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Paywalls im Lokalen
Wer lesen will, muss bezahlen

Journalistische Texte sind im Netz meist kostenlos zugänglich. Doch damit scheint es bald vorbei zu sein: Immer mehr Verlage arbeiten mit sogenannten Plus-Modellen und verlangen Geld für ihre Texte. Aber funktioniert das auch?

Von Christoph Sterz | 04.09.2019
Eine Hand hält ein Smartphone, auf dessen Bildschirm das Plus-Abo der Schwäbischen Zeitung zu sehen ist.
Wer die mit dem Smartphone die Webseite der Schwäbischen Zeitung besucht, erhält als Erstes das "Schwäbische Plus"-Angebot. (Deutschlandfunk / Michael Borgers)
Wer auf den Online-Seiten der Regional- und Lokalzeitungen unbegrenzt Artikel lesen will, muss inzwischen oft ein Digitalabo abschließen; muss zahlen für Angebote wie "LVZ+" von der "Leipziger Volkszeitung", "Schwäbische Plus" von der "Schwäbischen Zeitung" oder "Abendblatt Plus" vom "Hamburger Abendblatt". Schließlich kostet Journalismus Geld, auch wenn er im Netz stattfindet. Deshalb ist der aktuelle "Plus"-Trend für die Verlage eine wichtige Entwicklung, meint Medienforscher Christopher Buschow von der Bauhaus-Universität Weimar.
"Das hat auch den Effekt, dass tatsächlich Leute erstmals überhaupt darüber informiert werden, dass sie da möglicherweise ein Abonnement abschließen können. Deshalb ist das sicherlich auch eine gute Sache, dass die Verlage da jetzt restriktiver werden und die Bezahlschranke auch öfter mal runterlassen."
Aber Bezahlschranke ist nicht gleich Bezahlschranke: Die Regionalzeitungen probieren gerade verschiedenste Modelle aus. Die Online-Texte der Madsack-Mediengruppe, also zum Beispiel der "Leipziger Volkszeitung" oder der "Hannoverschen Allgemeine Zeitung", lassen sich bis zu 60 Minuten nach ihrer Veröffentlichung kostenlos lesen. Danach verschwinden die Artikel hinter der "Time-Wall".
"Es gibt kein Richtig oder Falsch"
Ganz anders läuft das zum Beispiel bei der "Ibbenbürener Volkszeitung". Für jeweils drei Euro im Monat kann man dort Texte aus den Bereichen "Vereinsleben", "Familien & Schule" oder "Wirtschaft" finden. Ähnliches hat seit Kurzem auch die "Westdeutsche Zeitung" im Programm. Dort gibt es etwa ein reines Sport-Abo oder ein Abo für sämtliche Berichte aus der Region Wuppertal.
Spannende Entwicklungen sind das, findet Yannick Dillinger, stellvertretender Chefredakteur und Digitalchef der "Schwäbischen Zeitung". "Das ist sehr, sehr gut für uns, weil wir da aus der Ferne auch viel beobachten können. Wir haben unser Paid-Content-Modell jüngst umgestellt, entwickeln uns also auch weiter. Ich glaube, es sind spannende Zeiten, ich glaube, es gibt kein Richtig oder Falsch. Und vor allen Dingen gibt es keine Schablone, die man einfach so nehmen kann und auf andere Medienangebote übertragen kann. Jeder muss seins finden, was zum Verbreitungsgebiet, zu den Zielgruppen passt. Ich erlebe den Lokaljournalismus unter anderem im Thema Paid Content gerade sehr, sehr mutig, sehr, sehr neugierig, und das gefällt mir sehr gut."
Bei der "Schwäbischen Zeitung" sind seit Mai alle Autorenstücke kostenpflichtig; also alle Texte, Bilderstrecken und Videos, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Schwäbischen selbst erstellt haben. Seitdem steigt die Zahl der Digital-Abonnenten; alleine im Juli kamen laut Dillinger über 1.800 Kunden dazu. Damit liege die Zeitung über dem Soll. Allerdings gibt es eine andere große Herausforderung. "Wir müssen dafür sorgen, dass wir Menschen länger im Digitalabo halten, weil das ist ein sehr, sehr großer Unterschied zum Printgeschäft. Wir verlieren viel zu viele Menschen viel zu schnell wieder."
Nicht mehr als zehn Euro pro Monat?
Zumal ganz grundsätzlich die Frage ist, wie viel Geld Online-Leserinnen und -Leser überhaupt auf Dauer bereit sind, für ihren Medienkonsum zu bezahlen. Medienforscher Christopher Buschow hat in einer aktuellen Studie herausgefunden, dass nach wie vor nur sehr wenige Menschen Geld für Online-Journalismus ausgeben wollen; und wenn, dann nicht mehr als zehn Euro pro Monat - also deutlich weniger als bei klassischen Print-Abos. Trotzdem haben die Lokalzeitungen seiner Meinung nach grundsätzlich nicht die schlechteste Ausgangsposition:
"Interessant ist sicherlich, dass diejenigen, die für Lokal- oder Regionaljournalismus bezahlen, häufig auch überhaupt keine Alternative sehen. Gerade im spezifisch, quasi hyperlokalen Bereich, in den tiefen lokalen Nischen, gibt es meist überhaupt keine andere Möglichkeit, als die lokale Tageszeitung zu nutzen, weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht in diese Detailtiefe geht und auch andere Anbieter kaum das leisten können wie die Lokalzeitungen vor Ort."
Leserdaten helfen bei der ständigen Verbesserung
Und den Verlagen könnte noch etwas zugute kommen: Dass sie im Digitalen, anders als bei der gedruckten Zeitung, sehr genau feststellen können, was ihre Leserinnen und Leser interessiert. Diesen Ansatz verfolgt auch die "Schwäbische Zeitung". Das Zauberwort lautet Artikelscore: Dabei geht es zum Beispiel um die Frage, wie oft ein Text aufgerufen wird, wie lange er gelesen wird oder auch wie viele Leute auf den Text gestoßen sind via Twitter oder Facebook. Digitalchef Yannick Dillinger:
"Ich gehe einmal im Monat in die Lokalchefrunde bei uns und in die Ressortleiterrunde und stelle den Führungskräften bei uns Muster vor, die ich aus den Artikelscores herauslese. Uns ist es zu plump zu sagen: Der Lokalsport wird nicht gelesen oder die Kultur interessiert keinen. Wir werden deswegen weder Lokalsport noch Kultur abschaffen. Wir wollen lernen: Was können wir innerhalb von Ressorts oder Lokalredaktionen anders machen? Texteinstiege verändern, Themensetzungen anpassen, Aufbereitung anders machen, um da unseren Journalismus täglich besser zu machen und wöchentlich besser zu machen und monatlich besser zu machen."
Damit wollen Dillinger und sein Team ihre Leserinnen und Leser auf Dauer davon überzeugen, dass es sinnvoll ist, ein digitales Abo zu haben. Dass Journalismus auch im Jahr 2019 noch sein Geld wert ist.