisch mit den Trägern der Sozialversicherung umgehen, konstruktiv kritisch, so kenne ich auch diese Stellen. So gehen sie um. Das wünsche ich mir, das hat was mit der Selbstbestimmtheit der Gruppe zu tun, die sie vertreten. Und ich wünschte mir, dieses auch Unbequeme, den Umgang mit den Kassen, die manchmal – manchmal erscheinen mir Akteure zu angepasst.
    Reimer: Das war Hermann Imhof, bayerischer Patientenbeauftragter, zur Neuvergabe der Patientenberatung. Vielen Dank für das Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.