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Pegida
Heiner Geißler: "Eine Verharmlosung der Pegida-Bewegung"

Der CDU-Politiker Heiner Geißler hat zu kommunikativem Widerstand gegen die Pegida-Bewegung aufgerufen. Man dürfe nicht zulassen, dass diese Leute behaupteten, sie sprächen für das Volk, sagte Geißler im Deutschlandfunk. Von offizieller Seite finde eine Verharmlosung der Bewegung statt.

Heiner Geißler im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 21.10.2015
    Heiner Geißler
    Heiner Geißler (dpa / picture-alliance / Markus Scholz)
    Man wolle nicht erkennen, dass Pegida nichts anderes als "eine Zusammenkunft aus einem größeren Spektrum der Bundesrepublik Deutschland" sei, sagte Heiner Geißler. Er wies zudem darauf hin, dass laut Untersuchungen 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung nicht nur gegen Ausländer, sondern auch gegen Europa seien.
    Der Zulauf zu Pegida habe auch deshalb eine größere politische Dimension, weil sich die Demonstranten auf die Aussagen von offizieller Stelle stützen könnten, wonach wir nicht mit den vielen Flüchtlingen in Deutschland fertig würden, sagte der ehemalige CDU-Generalsekretär. Es gebe die eine Seite, die sage: Wir schaffen das, und es gebe die anderen, die sagten: Wir schaffen das nicht, dazu gehöre leider auch sein Freund Horst Seehofer. Durch solche Äußerungen verstärkten sich die Sorgen und Ängste der Menschen, die sagen: Wir schaffen das nicht.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Vor wenigen Monaten noch, da war die sogenannte Pegida-Bewegung, die allwöchentlich in Dresden zusammenkam, abgeebbt. Doch mit der Flüchtlingskrise ist sie wieder voll da. Ein Jahr nach Beginn der sogenannten Montags-Spaziergänge hat der vorbestrafte Pegida-Organisator Lutz Bachmann so viele Menschen mobilisiert wie noch nie. Auch Symbole und Rhetorik haben sich erheblich verschärft. Von den Galgen-Attrappen war schon viel die Rede. Vorgestern sorgte dann noch der deutsch-türkische Schriftsteller Akif Pirincci für Schlagzeilen, als er meinte, leider seien die KZs derzeit ja außer Betrieb. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts auf Volksverhetzung, Lutz Bachmann hat sich distanziert. Dennoch bleibt die Frage: Bereitet Pegida den Boden für Gewalt? Weshalb erhält Pegida immer noch Zulauf? Und: Wurde Pegida in seiner Gefährlichkeit unterschätzt? - Dazu begrüße ich jetzt Heiner Geißler, den langjährigen CDU-Generalsekretär. Schönen guten Morgen, Herr Geißler.
    Heiner Geißler: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Herr Geißler, am Samstag der Mordanschlag auf Henriette Reker. Der Oberbürgermeister von Leipzig, Burkhard Jung, der wird mit den Worten bedroht, "Wir kriegen Dich!" Im März schon trat der Ortsbürgermeister von Tröglitz in Sachsen-Anhalt zurück, weil er von Rechtsextremen bedroht wurde. Würden Sie Ihren Freunden und Angehörigen heute noch empfehlen, in die Kommunalpolitik zu gehen?
    Geißler: Ja natürlich! Ich meine, was da jetzt geschehen ist, hängt zusammen mit erstens einer noch fehlenden Information über das, was eigentlich mit der Flüchtlingsbewegung los ist auf der ganzen Erde, und zweitens hängt es mit der Verharmlosung dieser Pegida-Bewegung zusammen auch durch offizielle Stellen.
    Heckmann: Das müssen Sie uns näher erklären.
    Geißler: Bitte?
    "Diese Leute sprechen nicht für das Volk"
    Heckmann: Das müssen Sie uns näher erklären. Verharmlosung der ganzen Bewegung, was meinen Sie damit?
