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Paul Collowald
"Die EU ist in einer multidimensionalen Krise"

Der Journalist Paul Collowald gehört zu den überzeugten Europäern der ersten Stunde. Unsere Brüssel-Korrespondentin hat ihn getroffen und mit ihm über hohe Posten in den europäischen Institutionen, den EU-Gründervater Robert Schuman und die aktuellenKrisenjahre der EU gesprochen.

Von Annette Riedel | 14.08.2015
    Das Gebäude der Europäischen Kommission in Brüssel.
    Paul Collowald sagt, die EU "ist ungeduldig, beunruhigt, aber nicht resigniert (picture alliance/dpa/Matthias Balk)
    Der Journalist Paul Collowald gehört zu den überzeugten Europäern der ersten Stunde. Er hat im vergangenen Jahr ein Buch geschrieben mit dem Titel "Ich sah die Geburt Europas". Unsere Brüssel-Korrespondentin hat ihn getroffen und mit ihm über hohe Posten in den europäischen Institutionen, den EU-Gründervater Robert Schuman und die Krisenjahre der EU gesprochen.
    "Mal sehen, ob wir mein Deutsch aktivieren ... Entrez ..."
    Paul Collowalds Augen hinter den Brillengläsern blitzen freundlich, sehr wach und fast jugendlich. Wir stehen vor seinem Bücherschrank. Hinter Glas: reihenweise Bücher zum Thema Europa.
    "Hier ist viel Europa. Da sehen sie zum Beispiel Robert Schuman."
    Schuman wäre mit der EU zufrieden
    Er hat ihn gekannt, den damaligen französischen Außenminister, Robert Schuman. Sein nach ihm benannter Plan, den er Mai 1950 für eine europäische Kohle- und Stahl-Union vorlegte, gilt als Gründungsmoment der Europäischen Union. 1949, war es, wenige Tage vor den ersten Bundestagswahlen, als Paul Collowald, damals noch Journalist für "Le Monde" in Straßburg, mit Schuman einen kleinen Spaziergang gemacht hat und sie über europäische Fragen sprachen. Auch über die Einbindung von Nachkriegsdeutschland. Wie, glaubt er, würde Schuman die EU 2015 sehen?
    "Ich glaube, er wäre zufrieden, weil der Weg seit Mai 1950 bis heute ja doch der Weg des Friedens ist. Vielleicht – mit seinem Humor und seinem kleinen Lächeln – hätte er gesagt: Ich hoffte, dass es etwas schneller ginge."
    Nicht nur Schuman mag gehofft haben, dass der europäische Einigungsprozess etwas schneller hätte gehen dürfen. Wie betrachtet, Ur-Europäer Paul Collowald in drei Worten die EU im Zeichen der Eurokrise?
    "In drei Worten? Natürlich Journalisten wollen immer drei Worte haben: Ungeduldig – ein Wort. Zwei: beunruhigt. Aber nicht resigniert."
    "Wir sind in einer multidimensionalen Krise"
    Was die europäische Geschichte angeht, ist Paul Collowald eine Art wandelndes Lexikon. Aber er ist auch voll auf dem Laufenden, was das Hier, Heute und Jetzt angeht. Das er, wie er gesagt hat, beunruhigend findet.
    "Ich habe alle Krisen mitgemacht, seit dem Anfang. Aber dieses Mal sind wir – um etwas pedant zu sein – in einer multidimensionalen Krise."
    Das Krisen-Management der handelnden Personen in der Griechenland- bzw. Euro-Krise findet er zwiespältig. Es fehle Politikern und ebenso vielen Medienmachern an Mut, an politischem Willen und an der Vision, den Bürgern Europas die Wahrheit über Kosten und Mühen, aber auch die Chancen des europäischen Einigungsprojekts gerade in der Krise zu vermitteln. Und, dass es voranzutreiben alternativlos ist und bleibe. Europa, der Euro – für Paul Collowald sind sie unfertig, unvollendet, müssten jetzt erst recht vollendet werden.
    "Wenn wir den französischen Präsidenten Hollande hören: "Wir sollten eine Wirtschaftsregierung..." – also, da muss man sagen: Was soll das bedeuten? Konkret. Wir können nicht weiter plaudern, über Konzepte. Die Franzosen sind sehr gut für Konzepte. Aber dann die Realität – wie macht man das praktisch, diese Vertiefung."
    Notfalls eben in einem Kerneuropa, mit einer Avantgarde der Euro- oder EU-Länder, die vorangeht. Eine Idee übrigens, die noch deutlich älter ist als jene entsprechenden Überlegungen der CDU-Politiker Wolfgang Schäuble und Karl Lamers von 1994, an die sich mancher erinnern mag. Schon der damalige Präsident des da noch vergleichsweise machtlosen EU-Parlaments, Pierre Pflimlin, sprach bereits 1962 von einem "noyau solide", dessen es bedürfe – eines soliden Kerns jener EU-Länder, die richtungsweisend vertiefend, mit zunehmend geteilter Souveränität, zusammenarbeiten. Der Euro ist ein solches Avantgarde-Vorhaben. Aber eines was auf einem Bein stehen geblieben ist.
    Nord-Süd-Konzept ist das Ende der Solidarität
    Die Idee einer gemeinsamen Währung stammt ebenfalls bereits aus den 1960er-Jahren. An der dazu gehörenden gemeinsamen Wirtschaftspolitik hapert es bis heute. Ein Auseinanderbrechen der Eurozone, etwa in Länder mit einem harten "Nord-Euro" und einem schwächer bewerteten "Süd-Euro" - davon hält Paul Collowald gar nichts.
    "Dieses Konzept von Nord/ Süd – das habe ich nicht gern. Das ist für mich das Ende der Solidarität."
    Was er ebenfalls gar nicht gern hat, ist, dass die Bundesregierung, vor allem Finanzminister Schäuble, aber auch die Bundeskanzlerin, im Zusammenhang mit der Euro-Krise vielerorts als Buhmänner stilisiert werden. Dass es eine antideutsche Welle, ein - auf französisch – ‚déferlement' gibt, das regt Collowald auf.
    "Da ist eine Presse – zum Beispiel in Frankreich – ein ‚déferlement anti-allemand', Das ist ja unverantwortlich. Mit Argumenten – also manchmal ist das wirklich ein Quatsch!"
    Europa prägte Collowalds Leben
    Paul Collowald vergeht das Lachen nicht. Und der Glaube an Europa. Er prägte und prägt sein Leben, ist und bleibt seine Leidenschaft. Das verblichene Schwarz-Weiß-Foto an der Wand seiner Brüsseler Wohnung ist nur ein Ausdruck davon.
    "In der Mitte sehen Sie Robert Schuman und der junge Mann auf der rechten Seite – das bin ich."
    Die Leidenschaft, die ein Schuman, die er für das europäische Projekt Zeit ihres Lebens empfunden haben – er hofft, dass es gelingt, sie in jungen Menschen wieder zu wecken, sagt Paul Collowald beim Abschied.
    "Wie man sagt : Ça me fait très grande plaisir de faire votre connaissance. Au revoir. »