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Patientenversorgung im Krankenhaus
Zwischen Fürsorge und Wirtschaftlichkeit

Patienten berichten von unfreundlichem, extrem gestresstem und ermüdetem Pflegepersonal. Aber auch die Ärzte leiden unter immer mehr Aufgaben und Unterbesetzung. Der Grund für diese Negativ-Veränderungen in deutschen Krankenhäusern ist ein drastisches Sparkonzept: das sogenannte Fallpauschalen-System.

Von Astrid Springer | 07.10.2015
    Zwei Hände an der Griff-Hilfe eines Krankenhausbetts.
    "Fallpauschale" bedeutet: Einer bestimmten Krankheit werden bestimmte Kosten und eine festgelegte Liegezeit im Krankenhaus zugeordnet. Darüber hinaus gehende Kosten müssen die Kliniken selbst erwirtschaften. (imago/Gerhard Leber)
    Ilse Behrens hat buchstäblich am eigenen Leib erfahren, dass sich in letzter Zeit an der Versorgung im Krankenhaus etwas verändert hat. Sie war im Abstand von wenigen Jahren in ein und derselben Klinik und ist dort von einer Krankenschwester versorgt worden, die sie schon von früheren Aufenthalten kannte:
    "Sie war immer sehr freundlich, sehr effektiv arbeitend, aber doch sehr zugewandt und freundlich gewesen, und mit ihr war in dieser kurzen Zeit in wenigen Jahren eine negative Veränderung vorgegangen. Es war zu merken, dass sie überlastet war und zwar so sehr, dass sie auch persönlich unleidlich und unfreundlich wurde und nicht mehr zum Nutzen der Patienten, so wie ich es kannte, arbeiten konnte."
    Die Veränderungen betreffen nicht nur das Verhältnis zwischen Pflegepersonal und Patienten, sondern auch das Betriebsklima auf der Station. Cornelia Bechthold arbeitet seit fast 40 Jahren als Krankenschwester im Krankenhaus und hat die Folgen der Gesundheitsreformen alle miterlebt.
    "Wenn ich so zurückdenke, so in die 80er-, 90er-Jahre, war mehr Teamgeist da, es war mehr Personal da, die Kolleginnen waren besser ausgebildet, haben Krankheitsveränderungen am Patienten auch auf den Stationen wahrgenommen und konnten auch handeln und reagieren. Das bleibt heute alles so ein bisschen auf der Strecke, sage ich mal, weil einfach die Zeit fehlt."
    Der Grund für diese Veränderungen ist ein drastisches Sparkonzept, das der Gesetzgeber den Krankenhäusern verordnet hat. Seit 2004 gilt nämlich das sogenannte "Fallpauschalen-System". Die Idee dazu kommt ursprünglich aus den USA und orientiert sich heute an der in Australien weiter entwickelten Praxis. Die gängige Abkürzung lautet: "DRG". Sie steht für "Diagnosis Related Group" - also: "Diagnose-bezogene Fallgruppe".
    "Fallpauschale" bedeutet: Einer bestimmten Krankheit werden bestimmte Kosten und eine festgelegte Liegezeit im Krankenhaus zugeordnet. Darüber hinaus gehende Kosten müssen die Kliniken selbst erwirtschaften. Schwer kranke Menschen mit längeren Liegezeiten werden zum Kostenrisiko, denn sie belasten den Etat.
    Arzt: "Wir legen jetzt bei Ihnen drauf"
    Der Krebspatient Horst Baumann hat sich, noch bevor er operiert wurde, vom Stationsarzt sagen lassen müssen:
    "'Wir legen jetzt bei Ihnen drauf'. Da habe ich gesagt: 'Wieso legen Sie drauf?' Ich wusste das gar nicht mit den Fallpauschalen. Da hat der mir das erklärt: 'Wir kriegen für Sie von der Krankenkasse nur so und so viele Tage bezahlt, und wenn Sie länger im Krankenhaus sind, dann legt das Krankenhaus praktisch drauf, weil es keiner bezahlt.'"
    Bis Ende der 90er war das ganz anders: Es galt das sogenannte "Selbstkostendeckungsprinzip" - und das bedeutete, dass die gesamten Kosten für Personal und medizinische Behandlung im Krankenhaus von den Krankenkassen übernommen wurden. Die Krankenhäuser ihrerseits rechneten mit Tagespflegesätzen ab. Reichte das Geld nicht, dann wurden die Pflegesätze eben erhöht.