    Geißler: Damit meine ich, dass man nicht erkennen will, dass diese Bewegung, dass Pegida nichts anderes ist als eine Zusammenkunft aus einem größeren Spektrum in der Bundesrepublik Deutschland. Untersuchungen haben ergeben, wir haben in Deutschland ungefähr 10 bis 20 Prozent Leute, die sind nicht nur gegen Ausländer, die sind gegen Europa, gegen die Prügelstrafe, gegen die Frauenquote und eben auch gegen Ausländer. Es ist ja sehr bezeichnend, dass zum Beispiel auch diejenigen, die gegen den Euro sind, gegen die Europäische Union, gleichzeitig auch sympathisieren mit den Parolen, die Pegida von sich gibt. Darüber muss man sich im Klaren sein und man darf vor allem nicht zulassen, dass diese Leute unwidersprochen behaupten, sie würden für das Volk sprechen. Sie sprechen nicht für das Volk, sie behaupten es nur, und deswegen ist hier auch kommunikativer Widerstand erforderlich, auch von den Medien, was ja auch der Fall ist.
    Heckmann: Herr Geißler, am Anfang dieser sogenannten Pegida-Bewegung, wenn man diesen Begriff überhaupt benutzen möchte, hieß es ja immer wieder von Seiten auch von Politikern, aber auch von Seiten von Journalisten, der Medien, man müsse die Sorgen der Menschen ernst nehmen, die da allwöchentlich in Dresden zusammenkommen. Hat man das falsch eingeschätzt? Hat man diese Sorgen dieser Menschen zu ernst genommen und nicht zur Kenntnis genommen, dass dahinter sich auch ein stark rechtsradikales Potenzial verbirgt?
    Geißler: Ja. Es gibt natürlich die Aufgabe, dass wir die Sorgen der Bürger ernst nehmen. Das ist die Aufgabe der Politik. Es ist nur die Frage, welche Konsequenzen man daraus zieht. Man kann diese Sorgen verstärken, indem man den Leuten Angst macht, oder man kann diese Sorgen teilen, aber mit konstruktiven Vorschlägen kommen und sagen, wir werden mit diesen Sorgen fertig. Die Auseinandersetzung im Moment vollzieht sich ja zwischen denen, die sagen, die Flüchtlingsbewegung, die ist eben nun mal da, aber wir können das, wir schaffen das, dass wir mit diesem Problem fertig werden, mit dieser Herausforderung. Das ist die eine Seite. Das ist Angela Merkel und die überwiegende Mehrheit der Menschen, übrigens auch der Kommunalpolitiker. Und dann gibt es die anderen, die sagen, wir schaffen es nicht. Das ist der bayerische Ministerpräsident - leider Gottes muss ich das von meinem Freund Seehofer sagen - und auch eine Reihe von Mitgliedern des Deutschen Bundestages, die sagen, wir schaffen es nicht, und dadurch verstärken sie natürlich die Sorgen und die Angst der Menschen, die darauf angewiesen sind, dass sie richtig informiert werden. Ich glaube, dass der Zulauf auch deswegen eine große politische oder größere politische Dimension hat, weil diese Demonstranten sich auf diese Aussage von offiziellen Stellen stützen können, dass wir mit dieser Herausforderung nicht fertig werden, womit sie sich aber im Widerspruch befinden zum Beispiel zu fast allen Oberbürgermeistern der großen Städte in Deutschland. "Spiegel" hat eine Umfrage gemacht und nur zwei Oberbürgermeister sind der Auffassung, dass man die Sache nicht schaffen kann.
    "De facto gießen sie Öl ins Feuer"
    Heckmann: Das heißt, Sie würden sagen, Herr Geißler, Personen wie Horst Seehofer von der CSU und seine Parteigenossen sozusagen, seine Parteifreunde, die gießen noch Öl ins Feuer?
    Geißler: Ich glaube nicht, dass sie absichtlich Öl ins Feuer gießen wollen, aber de facto machen sie das natürlich. Denn wenn angesichts einer solchen Herausforderung offizielle Stellen bis in Regierungskreise hinein, was ja bei der bayerischen Landesregierung leider der Fall ist, die Behauptung aufstellen, dass wir es nicht schaffen - und das ist ja der eigentliche Gegensatz zu Angela Merkel und auch zur CDU, zur überwiegenden Mehrheit der CDU im Übrigen -, wenn sie solches sagen, dann sagen sie ja im Grunde genommen Ähnliches wie viele Leute, die bei der Pegida mitmachen. Nur sagen sie natürlich, wir schaffen es administrativ nicht, während die Pegida-Leute sagen, wir schaffen das vom Wesen unseres Volkes her nicht, wir wollen allein sein, wir wollen keine Fremden haben. Der Seehofer ist kein jemand, der gegen Ausländer ist oder Fremde, die CSU auch nicht, aber dadurch, dass sie sagen, wir werden mit der Herausforderung nicht fertig, verstärken sie in der Tat die Wut und den Zorn einer Minderheit in unserem Volk, die generell gegen Ausländer eingestellt ist.
