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Pegida und die Folgen
Unbequemer Blick auf sächsische Verhältnisse

Der Freistaat Sachsen gerät seit Jahren in die Schlagzeilen - im Zusammenhang mit Fremdenfeindlichkeit, Wutbürgern und rechter Gewalt. Heike Kleffner und Matthias Meisner gehen im Buch "Unter Sachsen" den Ursachen dieses Phänomens nach, bilden jedoch auch die anderen Seiten der Gesellschaft ab.

Von Alexandra Gerlach | 07.08.2017
    Ein Anhänger der islamfeindlichen Pegida-Bewegung fährt am 27.03.2017 mit einem Fahrrad und einer Deutschlandfahne während einer Kundgebung über den Altmarkt in Dresden (Sachsen). Die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida) hatten zu einer Kundgebung in Sachsens Landeshauptstadt aufgerufen. Gleichzeitig haben mit einem Überraschungsauftritt die Toten Hosen ein Zeichen gegen Rechts gesetzt. Foto: Arno Burgi/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
    Pegida-Kundgebung in Dresden. Das Relativieren von der Gefahr von rechter und rassistischer Gewalt ist etwas, was seit 25 Jahren den Alltag in Sachsen prägt. (dpa-Zentralbild)
    Bücher sollten Debatten anstoßen und Diskussionen ermöglichen, sagt Christoph Links, der Chef des gleichnamigen, 1989 gegründeten, Berliner Verlages. Doch an diesem Abend in Meißen, im historischen Saal des schmucken Rathauses ist eine Diskussion nicht vorgesehen. Sie ist behördlich untersagt, das Podium gestrichen, die Gäste ausgeladen. Verleger Links ist empört: "Und ich darf sagen, dass ich eine so eigenwillige, man kann auch sagen, absurde Situation wie heute noch nicht erlebt habe, dass über ein politisches Buch nicht diskutiert, aber daraus gelesen werden darf."
    Der Saal ist bis auf den letzten feuerpolizeilich genehmigten Platz gefüllt, sogar in den Fensternischen haben interessierte Bürger Platz genommen. Das Publikum ist gemischt, das Medieninteresse gewaltig, die Temperaturen im Saal sind tropisch. Die heftige Diskussion um die verstörende Entscheidung der Stadt Meißen hat dem Buch große Aufmerksamkeit verschafft. Viele wollen wissen, was dran ist an dem Vorwurf, es sei einseitig und allzu pauschal gegen Sachsen gerichtet. Der Verleger, Christoph Links weist dies mit Nachdruck zurück:
    "Ein Sachsen-Bashing soll es nicht werden und ist es auch nicht geworden, denn beide Herausgeber sind seit vielen Jahren eng mit der Entwicklung in Sachsen verbunden und haben auch Wert darauf gelegt, dass die Zivilgesellschaft und ihr Widerstand gegen Fremdenfeindlichkeit in diesem Buch ordentlich vertreten sind."
    Herausgeber sind die beiden Journalisten Heike Kleffner und Matthias Meisner. Sie haben 40 Autoren gebeten, die so genannten "Sächsischen Verhältnisse" zu schildern und einzuordnen. Jede Reportage und jeder Zwischenruf wird so zu einem Mosaikstein im großen Gesamtbild der politischen wie gesellschaftlichen Strukturen im Freistaat Sachsen.
    Pegida spaltet Familien
    Das Ansehen des einstigen ostdeutschen Musterländle hat mächtigen Schaden genommen, seit die islamfeindliche Pegida-Bewegung hier nicht nur sächsische Wutbürger auf die Straße bringt und fremdenfeindliche Übergriffe auf Flüchtlinge bundesweit für Schlagzeilen sorgen. Woher kommt diese Wut? Darauf sollen die Beiträge in diesem Buch Antworten geben, so zum Beispiel die beklemmende Reportage von Thomas Datt, die mit "Flucht aus Colditz" betitelt ist:
    "Ralf Gorny sitzt im Dunkeln auf der Holzveranda seiner Pension in Colditz und raucht Zigarre. Es ist der zweite Advent, die Temperatur unter Null. Die Kälte stört den 50-Jährigen nicht. Jeden Abend sitzt er hier draußen und beobachtet die Gasse, die an den Seitenfenstern seiner Pension zum Stadtzentrum führt. Seit mehr als zwei Jahren wird Gornys Haus immer wieder von Vermummten angegriffen. Jedes Mal muss er danach neue Fensterscheiben einsetzen.
    Die Anschlagserie begann am 16. Oktober 2014, wenige Stunden nach Ausstrahlung eines Fernsehbeitrags im MDR. Gorny hatte als einziger Einwohner des Ortes ein Interview über den Colditzer Neonazi Uwe N. gegeben, der mit 1,8 Kilogramm Crystal gefasst worden war."