    Dieses Verfahren wurde zu teuer und ist deshalb abgeschafft worden. Doch das neue System, allein nach Fallpauschalen abzurechnen, reicht nicht aus, um die Krankenhauskosten zu decken. Am meisten Geld lässt sich bei den Pflegekräften sparen. Personalkosten machen nämlich 60 Prozent der Krankenhauskosten aus - bei einem Gesamtbudget von 60 Milliarden Euro und insgesamt 1,2 Millionen Beschäftigten.
    Schwester Cornelias Arbeitsplatz hat das stark verändert:
    "Also richtige, examinierte Schwestern auf den Stationen findet man vielleicht ein, zwei, drei. Das ist zu wenig, wenn du eine 40-Betten-Station hast. Das andere sind - nichts gegen die Kollegen! - das sind Pflegehilfskräfte; ... aber auch da geht es wieder ums "billig"."

    Die Schwestern müssen auf den Stationen nicht nur in Unterbesetzung arbeiten - sie haben auch neue, zusätzliche Aufgaben bekommen:
    Ein Krankenpfleger in einem deutschen Krankenhaus
    Ein Krankenpfleger in einem deutschen Krankenhaus (imago stock&people)
    "Was sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, ist eben das Gestalten und das Führen von den Pflegeberichten. Da geht sehr viel Zeit verloren, die man ja eigentlich hätte auch am Patienten verbringen können."
    Die Eile, verursacht durch zu wenig Personal, bringt Risiken mit sich:
    "Wenn wir mehr Personal hätten, wäre die Hygiene auch besser durchzuführen. Das heißt nicht, dass wir es nicht tun, wir halten auch heute Hygiene, aber klar, wenn du immer unter Druck und Hetze bist, will ich auch nicht garantieren, dass da irgendwas mal auf der Strecke bleibt."
    Zum Sparkonzept in den Krankenhäusern gehören aber nicht nur die Fallpauschalen und der Abbau von Personal. Zusätzlich gibt es eine Reihe anderer Maßnahmen - eine davon ist die sogennannte "Prozessoptimierung" - also: Arbeitsabläufe zu verbessern und kostengünstiger zu gestalten.
    Thomas Bublitz ist Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Privatkliniken. Er erläutert zwei dieser Ablauf-Verbesserungen:
    "Was eigentlich üblich war, ist, dass ausgebildete Krankenpflegefachkräfte die Essensversorgung übernehmen oder den Patiententransport von der Chirurgischen Station oder von der Inneren Station in die Röntgenabteilung. Da muss man eben sich deutlich fragen: Kann man das preisgünstiger organisieren und müssen das tatsächlich die ausgebildeten Pflegekräfte, müssen die den Patiententransport übernehmen, oder kann man das auch anders organisieren, indem man beispielsweise spezielle Hol- und Bringdienste einsetzt, kann man die Patientenversorgung durch Hotelfachkräfte, durch Servicefachkräfte übernehmen lassen, um so schlicht und ergreifend das Pflegepersonal, das teure Pflegepersonal, von diesen Kosten zu entlasten."
    Beim Auslagern ( "Outsourcen", wie es auf Englisch heißt ) solcher Dienste können auch Pannen passieren, indem das externe Service-Unternehmen seinerseits Geld sparen möchte und beispielsweise Hilfskräfte ohne ausreichende Deutschkenntnisse bei der Essenvergabe einsetzt.
    Die gelernte Krankenschwester und Diplom-Soziologin Manuela Grimm hat die Veränderungen im Krankenhaus wissenschaftlich untersucht. Sie promoviert gerade darüber, wie sich die Gesundheitsreform speziell für Krankenschwestern und Pfleger auswirkt. Sie hat, im Zusammenhang mit der Prozessoptimierung, zusätzliche Belastungen fürs Pflegepersonal festgestellt.
    "Ein Beispiel für die Prozessoptimierung wäre die Auslastung der Operationsplätze, was bei den Pflegekräften auf den nachsorgenden Stationen oftmals zu Schwierigkeiten führt, weil sie keine Betten haben. Und das bedeutet für die Pflegekräfte, dass sie dann auf anderen Stationen nach Betten suchen müssen, dass sie einen sehr hohen organisatorischen Aufwand haben; bedeutet zum Teil auch, dass sie dann auf einer Station, die eigentlich auf Augen-OP's ausgerichtet ist, oftmals urologische OP-Patienten betreuen müssen, dass sie also interdisziplinär pflegen, also auch in fachfremden Bereichen die Nachsorge dann leisten müssen."