    Heckmann: Herr Geißler, wir hatten in diesen Tagen den Politikwissenschaftler Werner Patzelt hier im Programm im Deutschlandfunk. Der hat sich in den letzten Monaten auch intensiv mit dem Phänomen Pegida beschäftigt. Ich schlage vor, Herr Geißler, wir hören mal rein, was er zu den Ursachen dieses Phänomens gesagt hat.
    O-Ton Werner Patzelt: "Der Leitgedanke von repräsentativer Demokratie ist ja, dass im Parlament Ansichten, Prioritäten, Sorgen, Interessen der Bevölkerung halbwegs proportional zu ihrer tatsächlichen Verteilung im Volk repräsentiert werden, aber freilich nicht nur dort lautsprecherartig verstärkt, sondern auch das erfahren, was der Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel einmal 'die Veredelung des empirisch vorfindbaren Volkswillens' genannt hat. Das heißt, dass man das Richtige vom Falschen, das Übertriebene vom Angemessenen sondert. Aber das Ganze findet derzeit im Bundestag eigentlich kaum statt. Der Bundestag sieht sich eher in der Rolle einer Gouvernante, die dem Volk sagt, was sich gehört und nicht gehört, und das hat etwa bei den Pegida-Demonstranten, aber, wie demoskopische Umfragen zu zeigen scheinen, auch weit darüber hinaus zum Eindruck geführt, die politische Klasse habe sich vom Volk entfremdet, wisse nicht mehr was die Leute wirklich drückt, und infolgedessen züchten wir nun mehr und mehr eine antidemokratische oder zumindest diese Demokratie ablehnende Grundeinstellung."
    Heckmann: Soweit der Politikwissenschaftler Werner Patzelt. - Herr Geißler, hat der Bundestag ein Legimitationsproblem und spielt er die Rolle einer Gouvernante?
    "10 bis 20 Prozent stehen am Rande des Rechtsradikalen"
    Geißler: Ich habe eher den Eindruck, dass diese professoralen Beurteilungen, die wir gerade gehört haben, dazu beitragen, dass die Leute skeptisch werden der Politik gegenüber. Die Realität ist doch eine andere. Die Menschen erleben ja nicht den Deutschen Bundestag während seiner Plenarsitzungen, sondern sie haben die Abgeordneten des Deutschen Bundestages vor Ort. Die sind ja in den Wahlkreisen tätig und man muss ja nur mal die Lokalblätter aufschlagen und dann sieht man doch ganz genau, dass die Abgeordneten in aller Regel ihre Aufgaben wahrnehmen, auch ihre Sprechstunden abhalten und sich zu den politischen Problemen äußern. Sie sind ja präsent in den Wahlkreisen. Die sind nicht präsent in einem Soziologenseminar an der Universität XY.
    Heckmann: Aber die Menschen, die Montags demonstrieren, die fühlen sich, das sagen sie immer wieder, nicht repräsentiert im Bundestag.
    Geißler: Ja, das gibt es natürlich. Das hat es schon immer gegeben. Gott sei Dank sind diese Leute im Deutschen Bundestag nicht vertreten. Ich habe ja von 10 bis 20 Prozent geredet, die einfach am Rande des Rechtsradikalen stehen, die gegen Europa sind, für die Prügelstrafe, gegen die Frauen, gegen Überfremdung. Die gehen nur nicht zur Wahl und wählen nachher AfD oder NPD oder rechtsradikale Parteien, weil andere Interessen überwiegen, und dann wählen sie halt SPD und CDU. Aber deswegen bleiben sie trotzdem am Rand des Rechtsradikalen, oder sind selber Rechtsradikale, die sich dann auf solchen Demonstrationen manifestieren.
    Heckmann: Heiner Geißler war das live hier im Deutschlandfunk, der langjährige CDU-Generalsekretär, über das Phänomen Pegida. Herr Geißler, danke Ihnen für Ihre Zeit!
    Geißler: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.