    In ihrem Vorwort schreiben die beiden Herausgeber, längst gehe es bei dieser neuen Bewegung von rechts, die ihren Ausgangspunkt in Sachsen hat und die Berichterstattung über den Freistaat dominiert, nicht mehr nur um ein Image-Problem, wie es gerne seitens der Politik postuliert werde:
    "Die gesellschaftliche Auseinandersetzung, die mit dieser Bewegung einhergeht, spaltet Familien, polarisiert an Arbeitsplätzen und Schulen und hat auch handfeste Folgen: Investoren bleiben aus, Wissenschaftler und Studierende kehren Universitätsstädten wie Dresden und Leipzig den Rücken."
    Neben der Frage, warum gerade das wirtschaftlich erfolgreiche und kulturell reiche, strahlende Sachsen immer wieder in den Negativ-Fokus der Nachrichtenmeldungen gerät, geht es auch um die Frage, ob all dies nur ein sächsisches Phänomen ist oder etwas, das ähnlich auch an anderen Orten passieren kann.
    Warum ausgerechnet Sachsen?
    Dieses genaue Hinsehen und Hinterfragen, in den sächsischen Metropolen ebenso wie in den kleinen Ortschaften des Erzgebirges, des Elbtales und sächsischen Burgenlandes ist unbequem für alle, vor allem für jene, die hier in politischer Verantwortung stehen. Es offenbart einen anderen, teils erschreckenden Blick auf das Land, das bis heute im Vergleich zu anderen Bundesländern nur eine kleine Minderheit an Ausländern und Menschen mit Migrationshintergrund zu seinen Bürgern zählt.
    Tagesspiegel-Redakteur Matthias Meisner, der seit 1990 als politischer Korrespondent in Sachsen und Berlin für verschiedene Medien tätig war, weiß um die Brisanz der Erkenntnisse aus den Reportagen seines Sammelbandes. Zugleich wendet er sich entschieden gegen den Vorwurf, Sachsen damit beschädigen zu wollen:
    "Dieser Begriff wird ja ganz oft auch benutzt, um eine kritische Auseinandersetzung zu diskreditieren. Was nicht stimmt, wo etwas faul ist, das muss benannt werden dürfen und da geht es nicht um das Image Sachsens, sondern da geht es tatsächlich um eine nachhaltige Auseinandersetzung mit den vorhandenen Problemen, die hier fokussiert auftreten."
    Alltäglicher Rassismus, Verharmlosung rechter Gewalt
    So etwa der Alltags-Rassismus, der auch in der weltoffenen Messestadt Leipzig zu Tage tritt, wie der dunkelhäutige, in Leipzig geborene Mitautor Ali Schwarzer schreibt: "Wäre die Stadt so weltoffen, wie sie sich gern darstellt, dann würden schwarze und andere nichtweiße Leipziger und Wahlleipziger nicht das Weite suchen. Ein paar Beispiele:
    Da wäre der schwarze Leipziger, der Meister für Elektrotechnik ist und sich weigert mit der Straßenbahn zu fahren, wenn er doch mal in Leipzig verweilt. Zu gefährlich. Oder die schwarze Studentin aus den USA, die nach einem Jahr Leipzig heilfroh ist, wieder weg zu sein. Eine junge Frau, die dachte, dass das Leben für schwarze Menschen in Deutschland entspannt sei. The Germans hätten ja gelernt."
    Ali Schwarzer hat Leipzig und Sachsen den Rücken gekehrt – für immer, wie er sagt.
    Doch längst richten sich – wie das Beispiel Colditz zeigt - die Attacken rechtsgerichteter Kreise nicht mehr nur gegen vermeintliche Ausländer, sondern auch gegen Andersdenkende. Mitherausgeberin Heike Kleffner sieht die Ursache für diese Entwicklung in einer sächsischen Verhaltensweise, die sie in Ihrer journalistischen Arbeit beobachtet habe. "Das Relativieren von der Gefahr von rechter und rassistischer Gewalt ist etwas, was seit 25 Jahren tatsächlich den Alltag ganz, ganz vieler kleiner Dörfer und Kommunen in Sachsen prägt."
    Den Autoren und Herausgebern ist ein spannendes, aufschlussreiches Buch gelungen, dessen Beiträge sachlich aus der Reporterperspektive einen breit gefächerten Blick auf eine politisch-gesellschaftliche Fehlentwicklung öffnen, die nicht unterschätzt werden sollte.
    Heike Kleffner, Matthias Meisner (Hrsg.): "Unter Sachsen. Zwischen Wut und Willkommen"
    Ch. Links Verlag, 312 Seiten, 18 Euro.