    Auch in der Pflegeleitung gab es starke Veränderungen
    Die Nachsorge nach der Entlassung aus dem Krankenhaus ist ein weiteres Stichwort und ein Bereich, bei dem es Neuerungen gibt; denn kürzere Liegezeiten im Krankenhaus erfordern - gegebenenfalls - intensivere Nachsorge-Betreuung zu Hause. Für diese Aufgabe gibt es inzwischen einen eigenen Studiengang: das sogenannte "Case-Management" - auf Deutsch: Fall-Management. Diese Fachkräfte stellen zum Beispiel den Kontakt mit der ambulanten Pflegestation her. Das klappt aber nicht immer, selbst in einer Großstadt nicht, in der Doktor Felicitas Launhardt als niedergelassene Ärztin praktiziert:
    "Konkret habe ich jetzt einen Patienten gehabt, der ein Tumorleiden im Endstadium hatte, was sich auch im Krankenhaus herausgestellt hat, wo aber letztendlich die Familie des Patienten völlig hilflos zu Hause diesen Menschen in Empfang genommen hat, ohne Klärung, wie es zu Hause weiterlaufen soll, mit dem einfachen Vermerk: Der Patient möchte nach Hause entlassen werden. Diese Familie, die steht natürlich am nächsten Tag in unserer Hausarzt-Praxis, von wo aus viel weniger schnell Dinge zu regeln sind als noch aus dem Krankenhausbetrieb heraus. Der ist sofort am nächsten Tag wieder im Krankenhaus, und das kann eigentlich nicht Sinn der Sache sein.... "
    Die wirtschaftliche Ausrichtung der Krankenhäuser hat - neben den Fallpauschalen, weniger Personal und prozessoptimierten Arbeitsabläufen - auch die Führungsebene in der Pflege, die Pflegeleitungen, stark verändert. Dort sind diejenigen tätig, die mit Schwestern und Pflegern unmittelbar zusammen arbeiten. Sie haben, sagt Manuela Grimm, einen ganz neuen Aufgabenzuschnitt erhalten:
    "Ihre Aufgaben liegen jetzt viel mehr im betriebswirtschaftlichen Bereich, dadurch, dass viele Krankenhäuser auch oft auf Zentren umgestellt haben, in denen dann auch eine Pflegeleitung Budgetverantwortung übernimmt, Budgetverhandlungen führen muss und eben dann auch darauf achten muss, dass das Budget eingehalten wird. "
    In Pflegemanagement-Studiengängen werden die erforderlichen Kenntnisse vermittelt. Doktor Thomas Braun war 20 Jahre lang Arzt im Krankenhaus und leitete zuletzt dessen Rettungsstelle. Er findet es problematisch, dass die Führungskräfte in der Pflege von den Hochschulen kommen.
    "Früher war es so gewesen, dass die Führungskräfte sich aus den eigenen Reihen rekrutiert haben, Schwestern oder Pfleger mit jahrelanger Berufserfahrung auch in die leitenden Positionen gingen. Das war ein klarer Vorteil gewesen, im Vergleich zu heute."
    Es fehlt den "studierten Verwaltungsmenschen", wie Thomas Braun sie nennt, nicht nur die Berufserfahrung am Krankenbett - sie können auch die Probleme des Pflegepersonals häufig nicht mehr beurteilen und nachvollziehen. Zwischen den Pflegeleitungen mit Management-Vorgaben und dem Pflegepersonal mit seiner eher ethisch-fürsorglichen Ausrichtung auf kranke Menschen ist ein Spannungsfeld entstanden. Dessen negative Auswirkungen, meint Manuela Grimm, seien nicht zu unterschätzen:
    "Es führt eher dazu, dass die Pflegekräfte einfach mehr individuelles Engagement, also noch mehr Zeit investieren, dass sie einfach auf ihre Kosten quasi versuchen, ihrem Selbstverständnis entsprechend zu pflegen und den Patienten doch das zu geben, was sie da jetzt gerade brauchen."
    Nicht nur das Pflegepersonal und die Pflegeleitungen im Krankenhaus bekommen den Wandel zu spüren. Auch Ärztinnen und Ärzte sind betroffen. Die Internistin Felicitas Launhardt war, bevor sie sich als Hausärztin niederließ, von 2004 bis 2010 in zwei verschiedenen Krankenhäusern als Assistenzärztin beschäftigt.
