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Paula Modersohn-Becker
Von Worpswede nach Paris

Paula Modersohn-Becker gehört zu den bedeutendsten Künstlerinnen des frühen Expressionismus. Begonnen hat alles im Künstlerdorf Worpswede. Die Kunstsammlung Böttcherstraße in Bremen zeigt aktuell in einer Ausstellung, wie enorm am Ende der Abstand dieser Künstlerin zu ihren biederen Worpsweder Kollegen war.

Von Rainer B. Schossig | 31.03.2014
    Außenansicht des Paula Modersohn Becker-Museum.
    Paula Modersohn Becker-Museum. (dpa / Ingo Wagner)
    Zwanzig Jahre war Paula Becker, als sie 1896 den ersten Kurs an der "Zeichen- und Malschule des Vereins der Künstlerinnen und Kunstfreundinnen" zu Berlin antrat. Knapp zwei Jahre studierte sie in Berlin. Im Nachlass finden sich circa 150 Arbeiten aus jener Zeit; die Bremer Ausstellung bringt daraus nur einen schmalen Ausschnitt.
    Etwa ihre erste Aktzeichnung, bis heute im Besitz der Bremer Paula Modersohn-Becker-Stiftung: noch tastend, aber unverkennbar schon der ernsthafte, anatomisch nachforschende Strich ihrer Menschenstudien. Diese selten gezeigten Blätter zeigen handwerkliches Können, Vielfalt der Techniken, aber auch Vorlieben und Vorbilder: Träumerisches von Redon, Schmissiges von Toulouse-Lautrec, laszive Arabesken von Edvard Munch, auch einen Schuss Jugendstil und Melancholisch-Symbolistisches. Die junge Kuratorin Simone Ewald:
    "Sie schreibt in ihr Tagebuch, man müsste bei der Konzeptionierung von Bildern gar nicht so sehr an die Natur denken, sondern an meine eigene Wahrnehmung, die ich von der Natur habe. Das führt dann zu dieser eigenen, unverwechselbaren Bildsprache."
    Schon früh besuchte Paula Becker immer wieder die aufstrebende Malerkolonie am Teufelsmoor nahe bei Bremen:
    "Worpswede, Worpswede, Worpswede - versunkene Glocke Stimmung! Birken, Birken und alte Weiden, schönes braunes Moor!"
    So eine ihrer ersten Tagebucheintragungen. Im Herbst 1898 zieht sie in das Künstlerdorf. Nicht nur dessen spröde, weltferne Landschaft verzaubert sie, auch die bäuerlich-herben Bewohner der Moorkaten, die Armenhäusler und Torfstecher. Ihre Skizzen bleiben streng, eckig, ihre Malerei aber wird kraftvoller, mit Farbe gesättigt. Sie heiratet den Maler Otto Modersohn, und - nachdem sie sich von ihrem Lehrer Fritz Mackensen emanzipiert hat - entwickelt sie ihr unverkennbar eigenständiges Repertoire: Märchenhaftes und Sozialkritisches spiegeln ihre Bilder, Mädchen mit Flöten, Katzen und Puppen, wie verloren zwischen sonnengefleckten Baumstämmen - alles Motive aus Dorf und Geest. Aber nicht den "Alten Worpswedern" eifert sie nach, sondern dem neuen französischen Stil von Cézanne und Gauguin. Paris leuchtet bis nach Bremen hinauf.
    "Es ist tatsächlich ganz spannend zu sehen, wie sie sich von diesen frühen akademischen Studien hin entwickelt zu ihrer ganz eigenen Bildsprache, die sie in Paris ausformuliert."
    Für die wenigen noch verbleibenden Jahre blieb Paris Quelle künstlerischer Anregung und Herausforderung für die viel zu früh verstorbene Künstlerin. Die Bremer Kritik hatte ihre frühen, in der Kunsthalle Bremen ausgestellten Bilder aufs Unflätigste verrissen, nun kam sie nur noch besuchsweise nach Worpswede zurück. Und sah Sumpf, Moor und Heide mit anderen Augen. Nicht mehr nur die Natur, sondern die Weltkunst im Louvre, die Avantgarde-Galerien prägten nun ihre Malerei. Sie machte Anleihen bei den berühmten Mumien-Porträts, sie studierte Passanten auf den Pariser Plätzen und Fahrgäste in der Straßenbahn. Und immer wieder malte sie sich selbst - Selbstbefragung, weibliche Lebensmodelle, Mutterschaft - alles in den zunehmend schweren, intensiven, erdigen Farben der Moorlandschaft. Der Spagat zwischen der verträumten Stille am Teufelsmoor und der Hektik der Hauptstadt der Malerei Paris bestimmt ihr Spätwerk. Die Worpsweder Motive werden monumentaler, und die Blicke auf den Pariser Alltag an der Schwelle des 20. Jahrhunderts sind in eine wehmütige Poesie getaucht.
    Diese Bremer Schau zeigt nichts Neues, auch nicht den existenziellen und künstlerischen Lebenskonflikt Paula Modersohn-Beckers beleuchtet sie nicht, aber sie macht neu anschaulich, wie enorm am Ende der Abstand dieser Künstlerin war zu ihren biederen Worpsweder Kollegen, die wenige Jahre zuvor noch ihre Lehrer waren.