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Paul Mason
"Klare lichte Zukunft"

Der britische Journalist Paul Mason plädiert in seinem neuen Buch für eine "radikale Verteidigung des Humanismus" und macht Mut, mit dem emanzipatorischen Projekt der Moderne weiterzumachen.

Von Barbara Eisenmann | 19.08.2019
Cover-Collage: Buchcover Paul Mason "Klare, lichte Zukunft. Eine radikale Verteidigung des Humanismus", Suhrkamp Verlag. Hintergrund links: Der britische Autor Paul Mason steht bei einem Auftritt an einem Rednerpult im Oktober 2018 in Athen.
„Klare, lichte Zukunft“ hat Paul Mason sein Buch in Anlehnung an Trotzki genannt (Buchcover: Suhrkamp Verlag; Hintergrundfoto: imago/Aristidis Vafeiadakis)
Paul Mason ist ein renommierter britischer Publizist. Er hat für die BBC und Channel 4 gearbeitet und berichtet heute als freiberuflicher Journalist aus der ganzen Welt. Seine Arbeit hat viele Facetten. Er ist ein begabter Reporter, der immer auch seine eigene Geschichte als 1960 geborenes Kind der britischen Arbeiterklasse thematisiert. Er ist ein marxistisch informierter Denker, der den Kapitalismus in seiner heutigen digitalen Erscheinungsform kritisch analysiert und auch die Möglichkeiten seiner Überwindung untersucht. Und: Er ist politischer Aktivist, der immer noch, so pathetisch das heute in vielen Ohren vielleicht klingen mag, für eine emanzipierte Menschheit kämpft.
"Wir müssen den Menschen wieder in den Mittelpunkt unserer Weltsicht rücken – nicht die Maschine, nicht die Natur und nicht irgendwelche Untergruppen der Menschheit, die besondere Privilegien genießen, sondern unsere gesamte Spezies."
Und obwohl die politische Wirklichkeit seit der Veröffentlichung seines noch sehr viel optimistischer gestimmten letzten Buches "Postkapitalismus" um einiges unruhiger geworden und deutlich nach rechts gerückt ist, hält Mason unbeirrt an einem Projekt für die Zukunft fest. "Klare, lichte Zukunft" hat er sein Buch in Anlehnung an Trotzki genannt, in dem er für eine "radikale Verteidigung des Humanismus" plädiert.
Der autoritäre, digitale Kapitalismus
Was Mason sehr genau beschreibt, ist, wie sich in der inzwischen mehr als zehn Jahre währenden Krise des Neoliberalismus allmählich ein technologiegestützter, zunehmend autoritär werdender Kapitalismus herausbildet. In den USA, aber auch in Russland und China, von Seiten der Regierungen selber, aber auch der großen Technologieunternehmen werden die Institutionen der liberalen Demokratie immer heftiger angegriffen. Und spätestens mit der Wahl von Donald Trump dürfte auch weithin sichtbar geworden sein, was uns allen in einem digitalen Kapitalismus in der Zukunft blüht.
"In seinem Krieg gegen die liberalen und demokratischen Werte setzte Trump Maschinen ein, deren Zweck darin besteht, die menschliche Entscheidungsfreiheit und Vernunft zu untergraben. Dank der Daten, die Facebook Cambridge Analytica zur Verfügung stellte, gelang es Trump und seinen russischen Verbündeten, die Meinungen und das Wahlverhalten vieler Amerikaner zu manipulieren."
Zugrunde liegt diesem Angriff auf die Demokratie, so Mason, ein inzwischen weit verbreiteter Antihumanismus. Dieser Antihumanismus sei nicht auf die USA, Russland oder China beschränkt, sondern überall anzutreffen, auch in Europa.
"Wir haben immer noch nicht begriffen, was für eine Katastrophe sich um uns herum abspielt. Dies ist keine vorübergehende zyklische Entwicklung in der Politik, sondern eine globale Attacke auf die erkenntnistheoretischen Methoden, auf das wissenschaftliche Denken und auf eine an den Fakten orientierte politische Entscheidungsfindung – auf die moderne Denkweise, die ihren Ursprung im frühen 17. Jahrhundert hat."
Populärer Antihumanismus versus erweiterten Humanismus
Den Ursprung dieses Angriffs auf das humanistische Projekt der westlichen Aufklärung sieht Mason zum einen in der neoliberalen Ideologie der freien Märkte. Sie habe die Grundlagen menschlichen Zusammenlebens zerstört, indem sie jedem und jeder seit fast 40 Jahren einbläut:
"Konkurriere und eigne dir an."
Zum anderen macht er auch das postmoderne Denken dafür verantwortlich, das den Aufstieg des Neoliberalismus begleitet hat. Denn auf der Grundlage postmoderner Theorien, so Masons Kritik, wurde die Wirklichkeit jenseits ihrer subjektiven Wahrnehmung geleugnet. Jeder und jede konstruiere sich seine bzw. ihre jeweils eigene Realität im Kopf; gemeinsame Handlungsgrundlagen gebe es so keine mehr.
"Die Menschheit ist nicht länger der Mittelpunkt der Welt. Ein Mensch, ein Frosch, ein Stromnetz, eine Mülltonne und ein Legostein haben denselben Anspruch auf Erkenntnis."
lautet sein polemisches Resümee zur postmodernen Philosophie. Und hier lokalisiert Mason auch die Krise progressiven Denkens, die dringend bearbeitet werden müsse. Allerdings bräuchte es für die von ihm dazu vorgeschlagene Erneuerung des Humanismus diesen in traditionsmarxistischen Kreisen oft gehörten Rundumschlag gegen postmodernes Denken nicht.
Denn Mason versteht seinen erneuerten Humanismus ja auch als einen erweiterten Humanismus. Erweitert um nicht-europäische Denktraditionen, um Subjekte unterschiedlichster Herkunft, um alle Geschlechter - und vielleicht sogar um alle Lebewesen. Zu dieser Erweiterung aber hat die postmoderne Denktradition nicht unwesentlich beigetragen.
Klar ist, der Humanismus muss aktualisiert werden. Und dazu gehört auch, das Verhältnis von Menschen und Maschinen zu klären: Masons große Frage nach der Überwindung des digitalen Kapitalismus. Technologien sind kein Selbstzweck; es ist politisch zu entscheiden, wozu sie dienen sollen.
Und so gesehen liegt es an uns, ob irgendwann vielleicht doch die Maschinen den größeren Teil der Arbeit leisten und dadurch freie Zeit entsteht für Tätigkeiten wie beispielsweise die Sorge für andere oder die Produktion von Kunst. Auch dafür sensibilisiert Masons Buch, das trotz seiner sehr kritischen Weltzustandsbeschreibung Mut macht, mit dem Emanzipationsprojekt der Moderne fortzufahren.
Paul Mason: "Klare, lichte Zukunft. Eine radikale Verteidigung des Humanismus",
Suhrkamp, 415 Seiten, 28 Euro.