    "Als ich anfing zu arbeiten hatte ich alle drei Monate einen 24-Stunden-Dienst, und als ich aufhörte, nach fünf Jahren im Krankenhaus, hatte ich alle zwei Wochen 24-Stunden-Dienst, und damit kann man eigentlich ein Familienleben nicht mehr gestalten, also, dass es befriedigend ist."
    Eine Ärztin läuf allein einen Flur einer Krankenstation in einem Berliner Krankenhaus entlang. 
    24-Stunden-Dienste und Familienleben. Kann das auf Dauer funktionieren? (dpa / picture alliance / Hans Wiedl)
    Letztendlich haben die Krankenhausreform und der damit verbundene Sparzwang bei Felicitas Launhardt sogar in ihr Leben und in ihre Berufsbiografie als Ärztin eingegriffen:
    "Ich wäre sicherlich noch länger, zumindest die gesamte Facharztausbildung, im Krankenhaus geblieben, hätte auch eigentlich gerne eine Oberarzt oder Oberärztinnenstelle angenommen, einfach um auch noch mehr Erfahrung zu sammeln und auch mehr Akutmedizin noch zu machen als jetzt in der Praxis, aber man kann da nicht gesund bleiben in dem System als Ärztin mit Beruf und Familie."
    Doktor Thomas Braun hat beobachtet, dass Stress und Zeitnot im Krankenhaus bei den Schwestern dazu führten, dass auch die Zusammenarbeit mit den Ärzten nicht mehr gut funktionierte:
    "Es gibt viele Beispiele, aber ein Hauptbeispiel ist, dass eine Schwester nicht mehr Zeit hat, auf eine Visite mitzukommen.Umgekehrt war die Schwester auch nicht mehr in der Lage, den Verlauf und den Tagesablauf eines Patienten aus ärztlicher Sicht beurteilen zu können.Wir nahmen beispielsweise zuletzt überhaupt nicht mehr an den Übergabe-Visiten der Schwestern teil."
    Besser wirtschaften kann ein Krankenhaus dann, wenn es sich auf teuer bezahlte Operationen spezialisiert. Die Preisspanne bei den Fallpauschalen ist groß: Eine Knochenmarks-Transplantation beispielsweise, sagt Georg Baum, wird mit rund 150.000, eine Hüftoperation nur mit 10.000 Euro vergütet. Es soll sogar Arbeitsverträge mit Chefärzten geben, in denen Zielvereinbarungen getroffen werden - etwa 1.000 Gallenblasen oder 500 Knie im Jahr zu operieren. Oberarzt Bernhard Müller hat es selbst nicht erlebt, hält aber folgendes für möglich:
    "Ich kann mir vorstellen, dass jemand, der den Druck hat, am Ende des Jahres 500 operierte Knie abzuliefern, unter Umständen auch ein Knie operiert, was man vielleicht nicht operiert hätte. Ich weiß es nicht, aber das mag es geben."
    Dass Krankenhäuser Pleite gehen können, das hat der Gesetzgeber bei der Einführung des neuen Entgeltsystems bewusst in Kauf genommen, sagt Georg Baum. Er ist Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft des Bundesverbandes und des Zusammenschlusses aller Krankenhäuser in Deutschland - rund 2.000 an der Zahl.
    "Wenn die finanziellen Mittel knapp sind, gehen viele Krankenhäuser kaputt, die dringend gebraucht werden. Und große Finanzierungsprobleme haben natürlich kleinere Krankenhäuser, die sich nicht spezialisieren können, die ein breites Spektrum vorhalten müssen, die zum Beispiel eine Geburtsabteilung im unteren Bereich der wirtschaftlich zu führenden Geburtszahlen haben, aber bleiben müssen, sonst werden die Wege für Gebärende immer weiter. Das heißt: Für solche Krankenhäuser ist natürlich ein grundsätzlich restriktiver finanzieller Rahmen besonders gefährlich."
    "… wir versorgen diese Patienten in der Hälfte der Zeit"
    Diese Gefahr ist für manche Krankenhäuser bereits Realität geworden. Thomas Bublitz vom Bundesverband der privaten Kliniken nennt Zahlen:
    "Was uns sehr bedenklich stimmen muss ist, dass mittlerweile jedes zweite Krankenhaus es nicht mehr schafft. Wir haben 400 Krankenhäuser weniger seit Anfang 1990 bis jetzt; das heißt: Von 2.400 auf 2.000 Krankenhäuser. Wir haben vier Millionen Patienten mehr, und wir versorgen diese Patienten in der Hälfte der Zeit - das heißt: nicht mehr an 14 Tagen, sondern nur noch in ungefähr sieben Tagen. Und das zeigt natürlich, dass wir selbstverständlich diese enorme Beschleunigung, diese enorme Veränderung im Krankenhaus haben."
    Georg Baum und Thomas Bublitz treiben noch weitere Sorgen um: Und das sind die Investitionskosten für ihre Kliniken. Krankenhäuser müssen ständig investieren - zum Beispiel in moderne, medizinische Technik oder in rationale Gebäude mit kurzen, zeitsparenden Wegen zwischen den Abteilungen - nicht zu vergessen die laufenden Instandhaltungskosten der Gebäude. Die Bundesländer haben eigentlich eine rechtliche Verpflichtung, die Investitionskosten zu übernehmen, sagt Thomas Bublitz:
    "Sie tun das nicht. Die Bundesländer fahren ihre Investitionsmittel von Jahr zu Jahr weiter zurück. Da grüßt die Schuldenbremse. Es wird immer weniger Geld für Krankenhäuser zur Verfügung gestellt, und das bringt alle Krankenhäuser gleichermaßen vor die gleiche Problematik, nämlich: notwendige Investitionen irgendwie erwirtschaften zu müssen."
    In jedem Jahr klafft eine Finanzierunglücke von drei Milliarden Euro in der Krankenhausfinanzierung. Georg Baum bilanziert die gegenwärtige Situation so:
    "Wir sind an einem Punkt angekommen, bei dem mehr Rationalität, noch höhere Produktivität einfach nicht mehr geht."
    Aber statt finanzieller Hilfen sieht die für 2017 geplante Krankenhausreform weitere Sparmaßnahmen vor. Immerhin: Anfang Oktober haben sich der Bund und die Länder darauf geeinigt, den Krankenhäusern noch einmal rund 800 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung zu stellen. Aber letztendlich ersetzt dieser Betrag nur das, was anderweitig gekürzt und eingespart wird.
    "Krankenhaus-Reform? So nicht!", ist die Plakat-Kampagne überschrieben, mit der sich die Krankenhäuser gegen die geplante Reform öffentlich empören.
    Das Machbare an Schnelligkeit und Effizienz im Krankenhaus ist – wie Georg Baum ausführte - bereits erreicht. Inzwischen wird auch Kritik am Fallpauschalen-Vergütungssystem generell geäußert. Manuela Grimm gibt zu bedenken:
    "Pflegearbeit lässt sich nicht mit industriellen Arbeitsabläufen vergleichen. Die Arbeit mit den Patienten und am Patienten lässt sich allein deshalb nicht vergleichen, weil sie nicht planbar ist."
    Überhaupt nicht geeignet ist das Pauschalsystem für den Umgang mit dementen, also verwirrten, und multimorbiden, mehrfach kranken, alten Menschen, deren Zahl in den Krankenhäusern ständig steigt. Heilungsprozesse brauchen persönliche Zuwendung zu den Kranken. Irgendwann ertrug es Thomas Braun nicht mehr, dass ihm die Zeit dafür fehlte. Er kapitulierte vor den Arbeitsbedingungen und gab seine Stelle auf.
    "Ich bin Arzt durch und durch, ich liebe das Arbeiten am Patienten. Ich habe mich aber zum Schluss nur noch mit verwaltungstechnischen Dingen beschäftigen müssen, mit Personalfragen, mit Geldfragen und am Ende meiner Tätigkeit bin ich tatsächlich in ein tiefes Loch gestürzt und hatte auch Depressionen gehabt, weil ich einfach nicht das erreichen konnte für meine Mitarbeiter, was ich mir eigentlich vorgenommen habe."
    Für Schwester Cornelia war der Zeitdruck in den letzten Wochen so groß, dass es nicht einmal mehr für eine Essenspause reichte. Zwischen ihren Diensten fehlten die Erholungsphasen. Sie konnte nicht mehr gut einschlafen und wachte nachts mit innerer Unruhe und Herzrasen auf. Sie ging zu ihrer Hausärztin:
    "Sie hat überhaupt nicht gezögert und mich angeguckt und hat gesagt: 'Also wir sprechen hier mal von einem chronischen Überlastungssyndrom.' Wir sagen es alle, auch die Kollegen: Es wird im Gesundheitswesen nicht besser werden, es wird eher schlimmer, es sei denn, das meinte letztens mal eine Kollegin, das ganze System wird mal an die Wand gefahren, um es von Grund auf neu zu sortieren."